Genialische Schnipsel

Sven Hanuschek bringt „Dick und Doof“ zu Ehren

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der erste Abschnitt dieser „Revision“ heißt „Schnipsel“ – ein beziehungsreiches Wort, denn selten sind Filme so grausam umgeschnitten, gekürzt, verstümmelt worden wie Stan Laurels und Oliver Hardys Werke: „Die deutsche Aufnahme der Filme von Stan Laurel und Oliver Hardy ist, trotz aller großen Erfolge, aller Tiefen- und Breitenwirkung, immer auch eine Schändungsgeschichte gewesen.“ Aus ‚Schnipseln‘ setzt sich auch das Buch zusammen, und dies ist kein Nachteil. Die Lesbarkeit profitiert von der essayistischen Darstellungsform: Rund 200 Seiten Text sind in geschätzte 50 Fragmente geteilt (An gedanklicher Kontinuität fehlt es dennoch nicht).

Dergleichen lädt zum kursorischen Lesen ein – glücklicherweise, denn Filmwissenschaftler werden unter den Lesern in der Minderheit sein. Wie der Umschlagtext treffend feststellt, sind Laurel und Hardy die erste Filmerfahrung vieler Erdenbürger, mithin ein durchaus populärer, anti-elitärer Stoff, der eben deshalb unterschätzt und schmählich übergangen wird – im Gegensatz zu Lieblingen der Intellektuellen wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton. Mit Hanuschek: Die „sogenannte Normalität, der Alltag“ ist „das Thema“ Laurel und Hardys. Daraus ergibt sich, dass beide – gemessen an Chaplin und Keaton, „exotischen Figuren“, die „allegorische Deutungen“ aufrufen – intellektuell unergiebig erscheinen, sodass der Intellektuelle sich geniert, dergleichen zu mögen oder, schlimmer noch, lieber als Chaplin und Keaton zu mögen. (Die Aufwertung der Popkultur durch Cultural Studies hat auf Laurel und Hardy, im deutschen Sprachraum zumindest, kaum noch übergegriffen.)

Akademisch unverbildete Zuschauer, von jeher in der Mehrheit, werden sich ihr Vergnügen dennoch nicht verderben lassen.

Die essayistisch schnipselhafte Form der Darstellung ist Hanuschek zufolge, der sich auf Stephen Greenblatt, vielleicht den einflussreichsten Literaturwissenschaftler unserer Tage, beruft, Werken der Kunst, ob populär oder nicht, besonders angemessen: „Das Werk von Laurel und Hardy wird als ein Gesamtwerk verstanden […], in dem sich die Gedanken frei bewegen sollen. […] Nachdem sich Ästhetisches […] eher durch das Anekdotische, das Fragmentarische erschließt als durch lange Abhandlungen, wird gern auf diese Form zurückgegriffen werden: Anekdoten repräsentieren oft den essenziellen Kern eines großen Zusammenhangs […]. Keine Abhandlung eines Filmwissenschaftlers wird geboten, keine systematische wissenschaftliche Abhandlung überhaupt, sondern ein Essay über zwei Künstler, die uns befreien, uns überleben helfen und die uns nahegehen wie alle große Kunst, unverändert, ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod.“

Sven Hanuschek hat, sehr zum Vorteil seiner Prosa, unterschiedliche Valeurs auf der Palette, ironische Töne werden ebenso angeschlagen wie – selten und darum effektvoll – pathetische. Zumeist ist sein Duktus leichthändig nüchtern. In verhalten beschwingter Gangart – andante, allegretto – geht es fort. Diese Wirkung verdankt sich eingängiger, gleichwohl nicht kärglicher Wortwahl und rhythmisch sauber konstruierten Sätzen, deren Wohlgeformtheit nicht aufdringlich hervortritt, nicht erkämpft oder mit intellektuellen Konzessionen erschwindelt scheint: Kunst, die sich verbirgt. In letzter Konsequenz ist Hanuscheks intelligent exoterischer Duktus der ‚Methode‘ von Laurel und Hardy recht ähnlich.

Auch die Vita der Helden wird anekdotisch verdichtet, was umso angemessener scheint, als beider Lebenswege, soweit bekannt, wenig Ansatzpunkte für dramatische Zurichtung bieten. Hanuschek kann auf umfangreiche biografische Vorarbeiten angelsächsischer Provenienz zurückgreifen, tut folglich gut daran, in erster Linie Betrachtungen zum Werk der Komödianten – und dessen Wirkung – anzustellen, darüber hinaus zu Voraussetzungen der Wertung. Mit Benjamin und Enzensberger wendet er sich gegen Adorno, der tendenziell alles, was den Bewohnern dieser schlimmen Welt Vergnügen bereitet, unter Konformismus-, wenn nicht Faschismus-Verdacht stellt, weshalb das populäre Medium schlechthin, der Film, Adorno samt seinen Adoranten Magengrimmen bereitet.

Die Titel der „Schnipsel“ geben ein genaues Bild von deren im besten Sinn eklektischem Gehalt. Sie lauten unter anderem: „Tortenschlachten“, „Autorität“, „Homerisches Gelächter“, „Komik-Theorien“, „Alltags-Surrealismus“, „Komplexe Charaktere“, „Choreografie des Glücks“, „Laurel-und Hardy-Kopisten“. Bei alledem ist wesentlich, dass Laurel und Hardy großenteils Körperkomik betreiben. Hanuschek trägt dem Rechnung mit dem Versuch, Gesten und Mimik, doch auch die Tücke widersetzlicher Objekte, mit Worten akkurat wiederzugeben. Auch flicht er, weil nicht jeder Film jedem der Leser vertraut ist – zumal in ‚authentischer‘, unverschnittener Form – knappe, angenehm launige Nacherzählungen der Handlung ein. So wird das Gliederungsprinzip der „Schnipsel“ unterlegt mit dem Wechsel reflektierender und referierender, biografischer und rezeptions- wie gesellschaftsgeschichtlicher Passagen. Das Ganze des Textes gewinnt Façon und Rhythmus.

Die Form der Darbietung ist bibliophil, das Layout dezent, doch erfinderisch. In großer Zahl werden Fotografien geboten, oft über ganze oder – dem Format entsprechend – halbe Seiten ausgebreitet. Die andere Seitenhälfte bleibt leer, das strahlende Weiß des leeren, duftenden Papiers bringt Grau- und Schwarzstufen der Bilder bestmöglich zur Geltung. Sven Hanuschek trägt um seriöse Endnoten Sorge, um Filmografie und Literaturverzeichnis. Ein Register der Filmtitel erleichtert kursorisches Lesen. Dieses Buch ist auch nach der Darbietungsform eine Wohltat.

Titelbild

Sven Hanuschek: Laurel und Hardy. Eine Revision.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010.
219 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055063

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