Literarische Eskapaden

"Limonenfeuer" von Fernando Aramburu können nur Dichter genießen

Von Sabine KaldemorgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Kaldemorgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bücher verdrehen dem Leser mitunter den Kopf. Zumindest in der spanischen Literatur. Wie bei Don Quijote kreisen die geistigen Höhenflüge der Helden in "Limonenfeuer" um literarischen Ruhm. Doch nicht die Ähnlichkeit des Motivs hat die Kritiker in Spanien dazu veranlasst, das Romandebüt von Fernando Aramburu mit dem Klassiker zu vergleichen, sondern seine Erzählweise. Die Geschichten innerhalb der Geschichten erinnere an Cervantes, der distanzierte, ironische Blick auf menschliche Schwächen an Quevedo, die grotesken Abenteuer an Valle-Inclán und der Grundtenor an die Blütezeit der Schelmenromane.

Vorwitzig geht es in der Tat zu, doch die Charaktere sind sehr modern. Sechs junge Leute gründen 1979 in San Sebastián den Literaturzirkel "Die Platte". Ein notorischer Bücherdieb, ambitionierte Gelegenheitsdichter und ein Bibliophiler setzen sich zum Ziel, die "Methoden der ETA auf den Kulturbetrieb zu übertragen". Unter der Fahne des Surrealismus planen sie Skandale und Aktionen, die in der Gründung einer Zeitung, der Veröffentlichung eines Manifestes und dem Aufruf zu einem Dichterwettbewerb gipfeln. Mit Tatendrang und schöpferischem Größenwahn verballhornen sie die überkommenen Maßstäbe in der baskischen Provinz. Die gemeinsame Leidenschaft für Literatur und der Traum vom Ruhm schweißen Hilario, Izaskun, Genaro, Schöni, Josu und Klimbim für einige Monate zusammen. Die Jugendlichen suchen in Büchern geistigen Halt, eine sichere Konstante in einem Umfeld zerrütteter Familien, Alkoholismus und Aggressivität und einer Zeit des politischen Umbruchs von der Franco-Diktatur zur Demokratie.

Fernando Aramburu hat acht Jahre an dem Roman geschrieben, der mit über 700 Seiten schon zur Kategorie des Opus gehört. Der Philologe und Sprachlehrer für spanische Emigrantenkinder im westfälischen Lippstadt hat bisher zwei Gedichtbände veröffentlicht. In "Limonenfeuer" bringt er seine Lust an Literatur und Sprache zum Ausdruck und setzt die Ereignisse atmosphärisch in Bilder um: "Seit vierundzwanzig Stunden blies dieser launische Wind. Am Morgen begleitete er mich zur Brauerei, er tollte um mich herum wie ein junger unvernünftiger Hund. [...] Ab und zu drang eine Bö in den Schuppen ein, und während sie wieder hinausfegte, nahm sie den Maschinendunst mit. Kurz vor Mittag spürte ich zum letzten Mal, dass er vorbeiwehte: ein Windstoß, der pfeifend zur Flaschenreinigungsanlage davoneilte."

Fernando Aramburu überspannt die kleine, überschaubare Welt seiner Figuren mit dem Universum der spanischsprachigen Literatur. Er zieht Fäden von Schriftstellern des 15. Jahrhunderts bis heute und verbindet sie mit den Stimmen der "Platte". Aus der Perspektive Hilario Goipocheas, dem Ich-Erzähler und Chronisten der Gruppe, nimmt der Leser teil an Gesprächen über Bücher, an Bibliotheksprüfungen und Persiflagen auf Werke namenhafter Autoren, einer Marotte Schönis. "An einem Nachmittag 'guillenierte' er beim Hereinkommen, er sprach also nach Art der Gedichte Jorge Guilléns: 'Frohe Botschaft! Die Fülle des Grußes! / Die Stadt in Hitze. Ich schwitze.'"

In krassem Widerspruch zu den feingeistigen Zügen steht die Gewaltbereitschaft der sechs Jugendlichen. Mit Sprachwitz und dichter, szenischer Erzählweise schildert Fernando Aramburu seine Helden als Rabauken und Querköpfe, die stets zu bitterbösen Streichen aufgelegt sind. Alle Schauplätze ihres Aktionsradius existieren wirklich. Auch gab es Ende der 70-er Jahre in San Sebastián eine literarische Gruppe namens CLOC, zu deren Mitbegründern der Autor gehörte.

Bücher, die von Lesern und Büchern handeln wie der "Der Club Dumas" von Arturo Pérez-Reverte (1995) oder "Das Haus der Schneekönigin" von Carmen Martín Gaite (1999), haben derzeit in der spanischen Belletristik Hochkonjunktur. Das Ende des Romans entspricht der barocken Tradition des desengaño. Enttäuscht über den ausbleibenden Erfolg fällt die Gruppe auseinander. Freundschaften zerbrechen wie das Fläschchen "Limonenfeuer", einem Gebräu aus Zitrone und Wermut. Nur für Genaro, den Opportunisten, gibt es ein glückliches Ende.

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Fernando Aramburu: Limonenfeuer. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000.
741 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3608934278

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