Zumutung
Die Fernsehserie Buffy aus der Perspektive des link(sradikal)en Tunnelblicks
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Vampirjägerin Buffy gilt nicht zu Unrecht als eine der emanzipatorischsten Serienheldinnen. Dies aber nicht etwa, weil sie besonders stark, kämpferisch und mutig ist (all das ist sie und bleibt dabei doch ein Teen und später ein Twen mit all deren Sorgen und Nöten), sondern weil sie nicht gleich dem berühmten lonesome rider allein gegen die in ihrem Falle dämonischen Übel dieser Welt kämpft, sondern von Beginn an die Unterstützung einer Gruppe teils magisch begabter Mitstreiterinnen erfährt und den letzten Kampf schließlich nur mit Hilfe einer großen Zahl junger Mädchen und Frauen bestreiten kann, die ebenfalls zu Vampirjägerinnen herangereift sind. Eine junge Zuschauerinnen ermutigendere und ermächtigendere Botschaft lässt sich in einer solchen Serie kaum denken.
Der gute Ruf, den Buffy unter anderem eben darum genießt, hat dazu geführt, dass auch der akademische und universitäre Bereich sich für sie zu interessieren begann. Zunächst im angelsächsischen Raum, in dem schon seit Längerem von Buffy Studies die Rede ist. Inzwischen gibt es auch die ersten deutschsprachigen Studien und Untersuchungen. So publizierte Christina Kalkuhl 2005 einen kleinen Aufsatz, der die Frage erörterte, ob Buffy antiziganistische Tendenzen innewohnen, fünf Jahre darauf erschien eine Studie des im Bereich der Gay Media forschenden und arbeitenden Theater-,Film- und Medienwissenschaftlers Manuel Simbürger, die unter dem Titel „Reading Queer“ der „Dekonstruktion von Heteronomität“ in der Serie nachspürt. Jüngst folgte nun eine Textsammlung mit dem Titel „Horror als Alltag“. Anders als die bisher Genannten trägt sie einen dezidiert antiakademischem Impetus vor sich her, was einige der Beitragenden allerdings nicht daran hindert, ja vielleicht sogar geradezu ermutigt, mit dem impliziten Gestus aufzutreten, die einzig plausible und vor allem erschöpfende Interpretation der Serie und ihrer Charaktere vorzulegen. Und die besteht nicht selten darin, die vermeintliche „Flachheit“ der Serie und die „Eindimensionalität“ ihrer DämonInnen zu behaupten. Das aber wollen die Autorinnen nicht etwa als Kritik an der Serie verstanden wissen, vielmehr seien es gerade diese Charakteristika, die sie überhaupt erst „so brauchbar und köstlich“ mache. Es seien eben diese ganz besonderen Qualitäten der Serie, an der sich die universitären Eierköpfe der Buffy Studies so vergeblich abmühten.
Der vorliegende Sammelband ist hingegen, wie auf den ersten Blick erkennbar, nicht als akademisches, sondern als Fanprojekt entstanden. So handelt es sich denn auch weniger um ein Fach- als vielmehr um ein Sachbuch, in dem sich die Beitragenden einig sind, dass „Buffy“ eines „der schönsten und berührendsten Produkte“ ist, „das die Popkultur je hervorgebracht hat“, nämlich ein, wie die HerausgeberInnen meinen, „wunderschönes ideologiefreies Kunstwerk“. Gemeinsam ist den Beiträgen nun „der Versuch zu bestimmen“, warum es „so besonders“ ist.
Bevor sie diesen Versuch starten, fröhnen einige der AutorInnen zu Beginn ihrer Beiträge jedoch erst einmal ihrer offenkundigen Bildungsaversion. Auch Annika Beckmann und Heide Lutosch scheinen an einer einschlägigen Allergie zu leiden, beginnen sie ihre Beantwortung der Frage „Wozu Vampire?“ doch mit Anwürfen gegen „gebildete Kreise“, in denen über „Tatort“, Fußball, „Anne Will“ und das „salonfähige Großthema ‚Die andere Seite der Moderne‘“ „palavert“ werde, „um ein intellektuell verpacktes Bescheidwissen, Dabeisein, Den-letzten-Schrei-kennen“ zu beweisen, und die zu allem Übel auch noch lieber „True Blood“ schauen als „Buffy“.
