Der grüne Krieger oder das Rätsel der japanischen Liebe

Christine Wunnicke gelingt mit der Novelle „Nagasaki, ca. 1642“ das Porträt einer historischen interkulturellen Begegnung

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann sich den Samurai Seki Keijiro vielleicht wie Mifune Toshiro vorstellen, der oft den Prototyp des japanischen Kriegers gab. Seki ist in seinen besten Jahren, ein Kämpfer, der aufgrund der langen Friedenszeit arbeitslos geworden ist und sich in seiner Familie auf dem Lande gepflegt langweilt. Doch es gibt noch eine offene Rechnung, ein Geheimnis und eine zweite Hauptfigur – den „Olandesen“ Abel, Sohn eines Gesellschafters der Ostindien-Kompanie. Abel van Rheenen dient als „Dolmetsch“ auf einem Schiff, wird jedoch chronisch missachtet und lernt schließlich aus Langeweile Japonesisch, was zu seinem Schicksal werden soll.

Seki Keijiro, der, seinem inneren Drang folgend, als Inspektor in Nagasaki Dienst tut, begegnet dem munteren Abel auf Deshima, im 17. Jahrhundert die einzige von Japan für den Handel mit der Welt geöffnete Zone. Abel führt sich gebührend ein: „Ich bin Japonica-Sprache-Person der Ostindien-Kompanie, untertänigster Diener“. Er ist fasziniert von Seki und dessen Körperbeherrschung, die sich augenfällig in seinem eleganten Stand manifestiert.

Der junge Europäer hängt sich an den Inspektor, möchte seine Kunst verstehen. Dieser will seinerseits etwas von ihm – Informationen über ein holländisches Schiff mit dem Namen Rifuto. Abel inhaliert die japanische Sprache und freut sich an der absoluten Fremdartigkeit der fernöstlichen Kultur. Allein die Bekleidung, die er von Keijiro verordnet bekommt, ist Anlass zu höchstem Erstaunen. Sein Körper wird hineingepresst in das Weiße, in das Sockenartige, in den Schlafrock und in das Lange. Abel liebt das Harte, und schließlich liebt er den Inspektor. Und der Inspektor empfindet auch etwas für ihn. Soll man es Liebe nennen? Liebe ist das Leitmotiv der Novelle. Die Dechiffrierung des Wortes Liebe im japanisch-europäischen Sprach- und Kulturtransfer bedeutet Lernen, Erkenntnis, aber schließlich auch Tod. Denn der Japaner ist den Geistern seiner Heimat verpflichtet, und auch wenn der Westler sein Interesse weckt und sogar seine Zuneigung, wird er sich immer auf der Basis der Loyalität entscheiden.

Es dauert nicht lange, bis der Sprachvirtuose Abel dechiffriert. Seki Keijiros Rifuto ist der Name des holländischen Schiffs „Liefde“, wobei man damit die christliche Gottesliebe meint. Liebe auf Japanisch heißt nicht Gott, sondern ein greifbares Wesen zu lieben. Oder aber auch den Geist eines Geliebten in Ehren zu halten, und das ist in „Nagasaki, ca. 1642“ nicht nur metaphorisch gemeint. An dieser Stelle betritt überraschend ein dritter Protagonist die Szene: Der grüne Krieger, Kurihara Yuudai. Zu Lebzeiten ein außergewöhnlich schöner Jüngling und der damalige Mentor des jungen Seki Keijiro, pflegte er eine Rüstung mit grünen Verschnürungen zu tragen, bis ihn eine holländische Kanone, die er in der Hitze des Gefechts abfeuern wollte, zerfetzt hat. Seither folgt er Keijiro als Geist, doch er wünscht sich Erlösung.

Eine Samurai-Story, die zur Schauergeschichte mutiert, dann zur Erzählung über den erfolgreichen Vollzug einer Rache, um sich am Ende als tragische homoerotische Liebesgeschichte im Reckenmilieu zu offenbaren, als Parabel auf das Übersetzen von Kultur sowie als Einsicht in die Leidenschaften, die einen ein Leben lang lebendig erhalten, wenn sie nicht sofort letal wirken. Als europäisch-japanische Geschichte einer Männerliebe knüpft sie an Szenarien an, wie wir sie etwa aus dem Film „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (1984) mit David Bowie kennen.

Der Autorin Christine Wunnicke gelingt die literarisch versierte, sehr lesenswerte Schilderung einer historischen Kulturbegegnung zwischen Japan und Europa. Ihre Japaner sind sympathische Exoten und Sehnsuchtsobjekte, plastisch gezeichnet in ihren persönlichen Umständen, stilbewusst und elegant, voll herzlicher Mitleidlosigkeit, ebenso reflektiert wie unberechenbar. So fragt Abel zurecht: „Ist solche Rache eine Sitte deines Landes, oder bist du allein verrückt?“ Und Keijiro antwortet: „Beides“.

Titelbild

Christine Wunnicke: Nagasaki, ca. 1642. Novelle.
Edition Epoca, Zürich 2010.
112 Seiten, 16,50 EUR.
ISBN-13: 9783905513516

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