Die „Front der Frauen“

Andrea Röpke und Andreas Speit beschreiben in ihrem Buch „Mädelsache!“, wie Frauen in der Neonazi-Szene agieren

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange galt die Neonazi-Bewegung als reine Männerdomäne. Seit einigen Jahren jedoch engagieren sich immer mehr junge Mädchen und Frauen in der rechten Szene. Sie sind nicht länger nur das Anhängsel ihrer rechts-orientierten Partner, sondern selbst in verschiedenen Bereichen aktiv. Politisch sind sie im Landtag oder in Kommunalparlamenten tätig, sitzen in Vorständen oder organisieren Parteiveranstaltungen. Auch mit ihren Engagements in verschiedenen rechten Organisationen wie den „Freien Kameradschaften“, den „Autonomen Nationalisten“ oder dem aus der NPD heraus gegründeten „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) sorgen Frauen für Aufsehen.

Die Szenekenner Andrea Röpke und Andreas Speit bieten mit ihrem Buch „Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene“ einen detaillierten Blick hinter die Kulissen der braunen „Front der Frauen“.

Auf Stimmenfang für die NPD

NPD-Strategen haben das Potential der Frauen für die Partei erkannt. Denn Frauen gehen nicht nur erfolgreich auf Stimmenfang, sondern tragen auch zu einem verbesserten Image der Partei bei. Man zeigt sich offen für die weiblichen Streiter. „Bei Wahlen bilden Frauen und Mädchen inzwischen rund ein Drittel des Wählerpotentials der Neonazis. Mindestens jedes fünfte Mitglied der NPD ist weiblich“, erklären Andrea Röpke und Andreas Speit. Die rechte Szene macht sich die gesellschaftliche Akzeptanz von ihren aktiven Frauen zu eigen. Längst wird nicht nur gegen Ausländer gehetzt, sondern alltägliche Probleme angesprochen, die die Bevölkerung beschäftigen, sei es Kindesmissbrauch, finanzielle und gesellschaftliche Missstände, Nachbarschaftshilfe oder Naturschutz. So wirken die Frauen dem gewalttätigen Image, das männlichen Neonazis anhaftet, entgegen und erspielen sich somit als „nette Nachbarin“ die Sympathie ihres Umfeldes.

In Spitzenpositionen der Partei allerdings sieht man Frauen eher selten. Die sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler ist bislang eine der wenigen Ausnahmen, doch in ihrem Amt sorgt sie kaum für Aufsehen, sondern bleibt eher unauffällig – hinter ihrem Mann. Und so soll es auch sein, geht es nach einem Teil der männlichen Parteifunktionäre, denn das gestiegene Engagement der Frauen bringt auch Spannungen mit sich.

Partei- und szeneinterne Hierarchien

Die rechte Szene hat ihre eigenen Hierarchien. Geht es um Ansehen, hohe Posten und Würdigung ihrer Arbeit, sollen Frauen sich dorthin zurückziehen, wo der Mann sie haben will – in den Hintergrund, idealerweise zurück zu Heim und Herd. Im NPD-Parteiprogramm heißt es: „Die Nationaldemokraten lehnen die jede Gemeinschaft gefährdende ,Selbstverwirklichung‘ und den mit ihr einhergehenden schrankenlosen Egoismus ab. […] Die Familie ist Träger des biologischen Erbes. […] Die Leistung der Hausfrau und Mutter ist mit keiner Arbeitsleistung anderer Berufe zu vergleichen.“

Nicht jeden oder jede schreckt diese veraltete Geschlechterpolitik ab, sie findet sogar Zuspruch in bestimmten Wählerkreisen. Und engagierte Frauen tragen diese Position mit, sie stellen keine eigene Forderungen an ihre politische Karriere und sind mit ihrer Rolle als Mutter zufrieden. Emanzipation, Gender Mainstreaming und Feminismus werden zum Feindbild erklärt. Eine Position, die auch in extrem rechten Frauengruppen zu finden ist. Das Frauenbild des Dritten Reichs dient hier nach wie vor als Orientierung.

„Für Volk und Vaterland!“

Doch die „Pflichterfüllung für das Volk“ endet nicht am heimischen Herd. Immer mehr Frauen in der rechten Szene verfügen über eine hohe Bildung, nicht selten haben sie einen Universitätsabschluss. Sie arbeiten in sozialen Berufen als Erzieherinnen, Lehrerinnen oder Sozialarbeiterinnen, engagieren sich in der Gemeinde- und Jugendarbeit, der Lokalpolitik oder auch der Brauchtumspflege.

Dieser vergleichsweise friedlichen Bewegung innerhalb der Neonazi-Szene stellen Röpke und Speit die gewaltbereiten Vertreterinnen der Szene gegenüber, die in Organisationen wie den „Autonomen Nationalisten“ oder den „Freien Kameradschaften“ agieren. Nicht selten findet ein Wechsel von „Skingirl“ zur vorbildlichen deutschen Mutter statt.

Der Blick hinter die Kulissen

In „Mädelsache!“ zeichnen die Autoren ein differenziertes Bild vom Wirken der Mädchen und Frauen der Neonazi-Szene. Gestützt auf szeneinterne Informationen und Interviews mit Aussteigern und Beteiligten geben sie Einblicke in politische Aktivitäten und dem Vorgehen der unterschiedlichen Organisationen. Sie stellen in kurzen Porträts NPD-Aktivistinnen und Funktionärinnen wie Stephanie Piehl, Gitta Schüßler, Edda Schmidt oder Ricarda Riefling mit ihren Meinungen, Anschauungen und Tätigkeiten vor und geben der Szene ein Gesicht, fast wie ein „Who is Who“ der weiblichen Neonazi-Bewegung.

Damit legen Röpke und Speit einen weiteren, gelungenen Beitrag zur Aufklärung der rechten Szene, ihrem Vorgehen und Denkweisen vor. Sachlich und fundiert nähern sie sich dem Thema ohne auf Klischees und Vorurteile zurückzugreifen, was die Lektüre sehr angenehm macht. Ein ausführliches Literaturverzeichnis bietet eine hervorragende Grundlage selbst zu diesem Thema zu recherchieren oder sich weiter zu informieren.

Titelbild

Andreas Speit / Andrea Röpke: Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene.
Ch. Links Verlag, Berlin 2011.
236 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783861536154

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