Die Versuchung, zu verzweifeln

Zur Neuausgabe von Georges Bernanos’ Debütroman „Unter der Sonne Satans“

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den meisten wird Donissan in der Darstellung von Gerard Depardieu in Erinnerung geblieben sein: Der französische Schauspieler verkörperte die Figur des katholischen Geistlichen 1987 in Maurice Pialats Drama „Unter der Sonne Satans“. Ein Jahr später erhielt der Regisseur bei den 40. Internationalen Filmfestspielen in Cannes dafür die Goldene Palme. Die Grundlage seines Films war der gleichnamige, 1926 unter dem Titel „Sous le Soleil de Satan“ erschienene erste Roman des Schriftstellers Georges Bernanos (1888-1948), einem der Hauptvertreter der „Renouveau catholique“.

In seinem Film hebt Pialat die karge und düstere Atmosphäre der in Nordfrankreich angesiedelten Landschaft hervor. Es gelingt ihm, die Kälte und Distanz auch zwischen den verschiedenen Akteuren gut einzufangen. Dabei taucht er den Film in ein mattes, trübes Licht, so dass das Geschehen insgesamt unwirklich und wie in einem Zwischenreich angesiedelt zu sein scheint. Auch reduziert Pialat die Ereignisse für den Film und konzentriert sich mit wenigen Ausnahmen auf die „äußere“ Handlung.

In diesem Punkt jedoch unterscheiden sich das Buch und seine Verfilmung. Denn Bernanos’ Roman schafft es die, von Pialat betonte Schwere und Düsternis der Atmosphäre auszugleichen. Durch die plastische Darstellung der unterschiedlichen Figuren wirkt er lebendiger als der Film: Der Leser erhält einen guten Einblick in das Leben und Denken von Individuen, deren Stärken und Schwächen präzise offen gelegt werden. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich sie mit ihren Emotionen umgehen beziehungsweise wie stark sie von ihren Wünschen und Ängsten geleitet werden, ohne sich dessen stets bewusst zu sein.

Bei den angedeuteten Figuren handelt es sich um die 16-jährige Brauerstochter Germaine Malorthy, genannt Mouchette, um den verarmten Marquise de Cadignan und den um Karriere bemühten Landarzt und Abgeordneten Gallet. Donissans Vorgesetzter, der aufs Land abgeschobene Abbé Menou-Segrais, erscheint in seiner Zeichnung schließlich genauso real und überzeugend wie der – im Film gestrichene – neugierige Schriftsteller Saint-Marin, der, betrachtet man seine Vita, dem französischen Romancier Joris-Karl Huysmans (1848-1907) nachempfunden zu sein scheint: Nach einem erfolgreichen Leben, das voller Skandale und Ausschweifungen gewesen ist, spürt Saint-Marin sein nahes Ende und wünscht, sich dafür in die Provinz und den Glauben zurückzuziehen.

Bernanos’ Debütroman ist besonders stark in der Beschreibung der Innenperspektive dieser Menschen, vor allem des Kaplans Donissan, der Schilderung seines inneren und äußeren Ringens um ein reines, gottgefälliges Leben – eines Ringens, das alle seine Kräfte verzehrt, da er immer wieder der Versuchung zu erliegen droht, zu verzweifeln und „Satan“ den Sieg über sich erringen zu lassen.

Wenn man wollte, könnte man „Unter der Sonne Satans“ auch als ein Triptychon ansehen, das sich auf die Figuren der Mouchette, Donissans und Saint-Marins konzentriert und sie nacheinander vorstellt, wobei sich das junge Mädchen und der Schriftsteller in ihrer Art ähneln und den Kaplan gewissermaßen flankieren. Bestärkt wird diese These auch durch die Dreigliederung im Aufbau des Romans. Eröffnet wird Bernanos’ Buch mit einem Vorspiel, in dem die „Geschichte der Mouchette“ erzählt wird. In ihren jungen Jahren hat sie gleichzeitig zwei Liebhaber, die nichts voneinander wissen und denen sie mit ihren Halbwahrheiten, Anspielungen und Drohungen das Zusammensein schwer macht. Beschrieben wird sie als geschickt und instinktsicher, „heimtückisch gelehrig“ und „geduldig im Sammeln von Erkenntnissen“. Schließlich ist sie „niemals zufrieden, bevor sie nicht gelernt hat, auch ihrerseits Schaden zu stiften“.

