Ein Sprachjongleur

Die „unbeabsichtigten“ Gedichte des Wiener Kabarettisten Georg Kreisler sind von beeindruckender gedanklicher Schärfe

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kennt ihn als Taubenvergifter im Park, als Onkel Joschi oder als einsamen Triangelspieler in der Oper – kurzum als Mann am Klavier: den Wiener Autor, Komponisten und Interpreten seiner eigenen Chansons: Georg Kreisler (geboren 1922). Seit Anfang der 1960er-Jahre geht er mit seinen makabren und grimmigen Liedern gegen eine unheile Welt vor. Literarisch in der Tradition von Wedekind, Ringelnatz und Morgenstern stehend, waren seine Vorträge, ob Kunstlied oder Gassenhauer, stets musikalisch virtuos und vielgestaltig. Später wurde Kreisler kritischer, sein Protest direkter und seine Texte provokanter.

Im fortgeschrittenen Alter entpuppt oder versucht sich Georg Kreisler nun als „ernsthafter“ Lyriker. Doch was heißt hier „ernsthaft“? Eigentlich war er in seinen Chansons und Kabarett-Couplets schon immer Lyriker. Wir haben es bei aller Komik nur nicht gemerkt.

Im Berliner Verbrecher Verlag sind nun unter dem Titel „Zufällig in San Francisco“ fünfzig Gedichte erschienen. Der Untertitel „Unbeabsichtigte Gedichte“ unterstreicht noch einmal die angebliche Zufälligkeit ihrer Entstehung. „Man schreibt Gedichte nicht absichtlich, sie werden einem eingeflüstert, sind also unbeabsichtigte Gedichte.“

Der Autor hat seine Verse fein aufgeteilt und verpackt: Vorwort, 25 Verse, Zwischenwort, 25 Verse, Nachwort.Fast scheint es, als wolle der Verfasser seine Gedichte nicht unkommentiert unter die Leser bringen. Immerhin nehmen die umfänglichen Kommentare in seinem Buch fast 30 Seiten ein.

Obwohl Georg Kreisler sein Vorwort mit der Feststellung beginnt, manche Gedichte in diesem Buch seien „absurd“, kämen damit aber „der Wahrheit am nächsten“, sind die meisten Gedichte von einer beeindruckenden gedanklichen und sprachlichen Schärfe. Andere sind beschwingt, aber immer zeigt sich Kreisler als veritabler Sprach-Jongleur.

Ganz kann der Autor jedoch seine kabarettistische Vergangenheit nicht ablegen und so sind seine „unbeabsichtigten Gedichte“ nicht nur nachdenkliche Verse sondern kommen oft auch schelmisch und mit einem morbiden Charme daher. Vor allem aber sind sie eine glänzende Gelegenheit, den Dichter einmal von einer anderen Seite kennenzulernen.

Titelbild

Georg Kreisler: Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte.
Verbrecher Verlag, Berlin 2010.
119 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426468

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