Wohlwollende Geringschätzung

Rainer Hennies’ und Daniel Meurens Geschichte des (deutschen) Frauenfußballs liegt in einer nicht nur um die WM erweiterten Neuauflage vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor der Fußballweltmeisterschaft des Sommers 2011 erschienen zahlreiche Bücher unterschiedlicher Genres zum Thema sowie zum Frauenfußball überhaupt. Darunter neben diversen Fan-Büchern eine Krimianthologie, Mädchenbücher, Handbücher und nicht zuletzt ein Band von Rainer Hennies und Daniel Meuren mit dem lapidaren Titel „Frauenfußball“. Nun ist er in zweiter, überarbeiteter Auflage erschienen und hat einen neuen Untertitel erhalten: „Aus dem Abseits an die Spitze“.

Dass das sommerliche Großereignis zu einer entsprechend großzügigen Aktualisierung und Erweiterung des Bandes führten würde, durfte man erwarten. Eine Hoffnung, die nicht enttäuscht wurde. In dem umfangreichen Teil zur WM sprechen die Autoren durchaus auch die auf sie gefallenen Schatten an – wie etwa die teils eklatanten Schiedsrichterinnen(fehl)leistungen, die „Skandalnationen“, Äquatorial-Guinea, das sich ein Team aus Brasilianischen Spielerinnen zusammenkaufte, Nigeria, dessen Trainerin Ngozi Uche sich durch hasserfüllte Äußerungen gegen gleichgeschlechtliche Sexualität um jeden Kredit brachte, und Nordkorea, das vergeblich versuchte, seine Spielerinnen zum Erfolg zu dopen.

Den Brasilianerinnen bescheinigen Heinnies und Meuren zu Recht eine „antiquierte Spielweise“, fallen aber vor deren bekanntester Spielerin Marta doch auf die Knie, deren „Geniestreiche“ sie gar nicht genug loben können. Hingegen finden sie es „unerklärlich“, dass Marta „bei fast jeder Aktion gnadenlos ausgepfiffen“ wurde. Dieses mangelnde Erklärungsvermögen aber ist selbst unerklärlich, sind ihre „Aktionen“ doch nicht erst während der WM, sondern bereits seit Jahren öfter durch Unsportlichkeiten jeder Art geprägt als durch ‚Genialität‘. Einige ihrer Teamkolleginnen wie Christiane und Erika eifern ihr hierin denkbar erfolgreich nach. Mit Blick auf das Endspiel konstatieren Hennies und Meurer zutreffend, dass die Amerikanerinnen „an diesem Tag deutlich stärker“ waren als die Japanerinnen, die, obwohl schon vor dem Turnier auf Weltranglistenplatz vier, „nur von jenen Beobachtern“ wenigstens als „Außenseiter“ genannt worden seien, „die aufgrund politischer Korrektheit neben Weltmeister Deutschland, Olympiasieger USA und dem ewigen Zweiten Brasilien auch noch wenigstens den ein oder anderen Geheimtipp nennen wollten.“ Da stellt sich nicht nur die Frage, woher das Autorenduo die geheimen Motive der „Beobachter“ so genau kennt und wie die Verfasserinnen diese mit dem reaktionären Kampfbegriff der politischen Korrektheit in Zusammenhang bringen.

Ansonsten machen sie die Bundestrainerin Silvia Neid für das „sportliche Desaster“ des deutschen Teams verantwortlich, womit sie das Ausscheiden im Viertelfinale meinen. Selbst der US-amerikanischen Spielerin Abby Wambach wollen sie ein Wort der Kritik an der Bundestrainerin entlocken. Ein Versuch, der selbstverständlich nur fehlschlagen konnte.

Erfreulicher Weise bleibt kaum ein nennenswerter Aspekt der WM unangesprochen, wenn man auch die kommentierenden und wertenden Passagen nicht immer unterschreiben würde.Doch wurde das Buch nicht nur in Hinblick auf die zwischenzeitliche WM aktualisiert, auch ansonsten hat sich einiges zwischen den beiden Buchdeckel getan. So wurden einige zusätzliche Kapitel, Interviews und ähnliches neu aufgenommen, andere geändert und aktualisiert wie etwa der Abschnitt über Martina Voss und den FCR Duisburg; manches wurde auch gestrichen, darunter ein Interview mit dem Trainer von Turbine Potsdam und ein Text über „Frauenfußball und Mode“. Vor allem aber bekam der sexismusgesättigte Beitrag „Ein Männerverein im Kampf mit der Emanzipation, oder: Wie die Frauen ihre eigene Isolation suchen“ des Gastautors Matthias Kittmanns, die Rote Karte gezeigt und wurde des Buches verwiesen.

Neu aufgenommen wurde hingegen ein Abschnitt über Silke Rottenberg, die – trotz Nadine Angerers Zu-Null-WM 2007 in China – das bislang vermutlich beste Spiel einer deutschen Torfrau abgeliefert hat, als sie vier Jahre zuvor die US-Amerikanerinnen zur Verzweiflung trieb.

