Feine Nadelstiche der Ironie

Zu Christian Hallers Kolumnensammlung „Die Stecknadeln des Herrn Nabokov“

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man würde wahrscheinlich Christian Haller nicht zu nahe treten, wenn man ihn eher als einen Sprachartisten denn als einen Schriftsteller bezeichnen würde. Der gemeine Schriftsteller ist einer, der meint, etwas zu sagen zu haben, wozu ihm die Sprache lediglich das unentbehrliche Hilfsmittel ist. Der Sprachartist hingegen hat natürlich auch etwas zu sagen, doch ist ihm die Sprache das kostbare Gefäß, in das der Inhalt gegossen wird. Er verwendet große Mühe darauf, die Sprache funkeln zu lassen. Ihm ist die Sprache mindestens gleichwertig wie der Inhalt.

Christian Haller ist einer der großen Sprachartisten unserer Zeit, ein „Wortsüchtiger“, wie er sich in einer der Kolumnen bezeichnet, die in seinem Buch mit dem Titel „Die Stecknadeln des Herrn Nabokov“ versammelt sind und die zwischen 2002 und 2009 fast ausschließlich in der Aargauer Zeitung erschienen sind. Allerdings bekommt die Sprache bei Haller kein Eigenleben wie beispielsweise in der Konkreten Poesie, beiliebe nicht. Sprache bleibt bei Haller das Mittel, das Sachverhalte, Gedanken, Geschichten und Meinungen transportiert. Aber so schön, dass man als Leser immer wieder staunend innehält und die sprachliche Virtuosität des Autors bewundert.

Zum Beispiel die Beschreibung einer Fahrt mit dem Auto im Baltikum: „Weite, offene Landschaften, durchströmt von Flüssen, bestanden mit Hecken. Alte Bäume bauschten ihre Kronen wie Segel vor dem Wind, Dörfer zogen vorbei, eingebettet in Felder – Bauernhäuser, Katen, verwitterte Bürgerhäuser –, und vom Hauptplatz aus nahe der Kirche und dem Pfarrhof, führte eine verwilderte Allee die Hügellehne hinan. In den Baumreihen fehlten einzelne Ulmen, ausgebrochen vom Alter.“

So knapp und so anschaulich kann Sprache sein, wenn sie ein echter Meister handhabt. Einer, der sich schon von Kindheit an von der Sprache so hat begeistern lassen, dass er, „der Bücher über Entdeckungsreisen las, mit Livington und Stanley durch afrikanisches Buschland zog – und schon mit acht Jahren die Malaria von der Lektüre bekam“; ersatzweise selbstverständlich, wie er in Klammern hinzufügt.

Für Haller ist die Sprache mehr als notwendiges Medium der zwischenmenschlichen Kommunikation, weshalb gerade er dazu fähig ist, die kleinen „nutzlosen“ Dinge des Lebens aufzulesen. So etwa, wenn sich Haller aufmacht, nach Gourrama in Marokko zu reisen auf den Spuren des großen Friedrich Glauser. Haller ist mit dem Auto unterwegs in unwegsamem Gelände und muss anhalten: „Ich stellte den Motor ab, öffnete die Wagentür und hörte, was ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört hatte: die Stille. Sie zu beschreiben, wäre paradox. Denn die Wörter, auch wenn wir sie stumm lesen, bestehen aus Lauten.“

Aber natürlich fährt Haller fort, die Stille zu beschreiben und führt eines der schönsten denkbaren literarischen Paradoxa vor: „Doch da, inmitten der von Sonnenglut heißen Steine, des blendenden Lichts, eines tiefen und gleichzeitig so hohen Himmels, war nichts als die Abwesenheit irgendeines Tons. Selbst die Gedanken, dieses innere Gerede, dieser Lärm einer Selbstbehauptung, wurde aufgesogen wie von einem Fließblatt, trocknete aus zu weißen Wüstenrinnsalen, und ich stand in der brütenden Sonne, lauschte hinauf zum Himmel zwischen den nackten Felswänden. Die Stille war so überwältigend, wie es die Fülle des Lichts war.“

Wer nun aber meint, die Faszination für Haller erschöpfe sich in seiner wunderbaren Sprache, irrt. Selbstverständlich. Denn seine Beobachtungen sind scharf. Es sind Beschreibungen eines Wertkonservativen vom Zerfall einer Gesellschaft, die sich dem billigen Konsum überantwortet hat. Die daraus folgende Oberflächlichkeit und Unaufmerksamkeit im Zusammenleben spießt Haller mit feiner Ironie auf und setzt so dem wichtigtuerischen Lärm unserer Zeit seine kleinen feinen Nadelstiche entgegen, die fast so unsichtbar sind, wie die titelgebenden Stecknadeln, mit denen der Schmetterlingssammler Vladimir Nabokov die Objekte seiner Sammelleidenschaft wie unsichtbar aufspießte. Das gehört zu dieser Kunst, die man getrost eine große nennen darf. Nicht zuletzt deswegen, weil er dabei mit keinem einzigen Wort oder Ton larmoyant ist. Sondern heiter, wie Kunst überhaupt sein soll.

Titelbild

Christian Haller: Die Stecknadeln des Herrn Nabokov.
Luchterhand Literaturverlag, München 2010.
154 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873503

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