Fragezeichen in 3 D

M. G. Burgheims Future Pop

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Jahre nach Benjamin von Stuckrad-Barre und ein Jahr nach Benjamin Lebert kaufen sie alles ein, was eine Geschichte erzählt und laut genug das Wörtchen Pop sagen kann. Die mehr heraufbeschworene als wirklich existente Krankheit der deutschen Literatur - beklagt wurde von Kritikern und Lektoren die avantgardistische Verstiegenheit der Autoren und das Fehlen von wirklichen Erzählern - findet so ihr Remedium in einer modernen Variante des Jugendbuchs. Aber auch hier differenziert sich das Feld aus: Es gibt nicht mehr nur die (pseudo)hippe Selbst- und Weltfindungsprosa, sondern mittlerweile auch zeitkritische Abenteuerromane.

In diesem speziellen Fall ist es eine Verschwörungsgeschichte, eine Geschichte immerhin, die nicht im eigenen Saft des spätpubertären Weltschmerzes schmort, die aber dafür alles beinhaltet, was in den letzten Jahren die Debatten um Jugendkultur gefüttert hat: deren befürchtetes Ende, die Love Parade, die Aufweichung des Popbegriffes, die musikalischen Entwicklungen der letzten knapp zwanzig Jahre und eine Wendung ins Unironische und Eindimensionale, was die Benutzung von popkulturellen Zeichencodes betrifft. Der 1968 geborene M. G. Burgheim ist der Autor des Romans mit dem verheißungsvollen Titel "Future Pop".

"Ich habe mich für Arietta entschieden. Irgendeinen Namen muß ich in meiner Geschichte ja haben, und der hat mir schon immer gefallen." Es hat seinen Grund, warum Burgheims Hauptfigur ihren wahren Namen verheimlicht, "nach allem, was geschehen ist". Folgenden nämlich: Die junge, bewusstseinsmäßig zwischen Subkulturvergangenheit und drohender Etabliertheit schwankende Berliner Lehrerin wird zunächst von E-Mails obszönen Inhalts getriezt. Wenig später aber bekommt sie es mit einer neuen Jugendbewegung zu tun - und Spaß versteht die keinen.

Diese Bewegung hat ihre Speerspitze in der paritätisch aus einem Ostler und einer Westlerin zusammengeschusterten Pop-Gruppe "Die Pioniere", einer raffinierten Synthese aus diversen Teenie-Bands, der mit faschistischen Inszenierungen provozierenden Band "Rammstein" und der "Margot Honecker Liedertafel", die vor einigen Jahren das Hamburger Szenepublikum mit alten FDJ-Weisen erheiterte. Langsam ordnet sich im Roman nicht nur ein Großteil der bundesdeutschen Jugendlichen einer Gruppierung unter, die an Gemeinschaftssinn und alte Sekundärtugenden appelliert; auch die Erwachsenenwelt findet den Ehrgeiz der jungen Leute unterstützenswert - ein Schulterschluss von Wirtschaft, Politik und "Kreativen", wie ihn Dieter Gorny nicht besser inszenieren würde, bahnt sich an.

Arietta und einigen anderen aufrechten Ideologiefeinden kommt die Sache allerdings spanisch beziehungsweise DDR-haft vor: Morgenappell, einheitliche Kleiderregelungen und alte Arbeiterlieder fügen sich langsam zum Bild eines rechtsdralligen neuen Deutschland. Es häufen sich tatsächlich die Indizien, dass bei den Pionieren rechtsextreme Kreise und windige Geschäftemacher ihre Finger im Spiel haben. Selbst Ariettas beste Freundin Lela entpuppt sich als Sympathisantin und Geliebte eines Kaders der Bewegung.

Auto-Verfolgungsjagden, Spurensuchen im Internet, detektivische Wühlarbeit und Schlachten zwischen Autonomen und Skins sollen das Buch schnell und spannungsreich machen; Liebesgeschichten und Trennungen fehlen genauso wenig wie ein mysteriöser Todesfall. Abrupt, gerafft und für alle pessimistischen Deutungen offen endet "Future Pop".

M. G. Burgheims Debüt kann allerdings auf sprachlicher Ebene nicht einlösen, was es thematisch verspricht. Der Roman zeichnet sich, freundlich ausgedrückt, durch einen hohen Grad an erzählerischer Konventionalität aus. Stilistisch tendiert das manchmal stark ins Schüleraufsatzhafte, Thema: "Mein schlimmstes Ferienerlebnis". Das kann man natürlich alles auf die sich erinnernde Ich-Erzählerin schieben, die ja nun keine Schriftstellerin, sondern Pädagogin und Betroffene ist.

Betroffen sind aber auch die Leser. Die müssen es schließlich ertragen, wenn sich bei Arietta energisch ein Wille zur Poesie Bahn bricht: "Ich bin nicht nur eine Zungenrollerin, ich gehöre auch zu dem Teil der Menschheit, der im Traum Flügel hat und fliegen kann. Vielleicht ist das Fliegen im Traum eine Erinnerung und vielleicht der Himmel unsere Heimat, nicht das Meer." Stellen wie diese sollen uns wohl signalisieren: Der Autor, der um seine Identität ein kleines Geheimnis macht und sich auf Fotos nur von hinten zeigt, kann sich aber mal toll in eine Frau hineinfühlen.

Wenn er seine Heldin dann und wann über Pop-Musik nachdenken lässt, ist obendrein Vorsicht geboten: "Es reißt einen einfach emotional auseinander. Und erdrückt einen zugleich. Und da ist dieses große Fragezeichen in 3 D. Und gleich dahinter dieses große Ausrufezeichen, ebenfalls in 3 D, von dem man nicht weiß, was es eigentlich ausruft."

Nein, man weiß es eigentlich nicht. M. G. Burgheims Roman, der weniger eine Zukunftsvision entwerfen als das Unbehagen in unserer Popkultur formulieren will, bleibt in seinen Mitteln leider genauso eindimensional wie die in ihm kritisierten ästhetischen Strategien einer brave new pop-world eindimensional sind. "Future Pop" ist letztlich ein auf den neuesten Stand gebrachter TKKG-Krimi für die nachwachsende MTV-Generation.

Titelbild

M. G. Burgheim: Future Pop.
Eichborn Verlag, Berlin 1999.
204 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3821806796

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