100 Kapitel zu Thomas Mann

Hermann Kurzke hat ein neues Buch über das Leben und Werk Thomas Manns geschrieben

Von Tobias KurwinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Kurwinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„49 Fragen und Antworten“, „Die 101 wichtigsten Fragen“ heißen die Bücher von Thomas Klugkist und Alfred von Schirnding, die durch das Leben und Werk Thomas Manns führen. Die Publikationen wollen Fragen beantworten, die in den Medien, in Kaffeepausen und in Schulklassen hartnäckig kursieren. Hermann Kurzkes neues Werk gehört ebenfalls in die Reihe dieser Bücher – erfüllt die Aufgabe kompilativer Darstellung aber gänzlich anders.

Keine Fragen, die von „Warum sind Thomas Manns Werke eigentlich so dick?“ bis zu „Wie reich war Thomas Mann?“ reichen, füllen Kurzkes „Thomas Mann. Ein Poträt für seine Leser“, sondern 100 kurze Kapitel mit kurzen Überschriften auf 250 Seiten. Intelligent und pointiert vermittelt und verknüpft der Mainzer Literaturwissenschaftler Biografie und Œuvre – wenngleich er das Leben dem Werk unterordnet: Die Kapitel sind jeweils einem der großen Werke subsumiert. Er hätte seine wahre Freude daran gehabt, der Leistungsethiker Thomas Mann.

So gelingt es Kurzke beispielsweise, dem Leser nicht nur auf weniger als zehn Buchseiten die Schönheit der in „marmorner Perfektion“ verfassten „Tragödie einer Entwürdigung“ nahezubringen, sondern ihm vor allem das Essentielle zu „Der Tod in Venedig“ an die Hand zu geben: Die Pointe dieser Erzählung sei, so Kurzke, dass die „Vorbildlichkeit“ ihres Protagonisten nicht standhalte, weil Aschenbachs antrainierte Haltung unter dem Ansturm der Leidenschaft zusammenbreche. In nuce: „Die Liebe zerstört […] seine Grammatik.“ Gewiss ist das nicht neu – derartig auf den Punkt gebracht hat man es aber selten gelesen.

Die weiteren Kapitel zur Venedig-Tragödie gehen auf den mythologischen Subtext, auf die Natur-Kunstgewalten Friedrich Nietzsches und auf den Bezug zur Biografie des Verfassers ein: So schreibt Kurzke von dem Ehrgeiz, der sowohl Thomas Mann als auch sein alter Ego charakterisiert, von dem Lebensverzicht, der Selbstknechtung um des Werkes willen und von den ungeschriebenen Erzählungen, die Mann seinem Gustav (von) Aschenbach vermacht.

Die Sprache Kurzkes ist dabei unprätentiös, versucht kurz und bündig das Entscheidende zu vermitteln und pointiert trotzdem über das Spiel mit Hypo- und Parataxe, über Bilder und Metaphern, die er wohl dosiert einsetzt.

Angehangen ist den 100 Kapiteln ein mit „Daten und Fakten“ überschriebener, chronologischer Abriss von Thomas Manns Leben. Kurzke bedient hier diejenigen, die das Gelesene zeitlich einordnen und über Jahreszahlen rekapitulieren möchten.

Hermann Kurzkes Buch funktioniert nicht zuletzt, weil er – gegen jedes literaturwissenschaftliches Trendgebaren – unbeirrt biografistisch arbeitet, weil er Charakteristika des Autors auf seine Figuren spiegelt und vice versa. Narratologische Kategorien wie Erzählerinstanz oder -perspektive berücksichtigt er nicht; für sein gelungenes Vorhaben, das „Entscheidende“ über das Werk Thomas Manns „auf knappstem Raum zu sagen“, benötigt er dies auch nicht.

Titelbild

Hermann Kurzke: Thomas Mann. Ein Porträt für seine Leser.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
240 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783406562594

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch