Von Alpha bis Omega

Zum Buch „Evolution – Was bleibt von Gott“ von Carsten Bresch

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der studierte Physiker Carsten Bresch, der im kommenden Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, war einer der ersten Schüler Max Delbrücks, der zu den Begründern der Molekularbiologie zählt. Es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der viele Physiker in die Biologie wechselten, da ihr Fachgebiet durch die Entwicklung und den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki diskreditiert war, aber nicht zuletzt auch aufgrund des 1944 erschienenen Buches „Was ist Leben“ von Erwin Schrödinger. Dieses gab den Startschuss für die Entwicklung der Molekularbiologie und löste einen Wettbewerb auf der Suche nach den molekularen Strukturen der Vererbung aus, der 1953 durch die Entdeckung der berühmten Doppelhelixstruktur der DNA durch James Watson und Francis Crick beendet wurde.

Seit 1968 hatte Carsten Bresch den Lehrstuhl für Genetik an der Universität Freiburg inne und war Leiter des Zentrallabors für Mutagenitätsprüfung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1964 erschien das Lehrbuch „Klassische und molekulare Genetik“, welches für lange Zeit das Standardwerk in diesem Bereich werden sollte. 1977 veröffentlichte er das Buch „Zwischenstufe Leben – Evolution ohne Ziel?“, das aufgrund seiner weltanschaulichen Aussagen für viel Diskussionsstoff sorgte. Jetzt, 33 Jahre danach, hat er erneut ein Buch über Evolution mit dem vielsagenden Untertitel „Was bleibt von Gott?“ geschrieben.

Anfangs ist von Gott allerdings noch nicht die Rede und der Autor führt den Leser erst mal Kapitel für Kapitel durch die Entwicklungsgeschichte des Lebens. Dabei fängt er nicht erst mit der Entstehung des Lebens an, sondern lässt die Evolution auf atomarer Ebene bereits mit der Umwandlung von Wasserstoff zu Helium beginnen. Anschließend geht es weiter von der Entstehung des Lebens vor circa vier Milliarden Jahren über die Hominiden bis hin zur Menschwerdung und damit verbunden zur Entstehung des Geistes und damit der Kultur.

Doch der Kern dieses Buches, wie auch schon in „Zwischenstufe Leben – Evolution ohne Ziel?“, ist zweifellos sein weltanschaulicher Charakter. Hier zeigt sich der starke Einfluss des französischen Theologen und Paläontologen Teilhard de Chardin, der eine stark eschatologisch geprägte Auffassung der Evolution hatte und davon überzeugt war, dass die gesamte Entwicklung auf ein Ziel hinausläuft, das er Omega nannte und „in dem das zum Abschluß seiner Zentrierung gelangte Universum zusammentrifft mit einem anderen, noch unergründlicheren Zentrum, – einem Zentrum, das aus sich selber existiert, einem absolut letzten Prinzip der Irreversibilität und der Personalisation“. So ist der Autor zwar überzeugter Darwinist, glaubt aber nicht daran, „dass das Universum weder das Leben, noch die Biosphäre den Menschen in sich trug und unsere ‚Losnummer‘ beim Glücksspiel heraus kam“, wie es noch der Biologe Jacques Monod in seinem berühmten Buch „Zufall und Notwendigkeit“ formulierte.

Für Carsten Bresch ist die gesamte Evolution beziehungsweise die Möglichkeit dazu bereitsin den Anfangsbedingungen des Universums sowie in den Eigenschaften der Materie festgelegt, die er als „Alphabedingungen“ bezeichnet: „Die ALPHA-Bedingungen – das sind die Gesetze der Natur sowie die Eigenschaften von Materie und Raum-Zeit – führen zwangsläufig zur Entstehung und zum Wachstum von Komplexität und Information.“ Damit bekennt er sich zum sogenannten „Anthropischen Prinzip“, das 1974 vom amerikanischen Physiker Brandon Carter formuliert wurde. In seiner konsequenten Form bedeutet es, dass das Universum in seinen Gesetzen und in seinem speziellen Aufbau so beschaffen sein muss, dass es irgendwann unweigerlich einen Beobachter (uns) hervorbringt. Mit dieser Ansicht findet sich Bresch in keiner schlechten Gesellschaft, denn nicht wenige Kosmologen vertreten ebenfalls, wenn auch gelegentlich in abgeschwächter Form, diesen Standpunkt.