„Ich fürchtete mich beinahe zu Tode vor ihr, weil sie jede Riesenchance von mir und meinen Kameradinnen mit sensationellen Paraden zunichte gemacht hat“, bekennt die US-amerikanische Star-Stürmerin Abby Wambach in einem für das vorliegende Buch geführten Interview ganz offen. Überhaupt zählt das Gespräch mit der sympatischen Spielerin, die sich nach der Finalniederlage gegen Japan als wahrhaft „großartige Verliererin“ erwies, zu den beeindrucktesten des gesamten Bandes. Ebenfalls neu aufgenommen wurde ein Interview mit dem US-amerikanischen Soziologie- und Politologie-Professor Andrei S. Markovits, der Sport als „letzten gesellschaftlichen Bereich einer strikten Geschlechter-Apartheit“ kritisiert, die es so weder in der Wirtschaft noch in den Wissenschaften gebe, und „geschlechtergemischte Teams im Profisport“ vorschlägt, sowie ein Gespräch mit der deutschen Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus. Von Beruf Polizistin, pfeift sie seit Jahren in der Frauenfußballbundesliga und der zweiten Liga der Männer. Außerdem sorgte sie dafür, dass Deutschland doch noch im WM-Finale beteiligt war, wenn auch nur in der Position der Referee. In dem Interview mit ihr kommt dann auch gleich ein Beispiel für den von Markovits beklagten machistischen Sexismus des Sports zur Sprache. Wie man aus einer Frage des Interviewers entnehmen kann, hat der ehemalige Männer-Trainer Rudi Völler unlängst einen Schiedsrichter aus Ärger über dessen vermeintliche Fehlentscheidungen aufgefordert, doch künftig Frauenfußball zu pfeifen. Steinhaus reagiert souverän mit pfiffiger Ironie: „Ich freue mich, dass Rudi Völler offenbar ein glühender Anhänger des Frauenfußballs ist und die Qualität dort einschätzen kann und zu schätzen weiß. Der Frauenfußball hat sich unglaublich entwickelt in den vergangenen Jahren. Also wird auch die Leitung eines Frauenfußballspiels immer anspruchsvoller.“

Ebenfalls neu aufgenommen wurde ein Abschnitt über die „Multikulti-Truppe“ des Frauenfußballvereins „Al Dersimspor Berlin“, der 2009 den DFB-Preis für Integration erhielt. Die Autoren interessieren sich in diesem Abschnitt vor allem für eine „Berliner Türkin“, die in dem Verein spielt. So lange sie noch ein Kind war, so berichten sie, hatte ihr Vater nichts dagegen einzuwenden, dass sie Fußball spielt, „wenn es denn sein muss“, wie die Autoren in seinem Sinne formulieren.

Doch „mit dem Schulende wuchs das Problem, mit dem Ende der Berufsausbildung wurde Fußball zum Tabu“. Hennies und Meuren interpretieren das verständnisvoll als „Vaterliebe“, die nur leider „nicht loslassen“ könne. Sprechen sie sich auch für das Recht der Frau aus, Fußball zu spielen, so schlägt sich zumindest der Subtext doch immer wieder auf die Seite des Vaters. Je älter die Tochter wird, umso „traditionsbewusster“ werde er, schreiben sie etwa und hängen seinem reaktionären Frauenbild einen positiv konnotierten Begriff um. Entgegen dem väterlichen Verbot spielt die junge Frau dennoch weiterhin Fußball. „Sie weiß auch, dass das, was sie macht, nicht in Ordnung ist“, kommentieren Hennies und Meuren nun, als sei nicht vielmehr die patriarchalische Anmaßung zu kritisieren, der „demnächst 27-jährigen Bürokauffrau“ vorschreiben zu wollen, was sie zu tun und zu lassen hat.

Solche Passagen konterkarieren das Vorwort zur Neuauflage geradezu, in dem es heißt, das vorliegende Buch „zur Geschichte des Frauenfußballs“ sei auch eines „über den Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung, über die Chancen, die der Fußball auch im Bemühen um Interessen von Frauen“, weil es „vor allem in muslimischen Familien in Deutschland und in den islamisch geprägten Gesellschaften weltweit noch lange keine Selbstverständlichkeit für Mädchen ist, dass sie ihrem Lieblingsspiel nachgehen dürfen“.

