Das islamfreundlichste Land der Welt
Necla Kelek erzählt die Geschichte ihrer Familie und der Entstehung der türkisch-islamischen Parallelgesellschaft in Deutschland
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet", donnerte seinerzeit Atatürk, der Gründer der Türkei. Gegenüber dem Verdikt aus dem Mundes des - wie sein Name versichert - Vaters aller Türken nimmt sich Michel Houellebecqs Wort von der "bescheuertsten Religion" geradezu milde aus. Einigen Gläubigen aber erschien es immerhin hart genug, ihn dafür mit dem Tode zu bedrohen. Eine solche Drohung könnte auch Necla Kelek nach der Veröffentlichung ihres Buches "Die fremde Braut" ins Haus stehen, sind islamische Fundamentalisten doch mit derlei schnell zur Hand. Ihren Zorn hat die Autorin schon früher auf sich gezogen. So wurde ihr von empörten MuslimInnen wiederholt die Kompetenz, über den Islam zu reden, mit der Begründung abgesprochen, sie sei keine echte Muslimin. Eine durchsichtige Immunisierungsstrategie, nach deren abstruser 'Logik'' nicht nur alle 'Ungläubigen'' über den Islam zu schweigen hätten, sondern über den Marxismus nur Marxisten befinden dürften und über den Nationalsozialismus nur Nazis.
In ihrem Buch, dem auch das Eingangszitat von Atatürk entstammt, geht Kelek einmal mehr mit so manchen sozialen Praktiken islamisch geprägter Kulturen oder - wie in Deutschland - Subkulturen hart ins Gericht. Wie der Titel des Buches schon andeutet, diesmal namentlich mit der Institution der arrangierten Ehe, die sie nicht von der Zwangsehe geschieden wissen möchte, da beide auf "Erpressung und Nötigung" beruhten, weshalb auch beide strafrechtlich zu verfolgen seien. Wichtiger als justizielle Maßnahmen jedoch ist Kelek, der "Entmündigung" durch solche Verheiratungen vorzubeugen.
Bevor die Autorin allerdings zu ihrer geharnischten Kritik an arrangierten Ehen mit türkischen "Importbräuten" und der "falschen Toleranz" deutscher "Liberaler und Linker" kommt, berichtet sie ausführlich aus dem Leben ihrer Familie. Sie erzählt von ihrem tscherkessischen Urgroßvater, der als Frauenhändler in der Türkei Karriere machte, von ihrer Mutter, die ihrem Vater 30 Jahre lang jeden Morgen die Schuhe band, und die, wenn er das Haus verließ, vor sich hinmurmelte "Möge Allah mir deine Leiche bringen". Eine Frau, die es in all den Jahren nie wagte, ihren Mann mit seinem Namen anzureden, sondern immer bei dem förmlichen, unterwürfigen "Efendi" blieb. Auch von ihm, dem Herrn ihrer Mutter und der Kinder, erzählt Kelek, dem sie und ihre Geschwister "auf Zehenspitzen" entgegentraten, wenn er das Haus betrat, ihm die Hand küssten und "von Stund an" seinen Befehlen folgten. Und sie erzählt vom Leben im Istanbul zu Beginn der 1960er Jahre, als es "schick" war, "amerikanisch zu sein und den Lebensstil der Amerikaner zu kopieren, amerikanische Autos zu fahren und sich wie Jackie zu kleiden". Man erfährt, dass es damals keinen Religionsunterricht in den Grundschulen gab und in ganz Istanbul kaum Moscheen zu finden waren, während heute überall Koranschulen wie Pilze aus dem Boden schießen, sodass kürzlich ein Gesetz erlassen werden musste, demzufolge zwischen Moscheen ein Mindestabstand von einem Kilometer einzuhalten ist. Schließlich erzählt Kelek auch davon, wie sie 1966 im Alter von neun Jahren ihrem Vater nach Deutschland folgte, in das Land, in dem er seit einigen Jahren als Gastarbeiter lebte. Obwohl die Eltern nie strenggläubige Moslems waren, verlangte der Vater einige Jahre später von der pubertierenden Necla, dem Sportunterricht fern zu bleiben. Denn nach Ansicht ihrer - wie sie etwas undifferenziert sagt - "Landsleute" haben Mädchen und Frauen von diesem Alter an "in der Öffentlichkeit nichts mehr zu suchen". Ihr jüngerer Bruder hatte hingegen "alle Freiheiten der Welt". Mit einer bezeichnenden Ausnahme: Er durfte keine Freunde mit nach Hause bringen - ebenso wie alle türkischen Jungs, die eine Schwester haben. "Kein Wunder", sagt Kelek, "dass sich türkische Jungen immer auf der Straße herumtreiben und an den Ecken herumlungern - sie wissen nicht wohin".
