Zeiten der Verwirrung

In „Der Tag, an dem meine Tochter verrückt wurde“ berichtet Michael Greenberg von seinem eigenen Leben

Von Anabell SchuchhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anabell Schuchhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Am 5. Juli 1996 wurde meine Tochter verrückt.“ Mit diesem scheinbar emotionslosen Satz beginnt der amerikanische Autor Michael Greenberg das Buch, das den großen Wendepunkt seines Lebens beschreibt.

Seine Tochter Sally ist gerade fünfzehn und lebt mit ihrem Vater und dessen neuer Freundin Pat in einer Wohnung in Manhattan. Mehr oder weniger führt die kleine Patchworkfamilie ein recht normales, wenn auch manchmal etwas ungeordnetes Künstlerleben: Michael ist Schriftsteller, Pat Tänzerin und die pubertierende Sally geht noch zur Schule.

Doch dann beginnt der Alptraum: Sally wird von der Polizei nach Hause gebracht. Sie kann keinen klaren Satz mehr sprechen und redet nur noch wirres Zeug. Anfangs ist Michael noch der festen Überzeugung, dass sie Drogen genommen hat, doch der Zustand hält an. Er sieht keine andere Möglichkeit, als einen Arzt aufzusuchen und somit kommt Sally in eine geschlossene Psychiatrie. Es folgt eine Zeit, in der keiner der Protagonisten sein Leben in den Griff bekommen zu scheint: Sally steht unter medikamentösem Einfluss und hat nur wenige klare Momente. „Ich habe das Gefühl zu reisen, aber ohne Möglichkeit zur Umkehr“, lässt das Mädchen ihren Vater in einem solchen Augenblick wissen. Michael verbringt einen Großteil der Zeit in der Klinik, doch statt seiner Tochter wirklich helfen zu können, erscheint er hilflos und überfordert. Einerseits schämt er sich für die Umstände, andererseits beginnt er sein eigenes Leben aufzuräumen und zu hinterfragen. Freundin Pat wiederum stürzt sich in die Arbeit und zieht sich zurück. Dennoch scheint sie es zu sein, die als erstes wieder einen gewissen Zugang zu Sally gewinnt.

Greenberg versteht es, das Geschehene detailgenau wiederzugeben ohne den Leser dabei mit zu vielen Fachwörtern aus dem Bereich der Medizin zu langweilen – auch wenn der Schriftsteller diese mittlerweile sicherlich beherrscht – oder durch Einzelheiten des Erlebten zu erschlagen. Hin und wieder kommt das Erzählte jedoch auch etwas zu emotionslos daher. Dies liegt dann oft an dem Reportagenstil, den Greenberg an den Tag legt. In kurzen, knappen Sätzen berichtet er vom Geschehenen und macht so deutlich, dass alles auf Tatsachen beruht. Diese würden jedoch noch authentischer, wenn man etwas mehr über das Innenleben des Autors erfahren würde.

Dennoch lohnt sich die Lektüre dieses Buches. Die Geschichte von Michael Greenberg und seiner Familie macht deutlich, welche unbekannten Krankheiten es auch in der heutigen Zeit gibt und wie machtlos die Medizin noch immer sein kann. Zudem zeigt Sallys Fall einmal mehr, dass auch Psychosen als schlimme Krankheit anerkannt werden müssen und nicht zu unterschätzen oder mit Floskeln abzuhandeln sind.

Titelbild

Michael Greenberg: Der Tag, an dem meine Tochter verrückt wurde. Eine wahre Geschichte.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
285 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783455500370

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