Entindividualisierung, Entpersönlichung und Gehirnwäsche
Pinar Seleks Studie zeigt, wie der türkische Militärdienst junge Männer in die Form des ‚echten Mannes‘ zwingt
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVor einigen Jahren publizierte die bekannte Islamismus-Kritikerin Necla Kelek ein Buch über türkische Männer. Nun hat eine weitere Autorin, Pinar Selek, ein Buch zum gleichen Thema vorgelegt. Doch nicht nur das Thema ist das gleiche, auch die Bekanntheitsgrade der Verfasserinnen gleichen sich – zumindest in der Türkei. Gut möglich, dass Selek dort sogar noch ein bisschen bekannter ist. Und sie ist bei der islamischen Regierung des in dem Buch ziemlich alt aussehenden Mannes am Bosporus sicher nicht weniger verhasst als Kelek. Darauf deutet zumindest ein Verfahren hin, das unter einem Vorwand, wie er fadenscheiniger kaum sein könnte, gegen die feministische Soziologin anstrengt wurde, nachdem ihr Buch erschienen war. Inzwischen liegt es unter dem sperrigen und wohl kaum verkaufsfördernden Titel „Zum Mann gehätschelt. Zum Mann gedrillt“ auch auf Deutsch vor.
Sie selbst hat nach der juristischen Verfolgung in ihrem Heimatland fürs erste in Deutschland Zuflucht gefunden und lebt als Stipendiatin der deutschen Sektion des SchriftstellerInnenverbandes PEN in Berlin.
Nicht nur die Autorinnen, auch ihre Bücher haben einige Gemeinsamkeiten. In anderer Hinsicht unterscheiden sie sich wiederum ganz augenfällig, so dass man nicht von der Lektüre des Buches von Selek absehen sollte, weil man glaubt, sowieso schon alles aus demjenigen Keleks zu wissen. Während Kelek ihre populär(wissenschaftlich) gehaltene Studie etwa mit diversen Geschichten aus ihrer Familie und nahezu anekdotischen Erlebnissen unterfüttert, verzichtet Selek ganz darauf, Persönliches oder gar Privates einfließen zu lassen, und konzentriert sich auf die Auswertung von 58 Interviews mit Männern aus allen gesellschaftlichen Schichten der Türkei. Aus der sicherlich begründeten Erwägung heraus, dass sich die befragten Männer gegenüber Geschlechtsgenossen unbefangener zeigen würden, verzichtete die Autorin – zumindest in den meisten Fällen – darauf, die Interviews selbst zu führen, sondern überließ dies zwei Mitarbeitern, wobei Selek nicht so sehr die „Schilderung des Erlebten selbst“ interessiert, sondern vor allem „die Art, in der sich Männer an das Erlebte erinnern.“ Die Erträge der Gespräche nehmen in Form gelegentlich schon einmal etwas ausufernder Zitate weit mehr Raum ein als die Analysen und Kommentare der Autorin. Man hätte sich da doch eher eine andere Gewichtung gewünscht.
Ein weiterer, nicht ganz unwesentlicher Unterschied zwischen Keleks und Seleks Buch besteht darin, dass sich letztere ganz auf die wahrhaftig nicht unbeträchtliche Rolle des türkischen Militärs und des Wehrdienstes bei der Mannwerdung des türkischen Mannes konzentriert. Und das nicht von ungefähr. Denn nahezu die Hälfte der Befragten äußerten die Auffassung, „dass die Armee einen Mann erst zu einem ‚richtigen Mann‘ macht – die andere Hälfte akzeptiert diese Ansicht zumindest indirekt.“
Anders als der Titel des Buches vermuten lassen könnte, wird in dieser Institution natürlich niemand „zum Mann gehätschelt“ – sehr wohl aber „gedrillt“. Die Körper der Rekruten werden „durch verschiedene Rituale kodiert, normiert und standardisiert“. Sie werden rasiert, nahezu kahl geschoren und bekommen Uniformen angepasst. Wobei letzteres schon ein Euphemismus ist. Denn wirklich passen tut sie keinem von ihnen. Vielmehr sind sie es, die angepasst werden. Und zwar nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Denn mit dem körperlichen Drill geht die Gehirnwäsche einher. Da muss vor Steinen salutiert werden und Bäume bekommen Bericht erstattet, oder es werden Mauern aufgeschichtet, nur um sie wieder einzureißen, um sie wieder aufzurichten, um sie wieder einzureißen… So lange, bis „das Gefühl für Zeit und Raum verschwimmt“ und die werdenden Männer „ihre gesamte Existenz dem Gehorsam unterordnen“.