All dies erzählt Kelek sehr lebendig und bei aller Tragik voller Humor. Dabei gelingt es ihr fast beiläufig, die Lesenden in den kulturhistorischen Hintergrund einzuführen, der auch in Deutschland zu der "Sklavenhaltermentalität der Schwiegermütter und [der] Sklavenmentalität der Kinder in den türkisch-muslimischen Familien" führte und dazu, dass "junge türkisch-muslimische Männer und Frauen es selbst heute noch zulassen, dass sie von ihren Familien, namentlich ihren Müttern verheiratet werden, ohne Einfluss auf deren Entscheidungen zu nehmen".
Auch "vielen Türken in Deutschland" gilt der Islam Kelek zufolge als "Leitkultur", der gemäß der Einzelne "nur Teil eines Ganzen" ist, während "andere bestimmen und verantworten, was passiert", und alles "nach Gottes Willen" geschieht. "Dieses Kulturmuster", sagt Kelek, "prägt das Handeln der muslimischen Migranten in Deutschland bis in den letzten Winkel ihres Alltags". Wie Kelek berichtet, "verabscheuen" viele von ihnen das "ehrlose Leben" der Frauen im Westen und wollen überhaupt mit den "[u]nreinen" Deutschen, denen sie sich "moralisch und geistig überlegen" fühlen, nichts zu tun haben. Eine Haltung, die man wohl nur als religiös motivierten Rassismus bezeichnen kann.
Ebenso unfreundlich wie Keleks Urteil über islamische Fundamentalisten fällt dasjenige über die "folkloristischen Sichtweise" der "linken und liberalen 'Multikultis''" aus, "die im Zweifelsfall eher bereit sind, ihre Verfassung zu ignorieren, als sich Ausländerfeindlichkeit vorwerfen zu lassen". Mit der von ihnen gerne benutzten Worthülse "kulturelle Differenz" schützten sie kulturelle Praxen, die den Grundrechten Hohn sprächen und die "Selbstausgrenzung der Migranten" förderten. Angesichts dessen verwundere es nicht, dass ein muslimischer Prediger aus Hamburg Deutschland zum "islamfreundlichste[n] Land der Welt" erklärt. Kelek hingegen verwirft eine Toleranz als wertlos, die bereit ist, "selbst noch die Intoleranz und alltägliche Gewaltverhältnisse als Bestandteil eines 'anderen kulturellen Kontextes'' hinzunehmen, ja zu respektieren". Denn Freiheit bestehe nicht etwa dann, "wenn jeder machen kann, was er will", sondern verlange vielmehr, "dass die Gesellschaft jeden in die Lage versetzt, seine Freiheitsrechte wahrzunehmen", so dass niemand gezwungen werden könne, etwas zu tun, was er nicht tun möchte. Um dies zu gewährleisten, seien Regeln und Gesetze notwendig, "die Menschen aus anderen Kulturen als Einschränkungen empfinden mögen". Doch die staatliche Neutralität gegenüber den Religionen dürfe nicht so weit gehen, dass Grund- und Menschenrechte im Namen der Religionsfreiheit verletzt werden. Im Gegenteil: Die westlichen Demokraten dürften "nicht einen Fußbreit von der Wahrung der Grundrechte abweichen" und müssten alle Versuche "organisierte[r] Muslime" abwehren, sich des Rechtstaats für ihre Zwecke zu bedienen. Nur so sei zu verhindern, dass die Prophezeiung des Imams von Izmir eintrifft: "Dank eurer Gesetze werden wir euch beherrschen."
|
||