Den Vorhang zu und alle Fragen offen

In Reinhold Neven Du Monts Debütroman ist „Die Villa“ im Münchener Umland nur eine Theaterbühne

Von Meike BlatzheimRSS-Newsfeed neuer Artikel von Meike Blatzheim

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn von Reinhold Neven Du Monts Debütroman „Die Villa“ tritt der Ich-Erzähler auf die leere Bühne. Es ist in älterer, gediegener Herr, Theaterkritiker, der über sich selbst sagt: „Ich habe keine Macht, aber ich habe Einfluss. Wenn ich eine Aufführung lobe, sind die nächsten Vorstellungen ausverkauft. Schreibe ich einen Verriss, kann sich das Stück nicht lange auf dem Spielplan halten.“ Auch wenn Neven Du Mont nicht Kritiker, sondern verdienter Verleger ist – das Bild des gealterten Patriarchen, der Erzähler ebenso wie Autor sein könnte, ist sogleich da.

Ein älterer Herr, der im Sessel sitzt und „mit einer Art zwanghaftem Vergnügen“ die Todesanzeigen in der Zeitung liest – bis er auf einen Namen stößt, der Erinnerungen weckt. Elisabeth Lauterbach ist gestorben, Hausherrin jener Villa am See, in der der Erzähler dreißig Jahre zuvor einen unvergesslichen Sommer verbrachte und tief in die Familiengeschichte der Lauterbachs eintauchte. Elisabeth Lauterbach, in die er sich unsterblich verliebte. Auf der Beerdigung, auf der er nur „Zaungast“ ist, „ganz wie damals“, beschließt der Erzähler, zu vollenden, was er in jenem Sommer 1952 begann: seine Geschichte aufzuschreiben.

„Nimm alles, was um dich her geschieht, als Schauspiel, dessen einziger Zuschauer du bist“, begrüßt Leon, Sohn des Hauses, den Erzähler, der als Student der Kunstgeschichte in die Villa kommt, um in einem Sommerjob die Bibliothek herzurichten. In diesem Ratschlag steckt ein Gutteil dessen, was Neven Du Monts Erzählprojekt ausmacht. In den fünfundzwanzig Kapiteln des Romans treten die Figuren, die Familienmitglieder und Hausangestellten, deren Schicksal Neven Du Mont von der Kaiserzeit bis in die 1950er-Jahre verfolgt, auf den knarzenden Holzdielen der Villa auf und ab. Kurz stellen sie sich vor, sprechen routiniert ihren Monolog, drehen sich noch einmal um die eigene Achse und verschwinden im Dunkel.

Eine große, eine alles überspannende Geschichte fehlt. Das Familienleben kommt in anekdotischen Episoden auf die Bühne, die bestenfalls lose verknüpft sind. Geschwisterzwist, uneheliche Kinder, tragische Todesfälle, das alles kommt vor wie in jeder großbürgerlichen Familie, hat meist aber wenig Folgen. Einen Rahmen könnte die leidenschaftliche Liebe des Ich-Erzählers zu Elisabeth Lauterbach bilden. Über lange Strecken gerät diese aber in Vergessenheit – wie der Erzähler selbst. Nach dem Eingangskapitel erfahren wir nur noch wenig über ihn, einige familiäre Hintergründe, sein amouröses Ungeschick mit gleichaltrigen Mädchen, das war’s. Der Erzählton wird zunehmend auktorial und die Bemerkung des Erzählers, er habe wie ein Restaurator, „der an einem alten Fresko arbeitet, die Konturen nachgezogen, verblichene Stellen mit neuer Farbe aufgefrischt, ja verloren gegangene Partien hinzugefügt“, schmeckt mehr nach Entschuldigung als nach Erklärung.

Starke Momente hat der Roman trotzdem, aber sie finden sich eher im Kleinen. Manchmal gelingen Du Mont atmosphärische Schilderungen der Villa. Die kurze Skizze einer Person verrät uns mehr als die auserzählte Anekdote, wenn es beispielsweise über Leons ältere Schwester Ingrid heißt: „Auch Ingrid wurde an einem Sonntag geboren. Sie ließ sich Zeit, als hätte sie gewusst, dass in der Welt da draußen nicht das große Glück auf sie wartete. Der Tag war allerdings schlecht gewählt, es war der Totensonntag.“ Eine Reihe von Figuren lässt sich ausmachen, bei denen etwas bleibt, das über das Episodenhafte hinaus einen Zusammenhang andeutet. Das Übersinnliche spielt eine gewisse Rolle, verbindet die riesenhafte Flüchtlingsfrau Frau Pitter, die im Garten der Villa Zeichen aus trockenen Zweigen legt, mit dem Gelehrten Erasmus Donat und seinen Vorträgen über fernöstliche Meditation mit der Hausangestellten Agathe, deren Aberglauben und der „Eichhörnchenseele“. Über diese, nicht lückenlos aufzuklärende Vorkommnisse mehr erfahren zu können, hätte dem Roman Leben einhauchen können. Stattdessen ist „Die Villa“ zum Bühnenbild erstarrt. So stehn wir selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Titelbild

Reinhold Neven Du Mont: Die Villa. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
315 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783406582424

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