Braun-grüner Proteus

Willi Winklers politische Biografie über François Genoud, den Strippenzieher zwischen Rechts und Links

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schweizer Geschäftsmann und Hitler-Verehrer, Freund des palästinensischen ‚Freiheitskampfes‘, Antizionist und Antisemit, regsamer Mittelsmann pan- und proarabischer Terrorgruppen um Wadi Haddad und Carlos, profittüchtiger Rechteinhaber des schriftlichen Nachlasses von Joseph Goebbels und Martin Bormann – was François Genoud betrifft, ist die Rede von einer ‚schillernden’ Persönlichkeit wahrhaftig keine Floskel. Wie immer man die Puzzle-Teile zusammensetzt – ein restlos stimmiges Bild ist nicht zu erhoffen: So manchen, der erwogen hat, Genouds Biografie zu schreiben, wird diese Aussicht entmutigt haben. Tatsächlich sind eineinhalb Jahrzehnte nach dessen Tod erst zwei biografische Versuche, im Original französisch, erschienen. Die erste größere Arbeit deutscher Provenienz liegt nun bei Rowohlt Berlin vor: Willi Winklers „Der Schattenmann“.

Winkler kann vorzüglich schreiben – nicht in einer Mundart, sondern mehreren. Er hat für die „Zeit“ und den „Spiegel“ gearbeitet, ist der „Süddeutschen Zeitung“ verbunden: mehr oder minder liberalen Blättern, die gleichwohl unterschiedliche Schreibweisen pflegen. Darüber hinaus hat sich Winkler als Übersetzer John Updikes und Saul Bellows literarische Meriten erworben. Vor allem ist er mit essayistischer und zeitgeschichtlicher Prosa hervorgetreten, darunter Arbeiten zur RAF und Populärkultur. Wer mit Karl Kraus’ im Glauben ist, der Journalismus verdürbe Wort und Gedanken zur Phrase, wird durch Winkler eines Besseren belehrt. Die Kunst der Pointe und geschickt platzierten, unverbrauchten Metapher, der Verdichtung und Raffung steht diesem Autor selbstverständlich zu Gebote. Die Satzgebilde sind zuweilen intrikat, doch überschaubar gebaut, oft mit bewundernswürdiger rhythmischer Genauigkeit. Wichtiger noch: Winkler versteht zu erzählen. Sein „Schattenmann“ umfasst etwa 300 Seiten, die durchwegs sinnvoll portioniert sind: Atemressourcen und Aufmerksamkeitsspanne des Lesers werden nie überfordert. Gallig-sarkastische Töne sorgen für Würze, das Treiben des „Helden“ wird beim hässlichen Namen genannt, doch ohne pastorale Attitüde oder naives Entsetzen über das Böse.

Von einer eigentlichen Lebenserzählung und Biografie im engeren Sinne ist „Der Schattenmann“  weit entfernt. Hier wird kein Entwicklungsroman geboten, keine Sittengeschichte der Schweizer Bourgeoisie im 20. Jahrhundert. Stattdessen folgt Winkler den Verästelungen des Netzwerks um François Genoud, entfaltet ein Bestiarium alter und neuer Nazis, linker Revolutionäre, Bankiers und Terroristen. Viele Charaktere werden mit wenigen Strichen gezeichnet, gleichsam nur angedeutet. Im gegebenen Rahmen – und wegen fehlender Daten – ist dies nicht zu vermeiden. Die eklektische Vielfalt der Bindungen und Beziehungen scheint am besten geeignet, Genouds Eigenart zu umreißen: Er bleibt die Graue Eminenz, nicht festzulegen, der Grandseigneur mit diskreten Manieren, der im Halbdunkel Fäden zieht.

