Wenig zu gruseln in Berlin

Sarah Khan ist in „Die Gespenster von Berlin“ unterwegs und verwebt Berichte von unheimlichen Begegnungen mit Recherchen zur Stadtgeschichte und literarischen Erzählungen

Von Frauke LengermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Lengermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Gespensterreporterin: „Bist du Wessi oder Ossi?“ Gespenst: „Ich bin von trauriger Gestalt.“ So klingt es, wenn die selbst ernannte Geisterjägerin Sarah Khan in Berlin astrale Wesen „interviewt“: Während die Reporterin einen knallharten Fakten-Check betreibt, antwortet das Gespenst mit angemessen spiritueller Vagheit. Die in Berlin lebende, freie Autorin Khan wagt sich in ihrem vierten Buch an ein Sujet, das sich seit jeher größter Beliebtheit erfreut: Gespenstergeschichten. Die Formel für eine gute Geistergeschichte ist stets dieselbe: Je mysteriöser, desto besser. Das lässt viel Raum für lustvolles Fantasieren und fasziniert-gegruseltes Erschaudern aus sicherer Entfernung. Das Spektrum der Literatur, die sich mit jenseitigen Phänomenen beschäftigt, ist riesig- und von entsprechend unterschiedlicher Qualität. Ob regionales Sagentum wie Theodor Storms „Der Schimmelreiter“, groteske Kurzgeschichten wie etwa Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“, Horror-Romane von Stephen King, Mystery-Serien wie „Ghostwhisperer“ oder „Lost“ – all diesen Geschichten ist gemein, dass sie mit der menschlichen Sehnsucht nach dem Geheimnis spielen, in einer von Wissenschaftsgläubigkeit geprägten, entzauberten Welt. Gibt es da nicht vielleicht doch mehr zwischen Himmel und Erde, als wir uns vorstellen können- natürlich glaubt niemand an Gespenster, aber hat man nicht schon diese Geschichte gehört, die dem Freund von Sowieso zugestoßen ist?

In diese Kerbe schlägt Khan und erzählt in vierzehn Geschichten von erstaunlichen Vorkommnissen in und um die deutsche Hauptstadt. Zu ihrem Material findet sie auf unterschiedliche Weise: Durch zufällige Begegnungen, Hinweise von Freunden oder Bekannten oder aber sie geht eigenen Eindrücken nach und befragt gegenwärtige oder ehemalige Hausbewohner.

Was die 1971 in Hamburg geborene Autorin vor der Banalisierung ihres Sujets bewahrt, ist die ergänzende Recherche in alten Archiven, Geburtsregistern, Liegenschaftsämtern und anderen historischen Quellen, die Wissenswertes zutage fördert. Durch die Einbettung in einen stadtgeschichtlichen Kontext versucht Khan einen Erklärungsansatz für das unheimliche Geschehen herauszuarbeiten. Und da es sich bei herumirrenden Geistern dem verbreiteten Volksglauben gemäß um unglückliche Seelen handelt, die nicht zur Ruhe kommen können, werden die kolportierten paranormalen Phänomene mit den oftmals tragischen Schicksalen der Verlierer der deutschen Geschichte in und um Berlin verknüpft. Da ist zum Beispiel die Geschichte des glücklosen, verliebten Dienstmädchens aus der Invalidenstraße, das eine Affäre mit seinem Dienstherrn hat, der Tuberkulose zum Opfer fällt und auf dem Armenfriedhof der Charité ein dürftiges Grab bekommt. Ihr Leiden – und das vieler anderer – hat die Gemäuer der Orte, an denen sie gelitten haben, gewissermaßen durchtränkt. In den Geschichten vergällen die Wiedergänger den nachfolgenden Generationen das Leben, wenn sie nicht sogar verantwortlich für das Scheitern von Beziehungen jung-dynamischer Künstlerpärchen am Prenzlauer Berg sind.

Der Ton, in dem Khan von ihren Begegnungen und den Geschichten erzählt, ist distanziert-pragmatisch, zum Teil schnodderig, möglicherweise, um jeden Verdacht sentimental-esoterischer Anwandlung im Keim zu ersticken; da heißt es lakonisch über eine Figur: „sie bekam furchtbar Gruselschiss“. Leider ergibt sich daraus eine starke Dissonanz zwischen Stil und Sujet. Die rasende Gespensterreporterin nimmt durch ihre cool-pragmatische Sprache mit dem Anspruch eines unsentimentalen „Tatsachenberichts“ dem Text jenes Potential, das in einem schwebenderen, zarteren Ton gelegen hätte. Die skeptische Pose, die nötig zu sein scheint, um die Glaubwürdigkeit der faktenorientierten Geisterjägerin nicht zu unterwandern, schnürt jedes polyvalente Schillern ins enge Korsett der Faktizität und treibt der Gespenstergeschichte den Geist aus.

Das Buch entbehrt an einigen Stellen gewiss nicht der Komik, etwa wenn ein Geist in der ehemaligen DDR imstande ist, Stasi-Wanzen zu lokalisieren oder Khans selbstironisch erzählter Fehlversuch, im Künstlerhaus Bethanien Geisterbotschaften unter Zuhilfenahme von fließendem Wasser auf Tonband zu bannen – das Ergebnis: „plätscher plätscher plätscher“. Auch die Verflechtung des Erzählten mit anderen literarischen Texten, wie etwa Fontanes „Stine“ und „Von Zwanzig bis Dreißig“ ist durchaus gelungen.

Diese Exkursionen können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Geschichten einfach im Belanglosen versanden, aufgeplustert durch diesen oder jenen (zugegebenermaßen zum Teil sehr kreativen) Einfall der Autorin, der nicht zu einem Ergebnis bei der detektivischen Arbeit der Geisterjägerin beiträgt und auch nicht unterhält. In manchen Fällen gelingt es der Autorin kaum, Interesse an ihren Figuren zu wecken. Warum Khan so erpicht ist auf die Erstellung des Psychogramms eines bibliophilen Messies in „Die Geisterbestellung“ bleibt schlicht rätselhaft. Verrückte gibt es in dieser Welt nun wahrlich genug, wenigstens interessant sollten sie sein.

Titelbild

Sarah Khan: Die Gespenster von Berlin. Unheimliche Reportagen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
190 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783518461167

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