Die „allemannische Drossel aus dem Schwarzwald“

Die Johann Peter Hebel-Biografien von Bernhard Viel und Heide Helwig

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 10. Mai jährt sich der Geburtstag des Dichters, Theologen und Pädagogen Johann Peter Hebel zum 250. Mal. Rund um das Jubeljahr des von Goethe und Jean Paul geschätzten Zeitgenossen, den im 20. Jahrhundert Franz Kafka, Walter Benjamin, Kurt Tucholsky oder Bert Brecht, Ernst Bloch, Martin Heidegger oder Elias Canetti ebenso würdigten wie in unseren Tagen etwa Ulrike Draesner oder der aktuelle Hebel-Preisträger Arnold Stadler, um nur zwei aus der langen Liste der Verehrer zu nennen – zu seinem runden Geburtstag also sind eine Reihe von Publikationen auf den Markt gekommen, die dazu anregen, sich mit dem Autor des „Rheinischen Hausfreunds“, der Erzählung „Unverhofftes Wiedersehen“ und der „Alemannischen Gedichte“ wieder eingehend zu befassen. Allen voran sind die beiden sich gut ergänzenden Hebel-Biografien von Heide Helwig und Bernhard Viel dazu angetan, sich auf die Spuren des „Aufklärers und Moralisten im Dienst der Volksbildung“, so Viel in seiner „ideen- und literaturgeschichtlich orientierten“ Biografie, zu machen.

Johann Peter Hebel wurde 1760 in Basel geboren, wo seine Eltern Bedienstete reicher Leute waren. Hebels Mutter entstammte einer Kleinbauernfamilie aus Hausen im Wiesental, der Vater ursprünglich aus dem kurpfälzischen Simmern. Das Leben der Familie teilt sich in mehrmonatige Aufenthalte in Hausen im Wiesental und die Dienstzeit in Basel auf.

„Es war ein kurzes Glück, wenn es Glück war, das die Eltern verband“, notiert Arnold Stadler gewohnt pointiert in seinem Essay über Hebels „Die Vergänglichkeit“, um dann sogleich die Begründung zu bringen: „Hebel ist gerade etwas mehr als ein Jahr alt, als sein Vater stirbt. Und auch die Mutter wird nur noch ein starkes Jahrzehnt dasein. In Gegenwart Hebels auf dem Nachhauseweg stirbt sie, während eines Halts zwischen Brombach und Steinen 1773. Hebel ist mit 13 Jahren Vollwaise. Dennoch und gerade deswegen wird sich Hebel mit einer lebenslänglichen Anhänglichkeit an seine frühe Zeit erinnern.“

Ein kleines Erbe ermöglichte Hebel ab 1774 den Besuch des Karlsruher Gymnasium illustre. Vier Jahre später studierte Hebel in Erlangen, wo er 1780 sein Theologiestudium abschloss. Nach einer Hauslehrerstation wurde er Hilfslehrer in Lörrach am dortigen Pädagogikum. Aushilfsweise musste er, der sich lebenslang nach einer eigenen Pfarrstelle sehnte, immer wieder predigen. Ab 1791 wurde Hebel Subdiakon am Karlsruher Gymnasium illustre mit Predigtpflicht, Ende 1792 Hofdiakonus und 1798 schließlich Professor der dogmatischen Theologie und der hebräischen Sprache. Ende 1805 erfolgte die Ernennung zum Kirchenrat. Hebel wurde schließlich auch Direktor des Lyzeums und stieg in der kirchlichen Hierarchie auf. 1819 wurde er Prälat der evangelischen Landeskirche und kurzzeitig sogar Sekretär der Ersten Kammer des Landtages im Jahre 1823. Hochgeehrt starb er auf einer Reise zu Schulprüfungen in Mannheim und Heidelberg am 22. September 1826 in Schwetzingen „an Darmverschluss, Durchbruch und Bauchfellentzündung infolge einer Darmkrebserkrankung“, wie Helwig schreibt.

Es sind die von Arnold Stadler knapp erwähnten frühen Tode des Vaters und vor allem der der Mutter, die für Bernhard Viel der Schlüssel zum Werk Hebels sind. Viel betont dabei gleich zu Beginn, Theodor Heuss zitierend, die „sehr vielschichtige Natur“ Hebel, „eine, fast möchte ich sagen, gespaltene Erscheinung“ und akzentuiert: „Denn in dieser Erfahrung verstärkt sich alles, was in ihm angelegt ist: die Bescheidenheit, das Schuldgefühl, aber auch der Ehrgeiz, der Wille zum Aufstieg, die Frömmigkeit. So tritt hinter der honorig-gemütlichen Erscheinung Hebels, deren sichtbarer Habitus nebst Tabakspfeife auch von Carl Spitzweg hätte entworfen sein können, ein hochkomplexer, von auseinanderstrebenden Impulsen geprägter Charakter hervor, der die geschlossene Weltordnung der christlichen Theologie ebenso brauchte wie seinen festen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung, um nicht zu zerfallen wie Hölderlin oder zu implodieren wie Kleist.“

