Butter bei die Fische!

Über Christoph Menkes Studie "Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie"

Von Michael MayerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Mayer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass sie nicht nur eine philosophische Disziplin unter anderen ist, zeigt schon ein kurzer Blick auf ihr Sujet. Widmete sich doch die Ästhetik der bis Mitte des 18. Jahrhunderts schlecht beleumundeten Sinnlichkeit, schließlich dem Schönen, endlich der Kunst. Dass Sinnlichkeit anders, doch nicht weniger regelhaft als Vernunft organisiert sei, dass das Schöne und das Erhabene eine Frage des Geschmacks zwar, doch zugleich eines durchaus allgemeinverbindlichen Urteils sei; dass schließlich Kunst als eine besondere Erkenntnisform erscheint, die einer besonderen Anstrengung bedarf, sie zu entziffern, markierte eine so tiefe Zäsur, dass unser kulturelles Selbstverständnis bis auf den heutigen Tag durch sie geprägt ist. Wie tief diese Zäsur aber war, dass sie nicht nur den Grundstein legte für Kunstphilosophie, Kunstwissenschaft und Kunstkritik, selbst für die "Bildwissenschaft" und den vielbeschworenen iconic turn jüngeren Datums, wird aber erst klar, wenn man das kleine, dichte, in schlichter Diktion gehaltene Buch Christoph Menkes zur Hand nimmt.

Sein unprätentiöser Titel hält zwar noch mit der allemal spektakulären These, die es Schritt für Schritt entfalten wird, hinterm Berg, doch führt das titelgebene Leitwort schon ins Zentrum des Arguments. Denn der Begriff "Kraft", in andere Sprachen kaum übersetzbar, erarbeitet Menke als ästhetisches Phänomen, an dem sich nichts geringeres als ein radikal neues Verständnis des Menschen herauskristallisiert. In der Ästhetik als Subdisziplin der Philosophie steht somit die Anthropologie als Ganze zur Entscheidung. Wie das?

Ausgehend von Alexander Gottlieb Baumgarten, der höchst folgenreich um 1750 Ästhetik als "Wissenschaft sinnlicher Erkenntnis" einführte, in Auseinandersetzung mit Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant und schließlich Friedrich Nietzsche, zeigt Menke, wie das Verständnis des Menschen als Souverän, der mittels seiner Fähigkeiten und Vermögen Wirklichkeit bewusst erkennt und sich aneignet, an einer ästhetischen Erfahrung zuschanden geht, die auf einem, so Herder, "Spiel dunkler Kräfte" fußt. Kräfte, die als starke Gefühle manifest werden und im Menschen nach kreativem Ausdruck drängen. Dieses Spiel dunkler, sprich unbewusster Kräfte, unterläuft - rund 150 Jahre vor der Entdeckung des Freud'schen Unbewussten - das Konzept des Selbstbewusstseins als der zentralen Instanz des menschlichen Seelenlebens. "Die Natur des Menschen", so Menke, ist ästhetisch, denn "der Grund seiner Seele" bestehe in eben jenem "Spiel dunkler Kräfte". Subjekt und Mensch, Bewusstsein und Natur treten auseinander und zugleich in eine irreduzible Spannung. Der Mensch als Ganzes erscheint als eine Art Zwitterwesen, polarisiert durch die zwei Grundmotive des subjektiven Vermögens und einer präsubjektiven Kraft.

Und was daraus folgt? Hier vermag der Rezensent eine gewisse Enttäuschung kaum zu verheimlichen, bedingt zumal durch den furiosen Auftakt. Als ob der großen Ouvertüre der Finalsatz mangelte, bleibt Menke auf dem gesicherten Terrain akademischer Abstraktion. Das kann von Berufs wegen sein gutes Recht sein, doch fehlt dem Begriff, mit Kant gesprochen, schlicht die Anschauung, will sagen: die durchgeführte Konfrontation mit jener spezifischen Art von Sinnlichkeit, die wir Kunst nennen. Im Klartext: Es hätte nicht nur nicht geschadet, die These an ausgewählten Beispielen gegenwärtiger Kunstproduktion zu erproben. Das Buch versäumt die Öffnung auf jenes Nicht-Philosophische, von dem es zehrt. Wenn es nämlich stimmt, dass im Bereich der Ästhetik nichts anderes als die Anthropologie des Menschen selbst zur Verhandlung steht, werden künstlerische Praktiken auch beschreibbar als anthropologische Versuchsanordnungen, als Experimente am Selbstbild des Menschen. Die Produktion von Kunst wie deren Erfahrung setzen - ausdrücklich oder nicht - eine andere Weise Mensch und als Mensch auf dieser Welt zu sein, voraus. Das neuzeitliche Individuum mit seinem ihm innewohnenden Anspruch unbedingter Selbst- und Weltverfügung, nebst all der deutlich sich abzeichnenden Konsequenzen, wird nicht theoretisch, sondern praktisch konterkariert. Das Feld dieser Praxis aber wäre die Kunst.

Der wohltuende, auch bitter nötige Ernst, der von Menkes unzeitgemäß sprödem Buch ausgeht, kontrastiert hart mit der laxen Kurzatmigkeit eines Betriebs, der Kunst nurmehr als Event, als Anlageform oder Medium freiberuflicher Selbstvermarktung auspreist. Der in Berlin unlängst erst abgefeierte "Kult des Künstlers" gab hierfür ein beredtes Beispiel. Desto mehr hätte man sich gewünscht, wenn der Autor, salopp gesagt, einmal "Butter bei die Fische" getan hätte. So aber bleibt das ein wenig schale Gefühl zurück, einer zuletzt doch allzu akademischen Übung beigewohnt zu haben. Ihr fehlt das Leben - das Leben der Kunst.


Titelbild

Christoph Menke: Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
155 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783518585092

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