Der "König der stillen Inseln"

Beatrix Langner über den "wilden Europäer" Adelbert von Chamisso

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Windeseile jagt Peter Schlemihl mit seinen Siebenmeilenstiefeln über den Globus. Seinem Autor war die Lust am Geschwindigkeitsrausch fremd. Drei Jahre lang segelte Adelbert von Chamisso auf einer Forschungsexpedition um die Welt. Und kam sich dennoch "wie eine abgeschossene Kanonenkugel" vor, als ihm sein Kapitän die Bitte abschlug, ihn auf Honolulu unter den Eingeborenen einfach zurückzulassen.

Von den vielen Gestalten, die sich in der deutschen Romantik tummeln, gehört Chamisso fraglos zu den faszinierendsten. Dass sich seinem außergewöhnlichen Leben 170 Jahren nach seinem Tod mit Beatrix Langner eine brillante Biografin angenommen hat, darf als Glücksfall gewertet werden. Mit ihrem Einfühlungsvermögen und ihrer Sprachkraft löst Langner nicht nur die vielen Gegensätze im Leben dieses "wilden Europäers" auf. Sie lädt auch ein, den großen Ethnologen, Sprachwissenschaftler, Reiseschriftsteller und nicht zuletzt erotischen Dichter wiederzuentdecken - und verabschiedet nebenbei so manche Legende der Chamisso-Forschung.

Geboren 1781 in der Champagne als fünfter Sohn des Comte de Chamissot, war dem Knaben ein Leben im Dienst des französischen Königs in die Wiege gelegt. Zum schwarzen Schwan in seiner Existenz wurde die Revolution, die die Familie wie viele andere Adlige mittellos aus dem Land jagte: "Ich bin kein Franzose mehr... mein Schicksal ist seltsam", notiert der verträumte Neunjährige während der Fahrt in der überladenen Kutsche.

In Berlin findet die Familie eine neue Heimat. Chamisso wird erst Page bei Königin Luise, dann Fähnrich im preußischen Heer. Er steht Wache am Brandenburger Tor, lässt seinen Namen eindeutschen und erregt mit seinem wallenden Haar und seinem Akzent in den Literatursalons Aufsehen. Schwierig wird das Verhältnis zur Familie: Seine Brüder träumen von Restauration, Chamisso dagegen hat sich früh mit den veränderten Lebensumständen abgefunden: "Ich bin unwiderruflich Preuße", lässt er sie wissen.

Die Zeit stellt seine selbst gewählte Identität auf eine harte Probe. Innerlich zerrissen, erlebt er die Napoleonischen Kriege, fast hätte er auf seine Landsleute schießen müssen. "Ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd", erklärt er verzweifelt der Madame de Staël. Dann gibt er seinem Leben eine neue Richtung und wird Botaniker. Als Naturforscher an Bord der russischen "Rurik" lässt er zwischen 1815 und 1818 das europäische Elend hinter sich. Glaubt er zumindest: Dass die Suche nach der legendären Nordwestpassage nur ein Vorwand war, um heimlich im Pazifik eine neue Versorgungsbasis für den russischen Pelzhandel zu finden, ist Chamisso wohl erst spät gewahr geworden.

Nach seiner Rückkehr lässt er sich von Freunden wie Eduard Hitzig und E.T.A. Hoffmann als "König der stillen Inseln" feiern und erfindet sich noch einmal neu: Aus dem eskapistischen Träumer wird ein fürsorglicher Familienvater und sozialkritischer Dichter; seine Sympathien gelten der Julirevolution, Heinrich Heine und den einfachen Leuten wie seiner alten Waschfrau, der er eine seiner schönsten Balladen widmet. Dass ihn Nationalisten als "Judenfreund" beschimpfen, kümmert ihn wenig, staunend nimmt er den Erfolg seiner Bücher zur Kenntnis: "Deutschland, scheint es, will mich wirklich zu einem seiner Dichter zählen".


Titelbild

Beatrix Langner: Der wilde Europäer. Adelbert von Chamisso.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008.
368 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3882218894

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