Kaum zu beherrschende Räume

Jakob Zollmann zeigt am Beispiel der Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika die Grenzen europäischer Macht in Afrika auf

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das kurze koloniale Gastspiel der Deutschen im heutigen Namibia weist auch eine interessante rechtsgeschichtliche Facette auf, die der Göttinger Historiker Jakob Zollmann nun in einer Dissertation über die Kolonialpolizei im ehemaligen Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika untersucht hat. Dabei geht es ihm weniger um die Chronologie einer Polizeitruppe, die mit ihren zuletzt 500 Angehörigen in vielen Teilen der Kolonie die deutsche Macht höchstens repräsentieren konnte. Zollmann interessiert sich in seiner Untersuchung vor allem für den – allerdings von Anfang an zum Scheitern verurteilten – Versuch der deutschen Kolonialbürokratie, den riesigen südwestafrikanischen Raum mit seiner heterogenen Bevölkerung aus Autochthonen und weißen Siedlern ordnungspolitisch zu durchdringen. Ein wesentliches Instrument kolonialer Ordnungsideen in Deutsch-Südwestafrika war die seit 1894 bestehende Polizeitruppe. Gerade im Hinblick auf die vergleichsweise hohe Zahl der dort lebenden weißen Siedler war das vorhandene Militär, wie Zollmann betont, durch Auftrag und Ausbildung kaum in der Lage, die vielfältigen Reibungsflächen zwischen Kolonialbürokratie und einer gemischten Bevölkerung auf rechtlicher Basis zu handhaben.

Zunächst widmet sich der Verfasser in seiner detailreichen Studie dem allmählichen Aufbau einer Landespolizei, deren Personal sich überwiegend aus Ehemaligen der deutschen Schutztruppe rekrutierte und durch sogenannte farbige Polizeidiener ergänzt wurde. Gerade dieser Personenkreis war nicht nur wegen seiner geringeren Gehälter gefragt, sondern auch aufgrund seiner Brückenfunktion zu den Einheimischen. Als Dolmetscher wie auch als Fährtensucher waren sie für die deutsche Kolonialbürokratie sogar unverzichtbar. Die Verfolgung und Aufspürung von Viehdieben beiderlei Rasse gehörte zur Standardpflicht der Polizeitruppe. Eine zufriedenstellende Regelung der obrigkeitlichen Befugnisse der schwarzen Polizeidiener gegenüber straffälligen Weißen wurde allerdings bis zum Ende der Kolonialzeit vor allem wegen des unter Europäern vorherrschenden Rassismus nie gefunden. Schieden die Einheimischen schließlich aus dem Dienst aus, mussten sie sich fast völlig ohne Versorgung oder sonstige finanzielle Ansprüche weiter durchschlagen oder waren günstigstenfalls auf die Unterstützung ihrer Clans angewiesen. Auch Frankreich erwies sich später gegen seine so genannten Senegalschützen kaum generöser, wie Zollmann vermerkt.

Trotz aller Zurücksetzungen entwickelten die Autochthonen gegenüber den Europäern eine besondere Art von Selbstbewusstsein, die sich auf ihre Erfahrung und auf ihre Vertrautheit mit dem Einsatzgebiet gründete. Oft genug mussten die Behörden ausschließlich aus Afrikanern bestehende Gruppen – sogar unter der direkten Kontrolle ihrer Chefs – mit der Verfolgung oder dem Aufspüren von Straftätern beauftragen.

Da in Deutsch-Südwestafrika auch der Vollzug – anders als im Reich – Aufgabe der Polizei war, widmet sich Zollmann in seinem zweiten Hauptteil der Strafpraxis im kolonialen Raum. Dabei steht die oft extrem angewandte Prügelstrafe im Fokus der Darstellung. Während in Deutschland dieses Herrschaftsmittel an erwachsenen Angehörigen des Hauspersonals oder des Gutsgesindes allmählich aus dem Spektrum obrigkeitlicher Sanktionen verschwand, feierte sie in den Kolonien ein beachtliches Comeback. Noch 1910 wunderte sich der kolonialpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Reichstag, der spätere Reichswehrminister Gustav Noske, über die strafrechtliche Bilanz in der Kolonie. Wenn bei einer autochthonen Bevölkerung von nur 70.000 Menschen in einem einzigen Jahr 1262 Prügelstrafen verhängt wurden, sei das ein so „kolossaler Prozentsatz“ von Verurteilungen, dass man nicht verstehe, nach welchen Grundsätzen die Rechtspflege ausgeübt werde.

