Der "König von Südbayern"
Ernst Tollers Autobiografie "Eine Jugend in Deutschland" ist als Hörspiel erschienen
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBevor Ernst Tollers Verhandlung vor einem Münchner Standgericht begann, erschien ein Friseur in seiner Zelle. Er sollte dem Häftling die Haare so schneiden, dass ihre rote Färbung kenntlich blieb - damit die Leute sahen, auf welch raffinierte Weise sich der wegen Hochverrats Angeklagte des Zugriffs der Gerechtigkeit entzogen hatte. "Tröstens Eahna, Herr Toller", habe der Frisör zu ihm gesagt, "in zwei Farben schillern ist modern, das tun ja alle miteinand heit."
In zwei Farben schillert auch Tollers Autobiografie, die 1933 im Amsterdamer Exilverlag Querido erschien. Denn sie will beides sein: eine schonungslose Selbstabrechnung ebenso wie eine trotzige Selbstverteidigung. Letzteres zu einer Zeit, als den Idealen des radikalen Pazifisten, der sich 1939 in einem New Yorker Hotel erhängte, die endgültige Niederlage drohte. "Ich war gescheitert", heißt es in einer der wenigen reflexiven, kommentierenden Passagen seiner Erinnerungen, "ich hatte geglaubt, dass der Sozialist, der Gewalt verachtet, niemals Gewalt anwenden darf, ich selbst habe Gewalt gebraucht und zur Gewalt aufgerufen".
Bereits Zeitgenossen wie Kurt Hiller galt "Eine Jugend in Deutschland" als das Opus magnum des in den 1930er-Jahren berühmtesten deutschen Dramatikers. Während aber heute Stücke wie "Die Wandlung" oder "Masse Mensch" nur noch von literarhistorischem Interesse sind, erweist sich Tollers Jugendbiografie als erstaunlich zeitloses Exempel für das Scheitern sozialer und politischer Utopien, für den letztlich unmöglichen Versuch, den Gegensatz von Kunst und Politik, von, wie es damals hieß, "Geist" und "Tat" zu überwinden.
Als im November 1918 in Deutschland die Revolution ausbrach, lag der 25-jährige Kriegsheimkehrer und Student bei seiner Mutter in Landsberg an der Warthe mit Grippe im Bett. Wenige Monate später, im April 1919, war Toller für wenige Tage Vorsitzender des "Zentralrates" der ersten Münchner Räterepublik - und damit quasi bayerisches Staatsoberhaupt. So lange, bis die Kommunisten gegen die "Scheinräterepublik" putschten und den gestürzten Kurt Eisner-Zögling als "König von Südbayern" verspotteten. Eine politische Blitzkarriere, für deren Erklärung sich neben den chaotischen Zeitumständen, bei denen, wie auch Toller beklagt, Dilettanten und Wirrköpfe aller Art in Amt und Würden gespült wurden, die von vielen Zeitgenossen bezeugte Rednerbegabung des charismatischen Dramatikers anbietet. Weshalb ihn sein Biograf Wolfgang Rothe auch treffend als "deutschen Danton" bezeichnet.
Von Tollers leidenschaftlicher Rhetorik, der Emotionalität seiner Sprache, merkt man in dem von Katja Langenbach inszenierten Hörspiel überraschenderweise weniger als in der rasant erzählten Vorlage. Steven Scharf, der den Erzähler beziehungsweise erwachsenen Toller spricht, liest den deutlich expressionistisch geprägten Text eher zurückhaltend, also gleichsam "neusachlich" gegen den Strich. Das überzeugt am besten bei den Szenen vom Stellungskrieg in Frankreich, wo Toller, nationalismustrunken, als Freiwilliger vor Verdun und im Priesterwald bei Pont-à-Mousson kämpfte: Großartig, wie Scharfs Stimme zunächst immer farbloser wird und so die zunehmende Betäubung aller Sinne zeigt - bis plötzlich, in jenem berühmten pazifistischen Urerlebnis, als Toller in einer zerfetzten Leiche erstmals nicht mehr den Deutschen oder Franzosen, sondern den "Mensch" und "Bruder" erkennt, das ganze Grauen aus Scharfs Stimme herausbricht.
Das für den Bayerischen Rundfunk produzierte Hörspiel ist in drei Teile gegliedert: Der erste reicht von Tollers Kindheit in Samotschin in der damals preußischen Provinz Posen, wo er 1893 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde (überzeugend in der Rolle des jungen Toller: David Herber), bis zu seinen Kriegserlebnissen. Der zweite erzählt von den Wirren der Revolution und Tollers abenteuerlicher Flucht, der dritte von den fünf Jahren Festungshaft in bayerischen Gefängnissen, während in Berlin bereits sein Stern als Dramatiker aufgeht.
Mit ihrer Vielzahl an packenden Szenen und Dialogen und einem fast durchweg in der Gegenwartsform, aus der Perspektive des erlebenden Ichs berichtenden Erzähler erscheint Tollers Autobiografie wie für eine Hörspielinszenierung gemacht. Und verführte daher wohl zu der bewusst zurückhaltenden Bearbeitung. Unglücklicherweise sorgt aber das Übergewicht des Erzählers dafür, dass sich das Resultat über weite Strecken eher wie eine Lesung anhört und nicht wie eine "fesselnde Hörspielinszenierung mit über zwanzig Stimmen". Weitgehend überzeugend sind die Kürzungen. Nur um das an die Jugend Europas gerichtete Vorwort ist es schade, geht dem Hörer doch so der Entstehungskontext des Textes verloren. Immerhin schrieb Toller seinen "Blick 1933" am Tag der Verbrennung seiner Bücher in Deutschland.
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