Sodann qualifizieren sie Rhonda V. Wilcox als „Literaturwissenschaftlerin und Bildungsromanleserin“ ab, deren – von ihnen in hämische Anführungszeichen gesetzte – ‚Interpretationen‘ sie „Komik“ bescheinigen. Lars Quadfasel polemisiert ebenfalls erst einmal gegen die Geisteswissenschaft, jenen „Hort der Hochkultur“, der „kaum einen Aufsatz“ über „Buffy“ hervorbringe, „der mehr sieht, als in der Serie zu sehen ist“. Nun ist es aber gerade Anliegen und Aufgabe von Wissenschaft, das nicht Offensichtliche und Verborgene zu entdecken und offen zu legen, worauf schon die griechische Vokabel für Aleithea abzielt. Weiter wirft Quadfasel wissenschaftlichen Näherungsversuchen an Buffy und ähnlichen Produkten vor, sie legten die „Elle des sozialen Realismus“ an die Erzeugnisse der Popkultur und hingen der Illusion an, dass Fernsehen „als freundlichen Lieferservice von Wirklichkeit die Welt so zeige, wie sie ist.“
Dass er gerade noch monierte, WissenschaftlerInnen sähen mehr als es zu sehen gibt, scheint er da schon vergessen zu haben. Derlei Distanzierungsgehabe zeugt nicht eben von Souveränität. Bildungs- und Intellektuellenabwehr scheint allerdings bei der einen oder anderen AutorIn bloße zielgruppengefällige Attitüde zu sein. Denn einige von ihnen weisen sich anhand ihrer Texte als durchaus nicht ungebildet aus und zeigen sich zu intellektuellen Reflexionen ohne weiteres in der Lage. Auch wenn sie das durch ihren (nach)lässigen Sprachgebrauch nach Kräften zu verschleiern suchen. So hantiert Carmen Dehnert in ihrem Beitrag über die lesbische Liebe zwischen Willow und Tara gerne mit Versatzstücken der Lacan’schen Theorie und meint, dass ein einziger Satz aus der Serie „geschätzte drei Jahre Studium der Lacan’schen Psychoanalyse“ erspart. Dietmar Dath erklärt zwar, dass das intertextuelle Interpretationsverfahren für seinen „Versuch, ‚Restless‘ zu verstehen“ wenig zielführend sei, doch zeigt er sich weder bildungs- noch intelektuellenfeindlich, sondern stellt seine Bildung und Intellektualität einmal mehr unter Beweis. Auch wenn man mit seinem Verständnis „Buffys“ nicht unbedingt d’accord gehen muss.
Die von anderen Beitragenden gleich einer roten Fahne vor sich hergetragene Geist- und Intellektuellenfeindlichkeit des Bandes schlägt sich insbesondere in der bei ihnen ebenso beliebten wie pejorativ gemeinten Wendung vom „Bildungsbürger“ nieder. Dazu passt, dass sich zumindest einige der Essays eines marxistisch inspirierten Jargons bedienen, der mit dem Muff der 1970er-Jahre durch die Seiten weht – jener Ära, in der es noch genügte, irgendetwas mit dem Adjektiv „bürgerlich“ zu belegen, um es zu erledigen. Im vorliegenden Band sind es nun etwa die „bürgerliche Subjektivität“, die „objektiven Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft“ oder die „Widersprüchlichkeiten der bürgerlichen Subjektivität und Sexualität“, gegen die vom Leder gezogen wird. Birgit Ziener kritisiert das „bürgerliche Emanzipationsversprechen“ mitsamt der ganzen „bürgerliche Freiheit“ und überhaupt die „kleinbürgerliche Realität im Spätkapitalismus“. Zu den Lieblingswendungen nicht weniger Beitragender zählt zudem die Leerformel von den „Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft“. Jasper Nicolausen und Jakob Schmidt kommen zwar auch nicht ohne die „bürgerliche Gesellschaft“ aus, doch belassen sie es lieber bei einer noch allgemeineren Beschwerde über die „Zumutungen der Wirklichkeit“.
Die Beitragenden des Bandes benutzen den in einem bestimmten Zweig der Queer Studies üblichen Unterstrich, der etwa in „Autor_innen“ anzeigt, dass alle dritten und sonstigen ungenannten und möglicherweise unnennbaren Geschlechter nicht nur mitgemeint sind, sondern ausdrücklich auf sie aufmerksam machen will. Eine Schreibweise, gegen die sich so manches einwenden lässt, und die, wenn sie wie im vorliegenden Fall nicht konsequent eingehalten wird, zu einigen Irritationen führen kann. Etwa, wenn die Figur Willow einer „Gruppe von Freunden“, die Buffy „mit weniger mythischen Fähigkeiten helfen“, nicht nur zugeschlagen, sondern „allen voran“ gestellt wird. Willow ist nun aber nicht etwa Mann, wie aufgrund der ohne Unterstrich geschriebenen „Freunde“ vermuten werden könnte, sondern eine Lesbe. Dass sie sich hier des generischen Maskulinums bedienen, werden die „Herausgeber_innen“ wohl nicht ernsthaft geltend machen wollen. Doch das kurze Zitat enthält noch einen weiteren Fehler. Er ist sachlicher Art. Denn mit magischen Kräften sind durchaus einige von Buffy Freunden ausgestattet, wie etwa der Werwolf Oz, die hexische Gefährtin von Willow Tara, oder Alexanders Freundin Anya. Und tatsächlich allen voran Willow selbst, die immer machtvollere hexische Kräfte entwickelt und nur darum nach dem Mord an Tara zur Gefahr für das ganze „Buffyverse“ werden kann.