Zwar war die Einsicht in die erzieherische Wirkungslosigkeit von Stockschlägen auch in der Kolonialbürokratie durchaus vorhanden, doch die kulturellen Prägungen der Europäer waren einfach zu stark. Überdies tendierten nicht nur deutsche Kolonialherren dazu, den Einheimischen die Anerkennung als vollwertige Erwachsene abzusprechen, um sie stattdessen auf der moralischen Stufe von Kindern anzusiedeln, bei denen Prügelstrafen selbst in Europa noch lange unstrittig waren.

Erst im letzten Abschnitt seiner Studie gibt Zollmann am Beispiel der Kolonialhauptstadt Windhuk einen detaillierten Einblick in die ökonomische und soziale Lage eines begrenzten kolonialen Bereichs. Der Arbeitskräftemangel war das prägende Element im Wirtschaftsleben der gesamten Kolonie, zumal wenn Großprojekte wie der Eisenbahnbau in scharfe Konkurrenz zu dem Bedarf der weißen Siedler traten. Eine der unerwünschten Folgen der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt war die Ghettobildung der Einheimischen, die Zollmann ausführlich am Beispiel der so genannten „Werften“ in Windhuk beschreibt. Die vielfältigen sozialen Probleme dieser Notbehausungen für farbige Arbeitskräfte und ihre Familien, die in ihrem Erscheinungsbild den heutigen südafrikanischen Townships ähnelten, bildeten bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft einen Brennpunkt behördlichen und polizeilichen Handelns. Eine zufrieden stellende Lösung konnte trotz vielfältiger Ansätze jedoch nicht gefunden. Krankheiten, Alkoholismus, Gewalt und bittere soziale Not blieben die prägenden Elemente des kolonialen Staates, der zugleich immer ein schwacher Staat war. Die Sozialstruktur und die Kultur der autochthonen Gesellschaften hat er kaum beeinflussen können.

Zollmann, der reichlich aus den Akten schöpft, kann eine Fülle von Belegen liefern, dass gerade die ordnungspolitische Schwäche der Kolonialbürokratie bis zu einem gewissen Grade für die Eskalation von Gewalt im kolonialen Raum verantwortlich war. Eine direkte Linie von „Windhuk nach Auschwitz“, wie sie verschiedentlich in der Forschung debattiert wurde, bestreitet er jedoch vehement. Die angestrebte Entmilitarisierung des polizeilichen Aufgabenbereiches, die sich an der europäischen Entwicklung orientierte, scheiterte in Deutsch-Südwestafrika nicht nur an der geringen Zahl der Ordnungskräfte, sondern auch an der Tendenz, für Europäer und Einheimische unterschiedliche Rechtsnormen zu entwickeln.

Insgesamt ist sein Fazit ein überraschend dürftiger Ertrag seiner breit angelegten systematischen Studie, die dem Leser viel Stehvermögen abverlangt. Zwar versucht er seine Darstellung in eine allgemeine Entwicklung des Polizeiwesens im 19. Jahrhundert einzuordnen, doch man vermisst zugleich eine konzise Historiografie der deutschen Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika. Ohne diesen chronologischen Kontext, den Zollmann offenbar beim Leser voraussetzt, wirken seine Beschreibungen trotz ihrer Dichte oft sprunghaft und fragmentarisch.

Titelbild

Jakob Zollmann: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894-1915.
Aus der Reihe Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 191.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010.
400 Seiten, 57,95 EUR.
ISBN-13: 9783525370186

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