Macht und Wirkung der Rhetorik
Brian Vickers’ Verteidigung der Rhetorik erscheint endlich in deutscher Übersetzung
Von Dietmar Till
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBrian Vickers ist einer der ganz Großen der Rhetorikgeschichtsschreibung. Seit seiner Doktorarbeit über „Francis Bacon and Renaissance Prosa“, 1968 bei der altehrwürdigen Cambridge University Press erschienen, ist die Rhetorik einer seiner Forschungsschwerpunkte. Vickers gehört zu den Gründern der „International Society for the History of Rhetoric“, die 1977 in Zürich ins Leben gerufen wurde, wo er fast zwei Jahrzehnte den Lehrstuhl für englische Literatur inne hatte.
1988 erschien Vickers’ rhetorikhistorisches Hauptwerk mit dem kämpferischen Titel „In Defence of Rhetoric“. Es will die Rhetorik gegen die Anfeindungen der Philosophie verteidigen, gegen die Missinterpretation rhetorischer Begrifflichkeiten im Kontext der dekonstruktivistischen Rhetorikrezeption in Schutz nehmen und zeigen, welch kaum zu überschätzenden Einfluss die Rhetorik auf die Literatur seit der Antike ausgeübt hat. Obwohl vor mittlerweile über 20 Jahren erschienen, ist Vickers’ Werk immer noch frisch und absolut lesenswert. Um so erfreulicher ist es, dass sich der Lit-Verlag zu einer Übersetzung des Werkes ins Deutsche entschlossen hat. Bedauerlich ist dabei, dass man sich nur zu einer Teilübersetzung durchringen konnte, die nur knapp ein Drittel des Ursprungstextes bietet. Auf diese Weise sind so spannende und forschungsgeschichtlich wegweisende Kapitel über die mittelalterliche Fragmentierung rhetorischen Wissens, die Neuentdeckung der Rhetorik im Renaissance-Humanismus, über den tiefgreifenden Einfluss rhetorischer Kategorien auf Musik und Kunst und das herrlich polemische Schlusskapitel über die ‚Zukunft der Rhetorik‘ entfallen.
Übrig geblieben sind drei Kapitel, die gleichwohl für die Theorie der Rhetorik, wie sie in der griechischen Antike zuerst formuliert wurde, zentral sind: Ein Überblick über die Rolle der Rhetorik in der griechischen und römischen Kultur, eine Darstellung des rhetorischen Systems der Textproduktion sowie Kapitel über die emotionserzeugende Kraft rhetorischer Figuren. Letzteres wird in der Praxis an Beispielen aus den europäischen Literaturen gezeigt; die Erweiterung dieses Kapitels gegenüber der Urfassung ist der einig substanzielle Zuwachs. Bieten die Theorie-Kapitel solide und hervorragend geschriebene Überblicke über die Theorie der Rhetorik, so ist es vor allem das Kapitel „Die expressive Funktion der rhetorischen Figuren“, das nachdrücklich zur Lektüre empfohlen sei. Gegen das verbreitete Vorurteil, die rhetorische Figurenlehre mit ihrer komplizierten Nomenklatur sei langweiliges und ödes Zeugs, ruft uns Vickers nachdrücklich ins Gedächtnis, dass Figuren nach antiker Vorstellung die für die intendierte Wirkung einer Rede entscheidende Funktion der Affekterregung als „letztes und entscheidendes Glied im Überzeugungsprozess“ haben. Sie sind „mimetischer Ausdruck spezifischer, klar definierter Gefühlszustände“. Will der Redner überzeugen, dann nicht nur durch Argumente, sondern vor allem durch Einwirkungen auf die Affekte der Zuhörer. Darauf hinzuweisen ist wichtig, weil in der strukturalistischen Rhetorikrezeption seit den 1960er – Jahren die Figurenlehre um den entscheidenden Wirkungsbezug kupiert wurde. Ein Katalog ausgewählter Figuren schließt, nicht anders als in jedem frühneuzeitlichen Lehrbuch, den Band ab, der dadurch auch als Werkzeug für die Textanalyse brauchbar ist.
Es ist zu begrüßen, dass wichtige Teile von Vickers mittlerweile schon ‚klassischer‘ Monografie nun auch in deutscher Übersetzung vorliegen. Man wünscht dem gut übersetzten Buch viele Leser. Wenn am Ende allerdings der gute Eindruck getrübt bleibt, dann einzig aufgrund der Tatsache, dass der Verlag nicht den ‚ganzen Vickers‘ übersetzen ließ.