Mit fremden Federn

Mit sogenannten Rezensionen aus einer sogenannten Redaktion behauptet Amazon.de literaturjournalistische Kompetenz. Doch nicht nur mit dem Anspruch ist es nicht weit her

Von Margarete Formella, Kim Krall und Janna SpeckenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Margarete Formella, Kim Krall und Janna Specken

Der nette Buchhändler droht zu verschwinden, ersetzt durch Konkurrenz aus dem Internet, die durch ihr unüberschaubares Angebot den Literaturinteressierten fast zu erschlagen droht. Im Kern, meist einer Suchmaschine für die eigene Bücher- und Bestelldatenbank, sind sich alle gleich. Um so verständlicher ist das Bemühen, sich in Optik und Inhalt von den anderen Online-Buchhändlern abzusetzen. Der Marktführer Amazon.de versucht es zum Beispiel mit Rezensionen, die dem Etikett nach exklusiv aus der hauseigenen Amazon-Redaktion stammen und dem Kunden die Kaufentscheidung erleichtern sollen: Ist das Buch lesenswert? Ist es anspruchsvoll oder trivial?

Die Amazon.de-Rezensionen selbst sind jedenfalls eher trivial, sie genügen keinem literaturjournalistischen Anspruch. Es sind größtenteils Inhaltsangaben oder lobhudelnde Ergüsse voller Phrasen wie „hochspannend“ und „unbedingt lesenswert“. Negative Wertungen findet sich in kaum einem dieser Texte. Dies verwundert allein schon deshalb kaum, da sie auch nicht der Information von Lesern dienen, sondern der Verkaufsanimation von Kunden. Mit welchen Titeln Amazon.de seinen Umsatz macht, ist für das Unternehmen unbedeutend, bei seinem breitgefächerten Publikum findet sowohl der Groschenroman wie jegliche Fachliteratur einen Käufer und ist damit eine Empfehlung wert.

Vorspiegelungen von Sorgfalt und Kompetenz

Warum schmückt sich Amazon.de bei dieser Beliebigkeit mit Etiketten, die kulturjournalistischen Anspruch suggerieren? Diese Frage hatten wir der Amazon.de-Redaktion stellen wollen, aber unser Kontaktversuch blieb unbeantwortet. Schließlich haben wir nach den Namen einiger Amazon.de-Rezensenten auf anderen Seiten gesucht und versucht, direkt über sie mehr über die Arbeit von und für Amazon.de zu erfahren. Auch hier erwies sich die Kontaktaufnahme als schwierig: Die Recherche führte uns zu Familienanschlüssen, Mailboxen und unabhängigen Redaktionsbüros. Wie arbeiten diese Leute überhaupt mit Amazon.de zusammen? Bei direkten Fragen zu Amazon.de hielten sich die meisten von ihnen sehr bedeckt. So viel immerhin haben wir erfahren: Statt fest angestellten und zusammen arbeitenden Redakteuren, die Bücher lesen und rezensieren, beschäftigt Amazon.de nur freie Mitarbeiter.

Der Verdacht liegt also nahe, dass die literaturjournalistische Kompetenz von dem Portal nur vorgetäuscht wird: Amazon.de will mit typischen Signalwörtern für Sorgfalt und Kompetenz – wie „Redaktion“ und „Rezension“ – auch bei denjenigen punkten, denen das Unternehmen vorher eher unseriös vorkam. Wie deplaziert die Vokabel „Rezensionen“ hier ist, wird endgültig klar, wenn sie auch über der Produktbeschreibung für einen Wasserkocher zu finden ist, der sich auf Amazon.de ebenfalls erwerben lässt.

Literaturjournalismus ist übertrieben

Eine Amazon.de-Redaktion gibt es also nicht. Wohl aber das Interesse des Unternehmens, sich mit redaktionellen Inhalten zu profilieren. In der Aufbauphase von Amazon.de hatte das Unternehmen sogar Kontakt zum Rezensionsforum literaturkritik.de aufgenommen. Der damalige Chef von Amazon.de hatte sich 1998 für eine mögliche Einbindung von hier zusammengetragenen Buchkritiken auf der Buchhandelssite interessiert, wie sich Thomas Anz, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Marburg und Herausgeber des Rezensionsforums, erinnert. Die Kooperation kam allerdings nicht zustande – vielleicht, weil sich Amazon.de schnell andersartig profilieren konnte, vielleicht aber auch wegen des qualitativen Unterschieds der Rezensionen von literaturkritik.de, die im Vergleich zu den Empfehlungen auf Amazon.de akademisch und damit fremd gewirkt hätten.

Andere Online-Buchhändler wollen auf literaturjournalistische Expertisen nicht verzichten: Buecher.de bietet Rezensionen aus der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, und Libri.de veröffentlicht immerhin die Rezensionen von Buchhändlern. Vor etwa drei Jahren hat der Konzern Buchhändler aufgerufen, aus ihrem Rezensionsfundus Beiträge für libri.de zur Verfügung zu stellen. Die besten drei Buchhandlungen wurden prämiert, und die Website verfügt seitdem über einen reichen Schatz an Rezensionen, mit dem sie sich trotz schlecht besuchter Community-Foren einigermaßen gegen Amazon.de behaupten kann. Doch auch diese Texte sind von journalistischen Laien geschrieben, und auch sie sollen lediglich den Kunden zum Kauf animieren. Eine Buchhändlerin, die sich unter den von Libri.de Prämierten befand, gibt es offen zu, als wir sie zu den Qualitäten der Rezensionen befragten: „Literaturjournalismus ist übertrieben.“