Kleine Kämpfe

Hans Falladas „In meinem fremden Land. Gefängnistagebuch 1944“ zeugt von einer geistigen Entgiftung

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 28. August 1944 feuerte Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nannte, im Streit mit seiner Frau einen Schuss ab. Die Ehe war längst geschieden, das Zusammenleben mit dem alkoholkranken, schwer depressiven Autor war Frau und Kindern nicht mehr zumutbar. Obwohl beide zu Protokoll gaben, dass keine Tötungsabsicht vorgelegen hätte, wurde Fallada in die Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz eingewiesen. Was zunächst wie ein Albtraum erschien, erwies sich im Nachhinein als Glücksfall: Dem Autor blieb so nicht nur der „totale Krieg“ der Nazis erspart, er konnte sich im Gefängnis auch von seiner Alkoholsucht kurieren und vor allem wieder schreiben: Sein jetzt erstmals veröffentlichtes Gefängnistagebuch ist ein erschütterndes Dokument, der verzweifelte Versuch auch einer geistigen Entgiftung.

In wenigen Tagen entstehen erst der Roman „Der Trinker“, dann Kurzgeschichten. Schließlich lässt der Autor alle Hemmungen fallen: Die jahrelang aufgestaute Wut über erlittene Schikanen, der Hass auf die Nazis und die Selbstverachtung für quälende Zugeständnisse brechen sich Bahn.

„Alle zehn Minuten etwa kommt ein Wachtmeister in meine Zelle, sieht neugierig auf mein Gekritzel und fragt mich, was ich schreibe? Ich sage: ‚Eine Geschichte für Kinder‘ und schreibe weiter. Ich verscheuche jeden Gedanken an das, was aus mir wird, wenn jemand diese Zeilen liest. Ich ahne das nahe Ende des Krieges, und vorher noch will ich niedergeschrieben haben, was ich erlebte: nach dem Kriege werden’s Hunderte tun.“

Falladas Aufzeichnungen waren bislang unveröffentlicht. Geschrieben unter Lebensgefahr in einer kaum entzifferbaren Mikroschrift, sind sie der verzweifelte Versuch, sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig zu entgiften. Ein erschütterndes Dokument: Falladas Erinnerungen an die Nazi-Zeit belegen, welch hohen Preis dieser Schriftsteller zahlen musste, der sich nach 1933 für die so genannte „innere Emigration“ entschied: vom Verlust der künstlerischen Integrität bis zur Flucht in Depression und Alkohol.

Doch ist das Manuskript nicht nur eine persönliche Abrechnung mit dem Regime, dem Fallada bescheinigt, aus Menschen willenlose „Puppen“ zu machen. Sondern bereits auch eine kalkulierte Rechtfertigung für die Zeit nach dem „Dritten Reich“. Falladas Behauptung, niemals Mitglied der Reichsschrifttumskammer gewesen zu sein, ist, wie man heute weiß, falsch. Unmittelbar nach Kriegsende schließlich nahm der Autor, damals von der Roten Armee in Feldberg als Bürgermeister eingesetzt, noch Glättungen und Entschärfungen an dem Manuskript vor, wie die Herausgeberinnen Jenny Williams und Sabine Lange aufzeigen. So tilgte Fallada nachträglich Passagen, in denen er, der bekennende „Philosemit“, selbst von einem „kleinen degenerierten Juden“ spricht oder antisemitische Klischees bestätigt.

„Ich habe nicht mitten im Tagesgeschehen gestanden, ich war nicht der vertraute Freund von Ministern und Generälen, ich habe keine großen Enthüllungen zu machen, ich habe das Leben wie alle gelebt, das Leben der kleinen Leute, der Massen. Und unser Leben hat, soweit wir keine Parteimitglieder waren, im Dritten Reich eben aus Streitereien bestanden, aus lauter kleinen Kämpfen, die wir durchfechten mussten, um unser Dasein zu erhalten. Nichts Großes geschah weiter.“

Fallada behandelt diese „kleinen Kämpfe“ über weite Strecken wie einen literarischen Stoff: In einem hoch emotionalen Ton voller Verbitterung, Empörung und Sarkasmus erzählt er Geschichten und Anekdoten aus dem Alltag im Nazi-Deutschland. Er berichtet vom Schicksal seines Verlegers Ernst Rowohlt, porträtiert Opfer und vor allem die Nutznießer des Regimes, die allgegenwärtigen „Speichellecker“ und Denunzianten. Und zeichnet dabei das Bild eines anfangs naiven, auch leichtsinnigen Autors, der, wie viele damals, Adolf Hitler lange nicht ernstnahm.

