Spirit of Eden

Dietmar Daths neues Hörbuch "Im erwachten Garten" macht dort weiter wo die "Abschaffung der Arten" endete

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Dietmar Dath nicht mehr Redakteur bei der FAZ ist, sondern als Suhrkamp-Autor reüssiert, erscheinen seine Bücher nicht mehr in Jahresfrist, sondern etwa alle drei bis vier Monate. Als nächstes ist eine Rosa Luxemburg-Biografie angekündigt. Möglicherweise scheint der Ausstoß aber auch nur größer durch die gestiegene Aufmerksamkeit - der letzte große Roman "Die Abschaffung der Arten" (2008) schaffte es bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Dazwischen droht das neue Hörbuch "Im erwachten Garten" beinahe unterzugehen. Das wäre schade, aus mindestens zwei Gründen: zum einen spinnt es die erzählte Welt aus dem ambitionierten Science-Fiction-Roman vom Vorjahr fort, zum anderen ist das reine Hörbuch ein neues Format für Dath. In den Begriffen der Musikindustrie gesprochen, handelt es sich nach den Major-Veröffentlichungen bei Suhrkamp um eine kleine, feine Indie-Kollaboration zwischen dem CD-Label Staubgold, dem Implex- und dem Verbrecher-Verlag, bei denen Dath als Autor begann, und die er zwischen den "großen" Veröffentlichungen noch immer mit Texten beliefert. Davon profitieren nicht zuletzt die kleinen Verlagshäuser, die sich mit dem Namen eines inzwischen bekannten Autors schmücken können.

"Die Abschaffung der Arten" erregte nicht zuletzt deswegen Aufsehen, weil Dath darin eine fortgeschrittene Zivilisation von Tieren entwarf, in der der heutige Mensch nur noch Relikt ist, zum Aussterben verurteilt. Zwar sind Tiere als Hauptfiguren literarischer Texte nichts Neues. Doch Dath hatte weder klassische Fabeln à la Äsop und Lessing im Sinn noch eine düstere Parabel wie George Orwells "Animal Farm", in der die Oktoberrevolution von 1917 und ihre Pervertierung durch Stalin als Aufstand der Tiere eines Bauernhofs beschrieben werden. Daths Tiere sind auch nicht das Ergebnis sinistrer Klonexperimente wie etwa in "The Island of Dr. Moreau" (1896) von Herbert George Wells. Dath gehört zu den wenigen Könnern unter den Science Fiction-Autoren, deren Zukunftsvisionen sich eben nicht in raunenden Beschwörungen der Apokalypse erschöpfen, sondern ein genuin utopisches Potenzial entfalten. Die Tiere im "erwachten Garten" können nicht nur sprechen, sie leben auch in einer egalitären Gesellschaft mit sozialistischen Zügen (Dath ist überzeugter Marxist), in der Informatik und Biologie eine glückliche Verbindung eingegangen sind. Der eigentliche Clou ist jedoch, dass sich in diesen Lebewesen alle Grenzen verwischen - zwischen Mensch und Tier, Natur und Kunst, zwischen den Geschlechtern, Orten, Zeiten und Individuen. Wer die "Abschaffung der Arten" kennt und schätzt, wird sich hier schnell zurechtfinden - von der organischen Architektur über die Synthese aus Computern und Pflanzen bis zur Nachrichtenvermittlung per Geruch durch die so genannten Pherinfone.

Gegenüber der "Abschaffung der Arten" legt "Im erwachten Garten" jedoch ein völlig anderes Tempo vor. Der Großroman gerät bisweilen außer Atem, weil Dath der ohnehin komplexen Handlung immer wieder neue Volten aufzwingt. Zudem muss dort die tierische Zivilisation erst in schier endlos ausgewalzten Kriegen untergehen, um ganz am Ende der 550 Seiten zu einem neuen, utopischen Anfang gelangen zu können. Im Gegensatz dazu liefert "Im erwachten Garten" das Gegenstück der Utopie als Idylle. Die beschriebene Handlung konzentriert sich auf einen einzigen Tag, nämlich auf die Liebesbegegnung zwischen der vogelartigen Lisa und der Fremden Suri Pfote. Allerdings verfolgt Suri mit dieser Begegnung ein bestimmtes Ziel. In ihr selbst befindet sich ihre eigentliche Geliebte, die Raumfahrerin Isou Weißfeder. Lisa soll ihr helfen, diese wieder aus sich zu befreien, und zwar mit Hilfe des "erwachten Gartens", in dem sie arbeitet, einer Synthese aus Paradies und verwildertem Garten, der zugleich einer der größten Rechner Mitteleuropas ist, intelligentes Wesen und Tor zu anderen Dimensionen. Schließlich kommen sie dort an, Suri setzt sich dem Experiment aus, und die zuvor von Ängsten und Zweifeln geplagte Lisa lernt: "Bei der regelrechten Liebe machen nicht die Regeln die Liebe, sondern die Liebe macht die Regeln." Auch wenn das für Nicht-Science-Fiction-Leser trivial, ja durchgeknallt klingen mag - im Kern ist "Im erwachten Garten" ein wunderbares, gelungenes Experiment, gerade weil der Text die Beschreibung der Utopie wichtiger nimmt als die bloße Handlung.

Großen Anteil an diesem Gelingen hat das Kammerflimmer Kollektief, ein Improvisationsensemble, das hier in der Besetzung Heike Aumüller (Stimme, Harmonium, Synthesizer), Johannes Frisch (Kontrabass) und Thomas Weber (Gitarre, Piano, Percussion) aufspielt. Es ist nicht der erste Kontakt der Band mit Dath, der bereits die Liner Notes zu ihrem bislang letzten Album "Jinx" (2007) verfasste. Diese Vertrautheit miteinander lässt sich hören. Federleicht und passgenau wechseln sich gelesene Passagen und Musik ab. Manche der Akzente, die die Band mitten im Text setzt, wirken etwas beliebig, weil gezwungenermaßen dezent. Man fühlt sich an CDs mit Walgesängen erinnert, wie es sie früher beim Zweitausendeins-Versand zu kaufen gab. Wirklich kongenial und schwerelos wird die Musik immer dann, wenn sie allein zu hören ist. Dann ist sie ganz bei sich selbst. Das nur aus zwei Akkorden bestehende Hauptthema, das das erste und letzte Kapitel dominiert, ist der vielleicht schönste Song, den die späten Talk Talk nie aufgenommen haben. Und damit wäre auch der Titel dieser Rezension erklärt.


Titelbild

Dietmar Dath / Kammerflimmer Kollektief: Im erwachten Garten. Musikbuch.
Verbrecher Verlag, Freiburg und Berlin 2009.
60 min, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783940426277

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