Stellvertretend sei hier nur der Physiker und Mathematiker Freeman Dyson genannt, von dem der vielzitierte Satz stammt: „Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in gewissem Sinne gewusst, dass wir kommen.“

Eine zentrale Rolle in Breschs Evolutionskonzept spielt sein Begriff „Complexum“ (in seinem ersten Buch sprach er schlicht von „Muster“). Er zeigt, dass von Beginn an, das heißt mit der Entstehung der Materie, diese dazu neigt, immer komplexere Strukturen auszubilden, die, der Darwin’schen Selektion unterworfen, schließlich bis zum Menschen führen: „Die Richtung der Evolution heißt: Komplexität wächst.“ Damit ist aber die Evolution nach Ansicht des Autors nicht beendet, sondern wird noch weit über uns hinausführen, denn „mit zunehmender Integration wachsen Welt und Menschheit weiter in selbstbeschränkender Freiheit“, und das mögliche Ziel dieser Entwicklung könnte ein „gigantischer intellektueller Organismus, ein planetarisches Riesenwesen aus materiellen, biologischen und kulturellen Strukturen unter Kontrolle globaler Information“ sein.

Diesen Organismus nennt er „Monon“. Aber auch dieses Monon markiert noch nicht die letzte Stufe der Entwicklung, sondern wird sich seinerseits mit anderen „Mononen“ im Universum verbinden und „im Laufe der Entwicklung mag der Nachrichtenfluß von Monon zu Monon stufenweise zu einer Informationskaskade anschwellen.“ Mit dieser Vorstellung liegt Bresch nahe bei Teilhards „Omega“, ohne dabei allerdings seine religiöse Engführung zu übernehmen. Gleichzeitig räumt er aber bescheiden ein, dass alles sich auch anders entwickeln könnte, denn „Anfang und Ziel der Evolution liegen in mystischer Unbegreiflichkeit“. Während Teilhards Gott ein sehr konkreter Gott war, ist der Gott Breschs „etwas Unfassliches, eine Unbegreiflichkeit im geistigen Horizont des Menschen, ein Urgrund, Boden und Ursache zugleich“ – ein Gott, der sich in den Anfangsbedingungen des Kosmos manifestiert, dadurch alles weitere erst möglich macht und mehr lässt sich über ihn nicht sagen.

Carsten Bresch sagt selbst, dass er eigentlich ein Buch gegen den Kreationismus schreiben wollte, dass es dabei aber auch ein Buch gegen den blinden Atheismus geworden ist. Gerade der Mut des Wissenschaftlers, weltanschauliche Grenzen zu überschreiten, macht dieses Buch allemal lesenswert, auch wenn nicht jeder mit seinen Gedanken zur weiteren Entwicklung der Menschheit konform gehen wird. Und weil es so schön ist, soll am Ende noch einmal der Autor zu Wort kommen. „Der Weg des Universums ist sichtbar: aus Chaos zum Kosmos zu wachsen. Damit gewinnt auch mein Leben einen Sinn. Ich darf, ich kann, ich soll ein Teil sein – Teil der Complexification des Universums. Sinnvoll ist danach jedes Bemühen um Toleranz und Vertrauen, um Kooperation, Vernetzung und Harmonie, um Überwindung von Angst und Gewalt. Sinnvoll ist jede Verbreitung von Wissen… Unbegreifliches steht am Anfang, wirkt in allem Geschehen und bleibt doch im Verborgenen, ist niemals Person. Alpha ist der Grund – der Grund aller Evolution. Mehr Worte machen es nicht klarer.“

Nachbemerkung: Eine veränderte Fassung dieses Beitrags ist in der von Eckart Löhr herausgegebenen Zeitschrift Re-visionen.net am 18.3.2020 erschienen.

Titelbild

Carsten Bresch: Die Evolution. Was bleibt von Gott? Wissen & Leben.
Herausgegeben von Wulf Bertram.
Schattauer Verlag, Stuttgart 2010.
240 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783794527571

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