Fallada versuchte, die Zeit irgendwie zu überstehen, schließlich hatte er eine Familie zu ernähren. Dass er 1935 vorübergehend den Status eines „unerwünschten Autors“ erhielt, prägte ihn: So beschränkte er sich auf „seichte Unterhaltung“ und harmlose Kindergeschichten. Wie nahe er dabei den Machthabern kam, zeigen seine Erinnerungen an das Filmprojekt „Der eiserne Gustav“ – eine Auftragsarbeit. Auf direkte Anweisung von Propagandaminister Joseph Goebbels sollte Fallada den Schluss umschreiben und aus dem sturen Droschkenkutscher einen glühenden Nazi-Anhänger werden lassen.

„Ich liebe nicht die hohe Geste vor Tyrannenthronen, mich sinnlos, niemandem zum Nutzen, meinen Kindern zum Schaden abschlachten zu lassen, das liegt mir nicht; nach drei Minuten Überlegung nahm ich den Zusatz-Auftrag an. Was ich dann freilich mit mir zu Haus abzumachen hatte, steht auf einem anderen Blatt. Der Monat, durch den ich an diesem n[ationalsozialistischen] Schwanz schrieb, steht mit schwarzer Tinte umrandet in meinem Kalender, die Welt kotzte mich an, ich mich selbst aber noch mehr.“

Das Projekt scheiterte trotzdem, an Differenzen zwischen NS-Ämtern. Nur mit Unbehagen kann man Falladas Empörung darüber lesen, dass Goebbels, der „kleine Hinkepot“, dabei keinen Finger für seinen willfährigen Schreiber krumm gemacht habe. Mehrmals in Falladas Erinnerungen drängt sich einem der Verdacht auf, dass sich seine Einstellung zu den Nazis womöglich gewandelt hätte, wäre er als Autor mehr hofiert worden.

Schon früh zogen sich die Falladas aufs Land zurück, um Zumutungen des Regimes wie dem „erzwungenen Gruß“ zu entgehen. Vergeblich, wie sich zeigte. Bereits im April 1933 wurde der Autor für Wochen in Schutzhaft genommen: unter dem absurden Vorwurf, an einer „Verschwörung gegen die Person des Führers“ beteiligt zu sein. In Wahrheit wurde er das Opfer einer Denunziation seiner Wirtsleute in Berkenbrück, brave deutsche „Volksgenossen“, die an Fallada ihre Habgier befriedigen wollten.

Im mecklenburgischen Carwitz, Falladas geliebter „Murkelei“, erging es der Familie nicht besser. Auch dort musste sich der Autor gegen Verleumdungen missgünstiger Nachbarn oder Schikanen des Nazi-Bürgermeisters wehren. Seine Erinnerungen belegen eindringlich, wie sehr die NS-Herrschaft die Seelen der Menschen vergiftete und die schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein brachte. Das betrifft auch Fallada selbst: Sein Porträt von Peter Suhrkamp als „Erbschleicher“ und Nazi-Profiteur, der sadistisch den alten jüdischen Verleger Samuel Fischer gequält haben soll, basiert einzig auf zeitgenössischem Klatsch.

Mehrmals wettert Fallada in seinen Aufzeichnungen über die Exilautoren: Während diese „Narren draußen im Ausland“ bequem und gefahrlos lebten, seien Autoren, die wie er mutig in Deutschland geblieben waren, das „Salz der Erde“ gewesen – der Streit zwischen den Exilanten und den Autoren der „inneren Emigration“, der nach 1945 entbrannte, ist hier bereits vorgezeichnet. Für den Rückzug ins Private entwickelt Fallada ein ebenso eindringliches wie verräterisches Bild: die akribisch ausgemalte Wunschfantasie eines kafkaesken Baus tief unter der Erde. Ein perfekt ausgestatteter Dichterbunker, der der Familie ein harmonisches Überwintern ermöglicht – die in Wahrheit an dieser Zeit zerbrochen ist.

„Dann baue ich von dem Keller meines Hauses […] einen immer tiefer in die Erde hinabsteigenden Gang, und ich sichere ihn durch neun geheime, auch dem erfahrensten Auge völlig unkenntliche Türen […] Es ist aber kein hässlicher dunkler Erdgang, sondern schöne Steinstufen führen herunter, die Wände sind mit Sternen verkleidet, und elektrische Lampen leuchten von der gewölbten Decke herab. Unten kam [kommt] man in einen schönen Vorraum und von ihm gleich in das riesengroße Wohnarbeitszimmer, 20 m unter der Erde.“

Titelbild

Hans Fallada: In meinem fremden Land. Gefängnistagebuch 1944.
Aufbau Verlag, Berlin 2009.
333 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351028008

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