Killer mit Zivilcourage

„Goldstein“: Volker Kutschers neuer Gereon Rath-Krimi

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang Juli 1931: Im Berliner Humboldthain nahe der Himmelfahrtkirche findet die Polizei einen toten Nazi, mit einer Schusswunde im Fuß und zahlreichen Stichwunden in der Brust. Wurde der SA-Mann von der Rotfront ermordet? Die Mordkommission findet das Projektil einer Remington 51, nicht gerade typisch für Kommunisten. Und die Kippe einer exotischen Zigarettenmarke aus den USA namens „Kämmel“, Korrektur: „Camel“.

Die Marke von Abraham Goldstein, genannt „Handsome Abe“: Auftragskiller eines Brooklyner Gangstersyndikats und zur Zeit Gast im Berliner Hotel Excelsior. Dort wird er aber seit seiner Ankunft in der Reichshauptstadt observiert, auf Anordnung von „Vipoprä“ Bernhard Weiß, der Goebbels‘ Hetzblättern keine Schlagzeilen à la „Jüdischer US-Gangster mordet in Berlin“ liefern will. Weshalb sich Kommissar Rath schon seit Tagen im Hotelflur vor Goldsteins Zimmer langweilen muss. Goldstein scheidet somit als Verdächtiger aus. Oder doch nicht? Dass der Gangster Rath längst ausgetrickst hat und in Berlin frei herumspaziert, wird für den Kommissar zu einer unangenehmen Überraschung.

Was ist nur aus Gereon Rath geworden? Wäre da nicht noch ein privater Auftrag, die Suche nach einem verschwundenen Geschäftspartner von Unterweltboss Johann Marlow, dem Rath noch immer eine Gefälligkeit schuldig ist, Volker Kutschers Kommissar wäre kaum wiederzuerkennen. Seit Raths eigenwilliger Suche nach dem „Kinomörder“ („Der stumme Tod“, 2009) vor etwas mehr als einem Jahr scheint Dienst nach Vorschrift statt karriere- und lebensgefährdender Solonummern sein neues Motto zu sein.

„Gereon Raths dritter Fall“ steht zwar auf dem Umschlag des gewohnt ziegelsteindicken, über weite Strecken packend erzählten, atmosphärisch dichten Bandes. Aber im Mittelpunkt stehen erstmal andere: Der mutige Kriminalassistent Andreas Lange etwa, der gegen Kollegen von der Schupo ermittelt, die mit einem kleinen Kaufhauseinbrecher kurzen Prozess gemacht haben. Oder Raths liebenswerte Freundin Charly Ritter, inzwischen im Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichtenberg, wo sie sich nicht nur mit einem Chauvi-Chef herumschlagen muss, sondern auch mit einer obdachlosen Schwarzfahrerin, die ihr durchs Fenster entwischt.

Dem Mädchen stand die pure Angst ins Gesicht geschrieben – und Charlys Instinkt sagt ihr, dass sie es finden muss, mit Gereons Hilfe natürlich. Nur dass der Charlys Interesse an dem Straßenmädchen nicht ernst nimmt. Und deshalb auch zu spät erkennt, dass all die Fälle, vom erstochenen Nazi bis zum verschwundenen Geschäftspartner Marlows, durch den ein Unterweltkrieg droht, zusammengehören. Wirkt Kutschers Kommissar in vielem, nicht zuletzt seinem Desinteresse an Politik, wie ein Mensch der Gegenwart, als Mann muss er sich an die „neue Frau“, wie es damals hieß, die auf eigenen Füßen stehen will, erst noch gewöhnen. Im dritten Band erweist sich Charly nicht nur als ebenbürtige Kriminalistin, der der Leiter der Mordkommission, Kriminalistenlegende Ernst Gennat, anbietet, als Kommissaranwärterin in die „Rote Burg“ am Alex zu kommen. Mit ihrem neuen Hang zu Extratouren am Rande der Legalität wird sie Rath ähnlicher, als diesem lieb ist. Der Blick auf die sich in den Weimarer Jahren rasant wandelnden Geschlechterverhältnisse gehört wesentlich zum Charme der von Kutscher auf acht Bände angelegten Rath-Reihe.

Und natürlich die genau recherchierte Erzählung der untergehenden Weimarer Republik im Medium des Kriminalromans. Im Sommer 1931 haben Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit Deutschland fest im Griff, haben die politischen Spannungen deutlich zugenommen, wird die Demokratie von links und rechts, von SA-Trupps und Rotfrontkämpfern in die Zange genommen. Noch findet der Rechtsstaat mutige Verteidiger, bieten der neue Polizeipräsident Albert Grzesinski und sein Vize Bernhard Weiß, von Joseph Goebbels als „Isidor Weiß“ verspottet, den Extremisten die Stirn. Doch die Rufe nach einem harten Durchgreifen, zur Not auch ohne Rechtsgrundlage, werden unter Raths Kollegen lauter – angesichts erschossener Kollegen und frei herumlaufender Gangster wie Goldstein.

Dabei ist „Handsome Abe“ ein Killer mit Zivilcourage, wie der Leser bald erfährt. Ganz ohne klischeehafte Romantisierung ist seine Figur zwar nicht, dafür umso sympathischer. Sein Leben lang verachtete er die „Schwarzhüte“ und „Kaftanträger“, wie sein ängstlicher Vater einer war, aber im Berliner Scheunenviertel wird er seinen Frieden mit der Religion seiner Väter machen. So ermöglicht die Geschichte seiner Familie Volker Kutscher, das Panorama des Berliner Judentums zwischen Assimilation und Tradition zu entfalten.

„In this town the street gangs wear uniforms“, konstatiert der Gangster verdutzt, als beim „Ku’dammkrawall“ vom 12. September 1931 SA-Schläger das Café Reimann stürmen und jüdische Gäste angreifen. Für Gereon Rath ist der Anblick der organisiert vorgehenden Nazis ein Schock – das Vertrauen in die Republik hat er aber noch nicht verloren. „Keine Sorge, bis zur Olympiade kriegen wir das schon hin“, lautet sein Versprechen.

Titelbild

Volker Kutscher: Goldstein. Gereon Raths dritter Fall.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
544 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462042382

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