Doch zurück zu Annika Beckmanns und Heide Lutoschs Frage „Wozu Vampire?“ Sie beantworten sie dahingehend, dass die Untoten „für all den Kram“ stünden, „der hier und heute Autonomie unterminiert, für das, was permanenten Stress verursacht, für das, was einen zunehmend von sich selbst und von den Freunden entfremdet, für das was einen hindert, das zu tun, was man tun möchte, für das, was einen trennt von der zuversichtlichen Anspruchshaltung, mit der man einmal auf seine eigenes Leben losgegangen ist, von der Ehrlichkeit, die man gesucht hat, für das, was einen so schrecklich ruiniert: Konkurrenz und Kleinfamilie, Patriarchat und Militär, Arbeit und Anpassungsdruck“; kurz und gut: „für die Zumutungen der bürgerliche Gesellschaft, mehr noch für deren Objektivität“. Denn „Buffys Umgebung der Gesellschaft“ ähnele der, „in der die linksradikalen Zuschauer leben“, nur „erscheint das alles“ verglichen mit den eigenen Schulerlebnissen „wie abgesoftet“. Im Einzelnen „verkörpert“ der Master „den heutigen Schrecken von Arbeitsverhältnissen“, der Bürgermeister „verkörpert in seiner selbstzufriedenen Jovialität den Schrecken einer bürgerlichen Moral“, die „Initiative“ „verkörpert den Schrecken und auch den Reiz eines gigantischen naturwissenschaftlichen Apparats“, die Göttin aus einer anderen Dimension namens Glory „verkörpert ein spezielles Phänomen der bürgerlichen Kleinfamilie“, die Geeks „verkörpern“ ein „besonderes Dillemma des Lebens in der spätbürgerlichen Gesellschaft: Wenn man erwachsen wird, macht man sich selbst kaputt, wenn man sich weigert, es zu werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man andere nicht nur unendlich nervt, sondern sie auch missachtet und verletzt.“
So schlicht, einfach und eindimensional stellt sich das alles dem AutorInnenduo dar. Zugleich aber legen sie Wert auf die Feststellung, „dass es sich bei den Dämonen nicht um Symbole handelt“. Dies zeige schon „folgende Beobachtung: In jener Sorte von Folgen, in denen die Monsters of the Week eindeutig für etwas bestimmtes stehen, verdankt sich das Wissen darum, wofür sie stehen, niemals den Dämonen selbst. Bevor man den jeweiligen Dämon überhaupt zu Gesicht bekommt, ist das, wofür er steht, immer schon vollständig expliziert.“ Argumentative Kohärenz scheint den Autorinnen wenig zu gelten. Und wenn sie sich abschließend eine „Zuschauerin“ herbeifantasieren, „der trotz ihrer fast vierzig Jahre jede Motivation zum Erwachsenwerden fehlt“, so haben sie sich tatsächlich eine schlicht infantile Identifikationsfigur geschaffen.
Scheinen sich alle Beitragenden in ihrer Liebe zu „Buffy“ und ihrem Hass auf den Kapitalismus und das (Bildungs-)Bürgertum einig, so wird der „Buffy“-spin off „Angel“ wohltuend kontrovers beurteilt. Während Jasper Nicolausen und Jakob Schmidt „zwei lange Thesen“ zu dessen Apologie entwickeln, und vor allem an der „schonungslosen und gemein eingefädelten Erledigung des Mythos von der Sinnstiftung durch Arbeit“ Gefallen finden, führt Ruth Hatlapa eine überzeugende Klage gegen den Antifeminismus des spin off, in dem die Frauen „wieder zu richtigen Frauen gemacht werden: Sie kochen Kaffee, verdrehen ihren Kollegen verführerisch immer mal wieder die Köpfe und sorgen als fürsorgliche Mutterfiguren oder kleine, kluge und irgendwie ein bisschen verrückte Sonnenschein-Mädchen für die emotionale Balance im Büro“. „Eine wirklich sexistische Katastrophe“ stelle von allem die „sukzessive Demontage“ der aus „´Buffy“ übernommen Figur Cordelia dar. Ein Befund, der sich nur unterstreichen lässt.
Dass man sich dem Phänomen „Buffy“ durchaus vielschichtiger, tiefgründiger und vor allem ohne Tunnelblick nähern kann, zeigte unlängst der von James B. South herausgegebene philosopische Sammelband „Fear and Trembling in Sunnydale“. Aber das mag den HerausgeberInnen und AutorInnen des vorliegenden Buches vielleicht alles schon wieder zu bürgerlich und zu gebildet sein. Doch wenn eine Essaysammlung und eine Fernsehserie zusammenstoßen und es klingt hohl – beziehungsweise flach und eindimensional –, so muss der Ton nicht unbedingt aus der Serie erschallen, hätte ein vor einigen Jahrhunderten brillierender Aphoristiker wohl angemerkt.
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