Immerhin behandeln mehrere Texte das Thema. In einem Interview mit der ebenso renommierten wie erfolgreichen Trainerin Monika Staab spricht Meurer etwa an, dass die iranischen Fußballerinnen im August 2010 nicht an den olympischen Jugendspielen teilnehmen durften. Kurzerhand weist er der FIFA die Schuld dafür zu, weil sie „auf ihrem Verbot des Tragens des Hijab bestand“, den die iranische Führung allen Iranerinnen aufzwingt. Staab aber lässt ihm das nicht durchgehen und dreht den Spieß um: „Wenn Frauen mit Verweis auf die FIFA-Regeln auf den Hijab verzichten dürfen, dann ist das für viele eine Erleichterung“. Außerdem weist sie darauf hin, dass es viele Religionen mit diversen Kleidervorschriften gibt, die die FIFA unmöglich alle zulassen könne. So ist es etwa Männern untersagt, während des Spiels einen Turban zu tragen, wie dies für viele Inder Usus ist. Hinzufügen ließe sich auch, dass sich die beiden deutschen Spielerinnen Anja Mittag und Lira Bajramaj während der WM 2007 vor einem der Spiele die Fingernägel schneiden mussten. Meuren aber beharrt darauf, dass die FIFA dem Hijab gegenüber „Toleranz“ zeigen sollte. Tatsächlich aber wäre vor allem eine andere Toleranz einzklagen, nämlich die, Frauen nicht unter den Hijab zu zwingen, wie es der Iran tut. Darauf spielt auch Staab implizit an, wenn sie erklärt: „In vielen arabischen Ländern sind es die Eltern oder die Tradition, die den Hijab vorschreiben. Sie würden sich aber den FIFA-Regeln beugen, um spielen zu dürfen. Viele Spielerinnen tragen ohnehin keinen Hijab, weil sie es von den Eltern her nicht müssen. In Iran ist es hingegen die Regierung, die über die Kleidung der Frauen und somit auch der Spielerinnen verfügt.“

Außerdem bejaht Staab Meurens Frage, ob das FIFA-Verbot des Hijabs in arabischen Ländern anerkannt werde, und fügt an, dass der Iran ein Hallenfußball-Turnier ausrichten wollte, was allerdings daran scheiterte, dass im Iran keine Männer bei Frauenfußballspielen anwesend sein dürfen, sich „aber alle eingeladenen Nationen weigerten sich, ohne männliche Trainer und Betreuer anzureisen“.

Insgesamt zu monieren ist die Mischung aus Wohlwollen und Geringschätzung des Frauenfußballs, die immer wieder zwischen den Zeilen des Buches hervorlugt und auch schon mal mit anzüglichen Obertönen garniert ist. Etwa, wenn sie die deutsche Frauennationalelf als „Darling der ganzen Nation“ apostrophieren und mit der Wortwahl die Vorstellung sexueller Verfügbarkeit evozieren. Ein Ausdruck, der den Autoren wohl bei keinem Männerteam in den Sinn gekommen wäre.

Auch wundern sie sich über die „unerwartet“ hohen Einschaltquoten im Fernsehen, die „selbst die Handballweltmeisterschaft 2007 in Deutschland mit ihrem erstaunlichen Publikumserfolg in den Schatten stellten“. Allerdings haben sie dann doch flugs eine aparte Erklärung parat: Die Einschaltquoten seien „vornehmlich der Medienmacht des DFB“ zu danken. Also weder den Leistungen der Akteurinnen noch dem Interesse des Publikums am Frauenfußball, heißt das implizit. Wieso dann aber ausschließlich Spiele der Frauenfußballweltmeisterschaft das Treppchen der hierzulande meistgesehenen Fernsehsendungen des Jahres 2011 erklimmen durften und sozusagen ganz alleine alle Medaillen abräumten, gefolgt von einem Boxkampf auf dem undankbaren vierten Platz, kann so schwerlich erklärt werden. Männerfußball musste sich zusammen mit Gottschalks „Wetten, dass…?“ und anderen Sendeformaten weiter hinten einreihen. Auch ansonsten reden Hennies und Meuren das Interesse am Frauenfußball klein. So meinen sie, „das aktuelle Bundesligageschehen dürfte beispielsweise nicht einmal den bekennenden Frauenfußballfan derart in den Bann ziehen, dass er sich am Wochenende unbedingt die Ergebnisse besorgen muss“. Ein Irrtum, wie alle wissen, die an den Spieltagen den Live-Ticker von Turbine Potsdam aufrufen oder die während der Spiele ständig erfolgenden Nutzer-Einträge auf der Web-Seite womensoccer.de verfolgen.

Von einem der beiden Autoren, Meuren, sind in der „F. A. Z.“ seit einiger Zeit immer mal wieder Beiträge zum Frauenfußball zu lesen. Jeder einzelne von ihnen ist freudig zu begrüßen. Nicht etwa, weil Meurens Beiträge so überaus gut wären, sondern einfach, weil die „F. A. Z.“-Berichterstattung über Frauenfußball ansonsten noch näher am Nullpunkt läge. Ähnlich verhält es sich mit dem vorliegenden Buch.

Titelbild

Daniel Meuren / Rainer Hennies: Frauenfußball. Aus dem Abseits in die Spitze.
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011.
447 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783895338373

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