Donissan dagegen wird zu Beginn als „Tölpel“ bezeichnet. Er erscheint groß und schwer, unbeholfen und schüchtern, ja unfähig, als Geistlicher zu wirken. Doch, so heißt es gleich danach, „in seinen schon immer bedrückten und selbst ängstlichen Blick trat plötzlich ein solcher Ausdruck von Traurigkeit, von herzzerreißender Demut, dass das grobe Gesicht davon erstrahlte“. So sehr der Kaplan anfangs von seinem Vorgesetzten und den Gläubigen auch belächelt wird, seine schonungslose Aufrichtigkeit, seine starken Zweifel an sich selbst und der Stärke seiner Frömmigkeit, vor allem aber sein Ringen um Wahrheit und Gotteserkenntnis lassen ihn mehr und mehr ihre Achtung gewinnen, so dass seine Predigten bald gut besucht werden und die Abnahme der Beichte bei ihm besonders gefragt ist. Dabei geht Donissan, der später, im dritten Abschnitt, von der Bevölkerung den Titel eines „Heiligen von Lumbres“ verliehen bekommt, in seinen Gebeten und inneren Monologen mitunter hart mit seiner Umgebung ins Gericht.

Warum, stellt sich die Frage, urteilt Donissan so streng über die Menschen? Für ihn, der nach dem mittelalterlichen Vorbild versucht, ein „heiligengleiches“ Leben zu führen, der fastet, sich geißelt und Bußgewänder unter dem Talar trägt, erscheinen die anderen umso „unreiner“ und „sündhafter“, je mehr er seinem Kräfte zehrenden Ideal näher zu kommen glaubt. Der Ansturm der seiner Meinung nach oberflächlichen Gläubigen, die tägliche Arbeit für sie als Geistlicher und der ständig an ihm nagende Selbstzweifel erschöpfen ihn. Hinzu kommt später, im zweiten Abschnitt, eine Fähigkeit, die er eines Nachts erhält, als er ein Dorf suchend sich verirrt und vom Weg abkommt: In einem Pferdehändler, der plötzlich auftaucht und sich zu ihm gesellt, offenbart sich ihm Satan persönlich. Dieser ringt mit dem Geistlichen, ohne ihn zu bezwingen, verleiht ihm aber die Gabe, in die anderen hineinzusehen, um ihn auf diese Weise zu versuchen, zur Verzweiflung zu bringen und also zur Abkehr von Gott zu bewegen.

Der Kaplan, der nach diesem Erlebnis zusammenbricht und nach einem Klosteraufenthalt eine eigene Gemeinde in Nordfrankreich erhält, legt dieses Ereignis auf umgekehrte Weise aus: „,Von Gott stammt der Gedanke, dass ich mit der Berufung gezeichnet bin: ich soll Satan in den Seelen verfolgen, und wenn ich auch meine Ruhe, meine Priesterehre und selbst mein Heil aufs Spiel setzen müsste.’“ So erzählt er dem „seltsamen Mädchen“ Mouchette in einem Gespräch in der Nacht nach der Begegnung mit dem Teufel, dass er die von ihr begangenen Untaten, von denen keiner etwas weiß, nun kenne, und fordert sie auf, zu bereuen und Buße zu tun. Dabei zeichnet Bernanos mit der Figur des „sehenden“ Donissan keine Heldenfigur. Im Gegenteil spürt man, unter welchen Druck die „übernatürlichen“ Fähigkeiten den Geistlichen setzen – sie scheinen über seine Kräfte zu gehen.

„Erkennen, um zu vernichten und in der Vernichtung die Erkenntnis und das Verlangen zu erneuern – o Sonne Satans! –, Verlangen nach dem Nichts, um seiner selbst willen begehrt, abscheulich verströmendes Herz!“ Es ist die Versuchung, seine Kraft und sein Wissen in den Dienst des Bösen und Destruktiven zu stellen, gegen die sich der „Heilige von Lumbres“ mit mehr und mehr Energie zu Wehr setzen muss. Und dieser Kampf reibt ihn auf. So scheitert er weniger an der Kritik und Ablehnung seiner Person durch einige wenige aus seiner Umgebung und auch nicht an den hohen Erwartungen, die die Gläubigen in ihn setzen, als vielmehr an sich selbst.

Denn Donissan ist hart und unerbittlich gegen jedes Anzeichen von Schwäche und Erschöpfung. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb entsteht der Eindruck einer gewissen Paradoxie. Denn es ist die ständige Selbstbeobachtung und -analyse, die ihn – den sie ursprünglich vor dem „Bösen“ schützen soll – mit der Zeit zermürbt und beizeiten in Versuchung führt, aufzugeben und zu fliehen: „Der unermüdliche Freund der Seelen wünscht nichts weiter als Ruhe und noch etwas, woran er nur heimlich zu denken braucht, damit alle Fasern seines Leibes sich entspannen, das Verlangen nach dem Tod gleich dem Verlangen nach Tränen…“.

Titelbild

Georges Bernanos: Unter der Sonne Satans. Ein Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Friedrich Burschell und Jakob Hegner.
Johannes Verlag, Freiburg 2009.
349 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783894114084

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