Viel verfolgt die Spuren der „allemannischen Drossel aus dem Schwarzwald“, wie der von Hebel hoch verehrte Jean Paul seinen Leser als Dichter der „Alemannischen Gedichte“ genannt hat, weitgehend chronologisch, dabei auch viel, manchmal allzu viel, historische Details rund um das Großherzogtum Baden ausbreitend, während Helwig in ihrer Biografie zeitlich vor- und zurückspringt, was es dem Leser, der mit Hebel nicht so vertraut ist, wiederum nicht immer leicht macht.

Während Bernhard Viel Hebels platonische Beziehungen zu Gustave Fecht, Sophie Haufe und der als Künstlerin gefeierten Henriette Hendel-Schütz aus dem „Trennungstrauma“, ausgelöst durch den Tod der Mutter, begreift, vermeidet Heide Helwig psychologisierende Folgerungen. Gleichwohl beschreibt sie die Verhaltensmuster Hebels ähnlich. So zeigt sie, dass Hebel zur Nähe stets auch der Ferne bedurfte – nicht nur im Verhältnis zu den drei Frauen, zu denen er engere Beziehungen pflegte, allen voran Gustave Fecht, sondern auch mit Blick auf andere, etwa Jean Paul. Immer wieder entzieht sich Hebel geschickt durch „Ausweichmanöver“ – einen Zug, den Helwig auch in den Briefen Hebels kenntlich macht: „Reich an poetischen Miniaturen sind Hebels Briefe, die das Werk umrahmen und erläutern, aber auch mehr als alles andere zur Person des Dichters hinführen, der freilich seinerseits ein eifriger, lustvoller Hin- und Herträger zwischen Fiktion und Leben ist.“

Besonders Hebels Briefe an Gustave Fecht, über 35 Jahre „viel an treuer Freundschaft, wenig an Gefühlsdramatik“, sind – so Helwig – „sorgfältig komponiert als Lesefreude“ und „das ich, das Hebel dabei ins Spiel bringt, ist auf eben jenes Ziel hin bearbeitet und modelliert.“

Nicht weniger modelliert sind seine Texte, wenn er – so Bernhard Viel – „in zwei Sätzen existenzielle Grundwahrheiten mit der pfiffigen Beiläufigkeit eines Jahrmarkts-Moritatensängers feilbietet“, ob in „Kannitverstan“ oder eben in einer “wüsten, irrsinnigen Geschichte mit dem harmlos-unheimlichen Titel ‚Wie eine greuliche Geschichte durch einen gemeinen Metzgerhund ist an das Tageslicht gebracht worden‘“. Während Viel den „Aufklärer und gläubigen Moralisten im Dienst der Volksbildung“ betont, beleuchtet Helwig mit genauem Blick für die Zeitgenossen um Hebel „das Genie im Abseits“. Sie begleitet den „Flaneur“ in Gedanken, der „aus verachtetem Alltagsdialekt Poesie zaubern, aus Alltagsbanalitäten Witz und aus alten Geschichten Funken neuer Spannung schlagen“ kann.

Beide Biografien ergänzen sich und machen auf je eigene Weise das Faszinosum Hebel anschaulich, nämlich die Anziehungskraft seiner Texte, die nach einem Wort von Wolfgang Frühwald „heute in der Schule die Zehnjährigen genauso gut“ erreicht wie „große Dichter, z.B. Elias Canetti, und überhaupt alle gebildeten Menschen“.

Und dies mag ein Kennzeichen von „Weltliteratur“ sein, wie sie – so Helwig einleitend – Hebel geschrieben hat. Dabei lebt der „Flaneur im Geiste“ alles andere als „ein Abenteurer- und Vagabundenleben“. Jedoch gilt: „Hebels Heimat war die Welt. Die Welt der Dichtung. Das Alemannische seine Weltsprache“, wie der diesjährige Johann Peter Hebel-Preisträger Arnold Stadler in seinem Essay in der ihm eigenen Lakonie bemerkte.

Insofern sind auch beide Biografien bestens dazu angetan, Hebels Einsicht aus „Die Vergänglichkeit“ „’s chunnt alles jung und neu, und alles schliicht sim Alter zue, und alles nimmt en End und nüt stoht still“ für dessen eigene Texte zu falsifizieren, denn diese schleichen gewiss nicht ihrem „Alter“ zu.

Titelbild

Bernhard Viel: Johann Peter Hebel. oder Das Glück der Vergänglichkeit. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
296 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406598364

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heide Helwig: Johann Peter Hebel. Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2010.
366 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446235083

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch