„Nach außen hui, nach innen Feng Shui“
Kristof Magnusson bedient sich in seiner Komödie „Sushi für alle“ genüsslich bei Familienklischees
Von Christina Lange
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Mann erfährt, dass er sterben wird. Per Internet sucht er nun den perfekten Erben für seine Kommunikationsfirma, für sein Feng-Shui-Eigenheim und für seine Familie. Der Zahnarzt Alban Lenz scheint der Traumkandidat zu sein für die freiwerdende Position des Firmen- und Familienvorstands. Doch bei genauerer Betrachtung wirkt das anstehende Erbe weniger verlockend als vom Vorgänger angepriesen.
Kristof Magnussons Komödie „Sushi für alle“ verbindet viele Elemente, die in gegenwärtigen Arbeiten für das Theater immer wieder thematisiert werden. Gezeigt wird einmal mehr das Modell der nach außen perfekt erscheinenden, eigentlich aber vollkommen zerrütteten Familie. Magnusson bedient sich hierbei lustvoll aller gängigen Klischees zum Thema Familie und versucht dies auch gar nicht zu vertuschen. Genauso reißbrettartig, wie der vermeintlich todgeweihte Ingo seine Heile-Welt-Familie beim ersten Aufeinandertreffen mit Alban Lenz beschreibt, erweist sich die Sippe im negativen Sinne beim gemeinsamen Dia-Abend.
Ingo selbst ist kein erfolgreicher Texter und auch kein fürsorglicher Familienvater. Sein einziger Werbeslogan-Erfolg liegt seit Jahren zurück und Interesse an den inzwischen erwachsenen Kindern Gesine und Gerald hatte er sowieso noch nie. Letzteres teilt er mit seiner Karriere-Frau Johanna, deren pathologische Leidenschaft dem Organisieren von Spendengalas für Krebsopfer gilt. Dass sie überhaupt eine Familie hat, scheint sie darüber vergessen zu haben. Tochter Gesine ist zwar im Alter von 22 Jahren die jüngste Altphilologin Deutschlands, leidet aber unter Kontaktarmut und Isolation. Sohn Gerald ist angeblich ein erfolgreicher Manager, bespricht aber all seine Probleme, speziell mit seiner seit der Kindheit abwesenden Mutter, fortwährend mit einer Therapeutin, die sich zu guter Letzt auch noch als Hirngespinst erweist. Und wie sollte es anders sein, auch Dr. med. dent. Alban Lenz, von Ingo als idealer Nachfolger auserkoren, ist keineswegs nur der einfühlsame Spezialist für Angstpatienten auf dem Zahnarztstuhl. Vielmehr erweist er sich im Hahnenkampf um die schöne Witwe in spe als perfide und gewissenlos.
Unterbrochen wird die skurrile Handlung um Tod, Erbe und Familienzusammenhalt durch den immer wiederkehrenden Auftritt des Sushi-Mannes vom Lieferservice. Dieser gehört längst irgendwie zu diesem absurden Familienverband, wie spätestens in der letzten Szene deutlich wird. Als eine Art Pausenclown bricht er ein in die Dispute und Streitereien der Familie und liefert Essen, das eigentlich niemand haben will. Dass es gerade Sushi für alle gibt, ob sie wollen oder nicht, steht stellvertretend für den betont modernen Lebensstil der Familie Kluge. Ein Haus auf einer positiven Wasserader im kargen Feng-Shui-Stil ersetzt Gemütlichkeit, das Home Office in eben diesem Haus den althergebrachten Arbeitsplatz in der externen Firma, das Bounding zwischen Sohn und Vater eine liebevolle Vater-Sohn-Beziehung. Das Stereotyp der vorbildlichen bürgerlichen Familie wird abgelöst durch das Klischee der modernen Familie mit emanzipierter und erfolgreicher Mutter, fürsorglichem und zu Hause arbeitenden Familienvater und den obligatorischen zwei Vorzeigekindern, die beide einen Erfolg versprechenden Karriereweg einschlagen.
Wie Magnusson eben all diese Vorurteile und Klischees einsetzt und variiert, erscheint nicht sonderlich originell und ist so oder so ähnlich schon einmal da gewesen. Dennoch funktioniert dieser Theatertext als das, was er sein möchte, nämlich als Komödie. Der Kontrast zwischen der werbungstauglichen Superfamilie, die Ingo gerne hätte und seiner echten Familie, die aus einem Haufen zerrütteter Existenzen besteht, ist einfach zu groß, um nicht komisch zu sein. Die auftretenden Figuren sind allesamt gnadenlos überzeichnet und erreichen somit jeder für sich einen Gipfelpunkt an Absurdität. Auch das ist kein neues Verfahren in der Komödie, dafür aber ein Bewährtes. Und dass Magnusson dann doch mehr kann, als dem Leser (oder dem Theaterpublikum) nur Altbekanntes zu servieren, beweist er, wenn er eben diese so eindimensional wirkenden Theaterfiguren einander plötzlich doch nahe kommen lässt, eben als wären sie wirkliche Menschen.
Dies geschieht zum Beispiel kurz vor Schluss des Stückes, wenn Ingo seiner Frau eine unerwartete Liebeserklärung macht und sie ihn daraufhin einfach nur fragt, warum er ihr das noch nie gesagt habe. Da verlassen die stereotype Karrierefrau und der zu Hause arbeitende Superpapi die von ihnen selbst errichtete Welt des schönen Scheins und werden zu einem ganz gewöhnlichen Paar nach 25 Jahren Ehe. Szenen wie diese oder so herrlich pointierte Dialoge wie jener, welchen Alban Lenz und Ingo Kluge in der 1. Szene des 1. Aktes quasi als eine Exposition für die gesamte folgende Handlung führen, retten den Gesamttext über manche vorhersehbare Wendung hinweg. So darf „Sushi für alle“ zuletzt als lesenswerter Komödientext des zeitgenössischen Theaters empfohlen werden. Gleiche Empfehlung gilt für eine Nachinszenierung auf deutschen Bühnen. Die Uraufführung fand übrigens am 11. März 2011 am Theater Dortmund statt.
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