Wider den Verschenktext

Steffen Jacobs und Michael Lentz legen neue Gedichtbände vor

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erinnert sich noch jemand an die Verschenktexte der 1980er-Jahre und den Lucy Körner Verlag? Damals ließen sich noch problemlos „Bücher für eine bessere Welt“ verlegen, deren Lyrik sich für den Frieden, die Umwelt und die Gleichberechtigung der Geschlechter stark machte. Das sind und waren berechtigte Ziele, trotz aller Klischees, die heute über diese Zeit im Umlauf sind – nur ein Ignorant kann gegen diese Dinge sein. Und gut ist beileibe nicht automatisch das Gegenteil von gut gemeint, wie eine Allerweltsweisheit unserer Tage behauptet – schließlich gibt es politische Lyrik von höchstem Niveau, von Friedrich Hölderlin und Heinrich Heine bis zu den Songs der Goldenen Zitronen. Jene Verschenklyrik aber stellte allzu oft den Inhalt über die Form, so dass am Ende nur noch ein „mürrisches Parlando“ (Robert Gernhardt) in matten Phrasen übrig blieb, der jedes lyrische Feuer fehlte; Gernhardt selbst hat sie meisterhaft in seinen „Florian-Freyer-Gedichten“ durch den Kakao gezogen. Diese plätschernde, pseudopolitische Beliebigkeitslyrik ist jene Hypothek, gegen die ein guter Teil der Gegenwartslyrik seit den frühen 1990er-Jahren anschreibt, insbesondere viele in den 1960er-Jahren geborene Autoren. Vor diesem Hintergrund ist daher noch immer ein wesentlicher Teil der aktuellen Lyrik zu verstehen. Die demonstrative Kälte des frühen und der Klassizismus des späten Durs Grünbein sind dabei nur zwei mögliche Strategien in dieser Absetzbewegung; zwei andere verfolgen Steffen Jacobs und Michael Lentz mit ihren aktuellen Gedichtbänden.

Da wäre zunächst Steffen Jacobs, der mit „Die Liebe im September“ seinen mittlerweile vierten Gedichtband seit 1998 vorlegt. Der 1968 geborene Jacobs ist nicht nur einer der besten Lyriker der Gegenwart, er kennt sich auch wie wenige andere in der Tradition aus. Das zeigen seine Sammelbände „Lyrische Visite“ (2000, unter dem Pseudonym Jakob Stephan) und „Der Lyrik-TÜV“ (2007), in denen er zahlreiche kanonische und nicht-kanonische Poeme auf den Prüfstand stellt. „Die Liebe im September“ baut auf diesem Erfahrungsschatz, ohne in das demonstrative Pathos eines Grünbein oder das provokante Besserwissertum Raoul Schrotts zu verfallen. Leichtfüßig und spielerisch kommen die Texte daher, etwa wenn in „Wehe(n) Dreizeilern“ die deutsche Gegenwartsliteratur dran glauben muss oder Jacobs in „Parken verboten“ die Stefan-George-Renaissance der letzten Jahre veralbert: „Komm lies den breitgetretnen quark und schau / […] Die letzten astern kannst du voll vergessen / Die jamben heben sich nur noch posthum / Den letzten jünger hat der wolf gefressen / mit ihm schied peinvoll das Georgetum“.

Aber Jacobs ist nicht nur stark in der Parodie – oft genug kippt die Leichtigkeit ins Ernste, etwa im Anfangsgedicht „Einem Gerüstbauer“. Besonders deutlich schwingt das Pendel zwischen Melancholie und Leichtigkeit in „Haltloser Gesang für zwei“, dem zweiten und vielleicht stärksten der vier Teile, in die sich Jacobs’ Band teilt. Wenn von der Liebe die Rede ist, stellt sich auch Pathos in den Blankversen ein, das die Texte genau dorthin hebt, wohin sie gehören – oder auch nicht: „Liebe, weißt du, die sich zitternd zeigt, // die in den Blößen lebt, die man sich gibt, / in die hinein man fährt auf wirrer Suche, / Liebe, ja? Die zuschnappt, sich verschließt, / die dich versiegelt vor dem Rest der Welt. // Aufhören!“ Was da aufhören soll, die Liebe oder über eine übersteigerte Vision von ihr, das lässt der Text kunstvoll in der Schwebe. Das Pathos und seine Relativierung bleiben in Jacobs’ Gedichten gleichermaßen präsent, und genau das macht ihre Stärke aus.

Einen anderen Weg, über die Liebe zu schreiben, hat Michael Lentz gewählt. Der vielfach preisgekrönte Autor verdiente seine ersten Lorbeeren, als er 1998 den nationalen Poetry Slam-Wettbewerb gewann, ist mittlerweile aber auch als Prosa-, Hörspiel- und Theaterautor erfolgreich. Auch er legt mit „Offene Unruh: 100 Liebesgedichte“ seinen vierten Gedichtband vor. Anders als bei Jacobs ist sein Buch einem einzigen Thema gewidmet. Lentz’ Gedichte wirken authentisch und aufrichtig; hier schaut jemand genau hin und versucht die Liebe zwischen zwei Menschen aus möglichst vielen Blickwinkeln zu erfassen. In der Sprache bemüht sich Lentz darum, möglichst unverstellt und ohne Schnörkel zu schreiben. Gerade im Streben nach Authentizität lässt sich durchaus als der Versuch lesen, an die erwähnte Liebeslyrik der 1980er-Jahre anzuknüpfen, ihre positiven Seiten zu retten, aber ohne sich im gesellschaftspolitischen Labyrinth zu verlieren. Darauf deutet auch die Covergestaltung hin, die mit dunkelbrauner Handschrift auf beigem Pappband an alternative Kleinverlage der frühen Kohl-Ära denken lässt.

Schade nur, dass das Ergebnis so durchwachsen ist. Einzelne Gedichte sind durchaus gelungen, andere ergehen sich in billigen Wortspielen – „du bist / eine falle / und ich falle / in dich“ –, wieder andere kommen dem triefigen Sound der erwähnten Verschenktexte bedenklich nahe. Der allergrößte Teil aber mäandert formlos und unentschlossen vor sich hin, ein Gedicht liest sich wie das andere, und es will sich keine Zeile einprägen – zumindest nicht dem Rezensenten, mea culpa. Am Ende bleibt der fade Geschmack einer verschenkten Chance, denn Lentz kann auch ganz anders, mitreißender und lebendiger, wie ältere Gedichte oder der gelungene Roman „Pazifik Exil“ unter Beweis stellen. So kann man nur hoffen, dass „Offene Unruh“ das Produkt eines vorübergehenden Formtiefs ist. Übrigens bekommt man bei Lentz für weniger Geld mehr als doppelt so viele Gedichte. Das ist doch auch schon was.

Titelbild

Steffen Jacobs: Die Liebe im September. Gedichte.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
86 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783835305205

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Lentz: Offene Unruh. 100 Liebesgedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
167 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783100439260

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