Über den Sommer hinaus

Doris Dörries Roman „Alles inklusive“ handelt von deutschen Hippies in Spanien

Von Kay ZiegenbalgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Ziegenbalg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Alles inklusive“ heißt der neueste Roman von Doris Dörrie, und der Titel ist Programm. Nicht nur, dass es sich um ein ausgemachtes Sommerbuch handelt, das den Sommer aber locker überlebt. Den Protagonisten bleibt darüberhinaus nichts – aber auch nichts erspart, und alles ist drin. Da gibt es eine Journalistin, die ihren nierenkranken Lebensgefährten und vor allem seinen Überlebenswillen pflegt, bis er endlich eine neue Niere bekommt und sich prompt in eine homosexuelle Beziehung verabschiedet. Ein transsexuelles Pärchen zieht als Gasmänner verkleidet deutsche Ferienbausbesitzer übers Ohr und vieles mehr. Es sind die gezielt gewählten Typen, die von der Autorin bestens ausgebaut werden und den Roman bis zum Schluss rasant vorantreiben.

Zum Einstieg schildert Apple, die Tochter der Hippie-Königin Ingrid, einen Sommer in Spanien. Sie leben vom Verkauf handgemachten Schmucks und verbringen die Zeit auf dem Campingplatz. Nicht nur das, sondern auch ihr Name ist Apple leider ziemlich peinlich, und das ist nur der Anfang einer langen Geschichte voller entsagungsreichem Ertragen. Denn längst sind diese Sommer eine Karikatur ihrer selbst. Die Küste ist mit so vielen Fincas vollgestellt, wie es Deutsche gibt, die von so etwas träumen. Und damit der Träumer weniger werden, ziehen die Makler alle Register, um die betonierten Schmuckkästchen loszuwerden. In der Summe wirkt der Strand irgendwie grau und die Einwanderer verderben die Stimmung: „Deutsche glauben an Verträge und halten sich an sie, das ist das Rührende an ihnen.“

Ingrid wird noch einmal nach Torremolinos zurückkehren. Apple schenkt ihr 30 Jahre nach den Schmuckverkäufen eine all-inclusive Reise, was gleichermaßen Belohnung und Bestrafung für Ingrid bedeutet. Denn nun muss sie damit fertig werden, dass sie von Anfang an keine Chance hatte, ihr Paradies irgendwie zu authentifizieren.

Die Erzählung ist bestens konstruiert und macht die Lektüre zum kurzweiligen Vergnügen. Denn Dörrie versteht es, die verschiedenen Blickwinkel ihrer Erzähler effektvoll auszubauen. Wenn Apple sich an ihre Kindheit und Jugend erinnert, dann tut sie dies mit der Abgeklärtheit einer Erwachsenen – nicht aber, ohne die kindliche Schöpfungskraft etwa während des Spiels mit Nacktschnecken zu vergessen. „Hintereinander, in einer geraden Schlange wie brave Kindergartenkinder, ziehen sie mein Bein herauf, man darf nicht schreien, nicht kichern, sie nicht abschütteln, sonst hat man verloren.“

Später stellt sich die Frage, ob Apple nicht lieber einmal mehr hätte schreien sollen. Denn dass sie ernste Schwierigkeiten hat wird an einer außergewöhnlichen Stelle offenbar. Ein hüftkranker Hund namens Freud benötigt reichlich Unterstützung bei der Verrichtung des Täglichen, wird von ihr gefüttert, für circa 100 Euro pro Tag mit Massagen traktiert und kommt in den Genuss von Bewegungstherapie und Infrarotlicht. Zu allem Überfluss muss sie ihm für den Gang vors Haus die Gliedmaßen zurechtrücken – im schlimmsten Fall hockt sie sich grunzend daneben. Das Tier heißt nicht umsonst Freud – wer hätte was anderes erwartet und so ist seine Wahrnehmung des Frauchens in kursiv gesetzen Sitzungsprotokollen verarbeitet. „Fräulein A. wirkt erschöpft.“ Und später: „Ich glaube, sie nimmt meine Lehre nicht besser auf als ein asketischer Mönch des Mittelalters, der den Finger des Teufels und die Versuchungen Gottes in jedem kleinsten Erlebnis sieht und der nicht imstande ist, sich die Welt nur für eine kurze Weile und in irgendeiner kleinen Ecke ohne Beziehung auf seine Person vorzustellen.“

Titelbild

Doris Dörrie: Alles inklusive. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
256 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067811

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