Mit famoser Prägnanz hat Winkler den Schattenmann selbst – und das Buch gleichen Namens – ‚ex negativo‘ charakterisiert: „Für eine gute Geschichte hat die folgende einfach zu viele Namen. Das buntscheckige Personal der letzten sechzig, siebzig Jahre tritt auf, Nationalsozialisten, Politiker, Kirchenleute, Bandenchefs, Terroristen, dazwischen auch Verleger und Anwälte. Der Schauplatz wechselt von Bonn am Rhein an den Genfer See, von München nach Buenos Aires, Jerusalem, Beirut, Moskau, Paris. Wer soll da den Überblick behalten? Mitten in diesem Durcheinander befindet sich ein Mann, der so dicht von Legenden umwuchert ist, dass ihn niemand kennt.“

Genouds Affinitäten zu ganz rechts und ganz links müssen befremden. Manches wird leichter verständlich, wenn Amin al-Husseinis prägender Einfluss berücksichtigt wird. Al-Husseini kann als Scharnier zwischen Genouds alter Nazi-Begeisterung und Sympathie für den neuen Linksterrorismus gelten. Der Großmufti von Jerusalem hatte sich in den 1930-Jahren als Wortführer panarabischer und antizionistischer Bestrebungen im Vorderen Orient profiliert. Sein Antizionismus zielte auf die physische Vernichtung des Judentums. Dies machte ihn zum gern gesehen Dauergast im Deutschland Hitlers. Der leidenschaftlichen Bewunderung des jungen Genoud, der, frustriert von den beschränkten Wirkungsmöglichkeiten des Schweizer Heimatmilieus, nach politisch-romantischer (und pekuniär ertragreicher) Betätigung lechzte, war dies zumindest nicht abträglich.

Genoud  agierte während des Krieges als rühriger Mittelsmann und Zwischenträger von Gold und Informationen zwischen der Schweiz, Deutschland und anderen Staaten, nach 1945 als Schutzpatron und Financier ‚verfolgter Unschuld‘ in Person Klaus Barbies wie Carlos’, vor allem aber als Doppel- und Tripelagent zwischen Terrorgruppen und Diensten. Die beinahe hysterische Verehrung für Hitler – „‚[…] die Wahrheit ist, ich habe Hitler geliebt.‘“ – und al-Husseini kann neben (je nach Gelegenheit) offen zur Schau gestelltem oder halbherzig camoufliertem Antisemitismus als einzige weltanschauliche Konstante im Leben Genouds gelten.

Im Tagesgeschäft war dieser Virtuose des Halbdunkels zu jedem Verrat bereit, auch zu Ungunsten eigener Schützlinge. (Dies kostete Carlos, möglicherweise, die Freiheit.) Dass sich Genoud weitgehend unbehelligt sinistren Geschäften widmen konnte, ist nicht allein der peinlichen Beachtung der Schweizer Gesetzeslage geschuldet, sondern fruchtbarem Austausch mit diversen ‚Diensten‘, zuvörderst dem Schweizer Geheimdienst: „Der beginnt 1934 mit der Beobachtung, aus der schnell eine Überwachung wird. Genoud ist kaum neunzehn, als die Behörde Interesse an ihm fasst. […] Genoud ahnt bald das Interesse der Behörde an ihm, scheint es von Anfang an zu fördern, spielt schließlich damit. […] In den kommenden Jahrzehnten, in denen Genoud seine Freunde in allen Lagern sucht, wird ihm niemand so treu zur Seite stehen wie der Schweizer Geheimdienst.“

Genoud blieb bis zum Schluss ein geachtetes Mitglied der feinen Schweizer Gesellschaft. Als die amerikanische Politik und Justiz auf Genouds Treiben aufmerksam werden, setzt der „Schattenmann“, achtzigjährig, frustriert durch den Tod der geliebten Gemahlin, seinem Leben ein Ende: „Am 30. Mai 1996 schart er seine Freunde um sich, bewirtet sie in seiner großzügigen Art und nimmt dann Gift. Zwei Boten der Sterbehilfe-Organisation ‚Exit‘ haben ihm sechs Gramm des weißen Pulvers zugestellt. […] Genoud will den rechten Zeitpunkt wählen, er will heroisch sterben, dramatisch wie seine Helden Goebbels und Hitler. Seiner langjährigen Anwältin Cordula Schacht hatte er bereits die Verfügung an den Urheberrechten von Joseph Goebbels abgetreten. […] Seine Freunde, so hieß es in der Todesanzeige in ‚L’Autre histoire‘, ‚werden versuchen, sich von seinem Beispiel leiten zu lassen‘.“

Titelbild

Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das gewissenlose Leben des Francois Genoud.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2008.
351 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346262

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