Dabei sind die Beziehungen der Soldaten untereinander ausnahmslos von „Konkurrenzdruck, Spott, Erniedrigung, Schimpfen, Prügeln und anderen gewalttätigen Mitteln geprägt“. Kommuniziert wird selten, ohne dass in jeden Satz Flüche, Sexismen und Obszönitäten eingeflochten würden. Ein Interviewter berichtet etwa, dass ein Oberstleutnant zu drohen pflegte, er werde „Beton in die Fotzen eurer Mütter füllen“. „Auch wenn diese Worte aus dem Mund eines Kommandanten stammen“, kommentiert die Autorin, „so greifen sie doch das Ego eines Mannes an, bei dessen Erziehung der Begriff der Ehre eine zentrale Rolle gespielt hat. Für ihn sind seine ‚Werte‘, wie zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester und seine Frau, unantastbar und er glaubt, im Notfall für sie in den Tod gehen zu müssen. Auf Beleidigungen sexueller Natur dieser Werte darf er beim Militär trotzdem nicht reagieren, selbst wenn er sich schämt oder wütend wird“.
All dies findet auf einem „brodelnden Schlachtfeld männlicher Machtkämpfe“, bei dem – wie im genannten Falle des die Mütter bedrohenden Kommandanten – Frauen als bloßes Mittel zum Zweck des Herrschaftskampfes zwischen Männern herabgewürdigt werden und auf dem die „Neuankömmlinge“ als erstes erfahren, „was es heißt, ‚stärkeren‘ Geschlechtsgenossen schutzlos ausgeliefert zu sein“. Eine Lehre, welche die wenige Wochen vor ihrer Entlassung stehenden Wehrdienstleistenden den Neuankömmlingen mit noch größerer Inbrunst erteilen als die Offiziere.
Bevor sich die Autorin den Schilderungen der Wehrdiensterfahrungen der Befragten widmet, wendet sie sich jedoch zunächst einem Ritual zu, das alle später den Wehrdienst Absolvierenden als Jungs durchlitten: ihre Beschneidung. Sie dient unter anderem dazu, sie über ihre Schwestern und all die anderen Mädchen zu erhöhen. Besonders anschaulich wird dies in ostanatolischen Gebieten, in denen der „zu beschneidenden Jungen gemeinsam mit einem als Braut verkleideten Mädchen auf ein Pferd oder Kamel“ gesetzt wird, während die Festgäste im Chor rufen: „Sie werden dir ein Stück wegschneiden […] sollen die Mädchen doch platzen vor Neid…“.
Beides, die Beschneidung und der Wehrdienst, gelten ebenso wie „sexuelles Erfahrungswissen“ und eine berufliche Tätigkeit „als obligatorische Etappen auf dem Weg zur gesellschaftlich anerkannten Reife“ des Mannes. Mehr noch: gemeinsam bilden sie die „wichtigsten Berechtigungen zur Vaterschaft“, wobei die Ableistung des Wehrdienstes der „wichtigste Schritt“ von allen ist, denn ihm kommt die Aufgabe zu, „den jungen Mann auf seine Geschlechterrolle vorzubereiten.“
Das heißt für die oft noch sehr jungen Männer, die die ihnen bis dahin bekannte soziale Umgebung erstmals verlassen, zunächst einmal mit den älteren ,Kameraden‘ ein Bordell aufzusuchen. Und hier ist nun auch eine erste Kritik vorzubringen. Denn Selek bezeichnet Prostituierte in diesem Zusammenhang ohne zu zögern als „Sexarbeiterinnen“ und benutzt damit bedenkenlos einen Begriff, der Sexismus und Patriarchat befördert, indem er eine Institution verharmlost, die wie keine andere das hierarchische Geschlechterverhältnis auf den misogynen Punkt bringt.
Auch was Selek ganz allgemein zur männlichen Sexualität ausführt, ist nicht immer unbedenklich. Obgleich sie sich im Vorwort als Konstruktionistin zu erkennen gibt, klingt es doch allzu essentialistisch und biologistisch, wenn sie schreibt, „die ohnehin ständig angestachelte männliche Sexualität“ werde „im militärischen Milieu der Entbehrung und des Verbots aufgepeitscht“. Die gänzlich absurde Vorstellung von der „ständig angestachelten männlichen Sexualität“ liegt zudem ganz auf der Linie einer bekannten Begründung islamistischer Kreise für den Kopftuch- oder Burkazwang. Dämonisiert Selek männliche Sexualität als „ständig angestachelt“, verharmlost sie die Folgen der militärischen Zurichtung männlicher Sexualität, wenn sie erklärt, diese führe dazu, dass „Frauen im öffentlichen Raum Opfer plumper Annäherungsversuche und verbaler Belästigungen durch Soldaten“ werden. Mehr nicht? Sollte es etwa ausgerechnet unter den türkischen Soldaten keine Vergewaltiger geben? Wie eng aber für die Rekruten Gewalt und Sexualität tatsächlich verknüpft sind, macht das Bekenntnis eines der Interviewten deutlich, der bekundet: „Ein Mann hat eine Frau, und die Waffe ist die zweite.“
|
||