Der Untote zwischen Popkultur-Potpourri und Forschungsparadigma

Georg Seeßlen und Markus Metz widmen sich in „Wir Untote!“ nicht nur dem Zombie

Von Jakob Christoph HellerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jakob Christoph Heller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Filme wie Danny Boyles „28 Days Later“, George A. Romeros „Diary of the Dead“ oder – wenn man es subkultureller mag – Bruce LaBruces queere Zombiepornos, Bücher wie Max Brooks parodistische „Zombie Survival Guide“, dazu Sammelbände, Essays, Konferenzen: die zeitgenössische Kultur wird regelrecht überrannt von wandelnden Untoten. Zu diesem unerwarteten Zombie-Revival trugen auch die beiden Journalisten und Kulturkritiker Markus Metz und Georg Seeßlen bereits im Mai 2011 bei, als sie den groß angelegten Kongress „Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction“ mitorganisierten (dessen Homepage www.untot.info im Übrigen eine vorbildliche (Tagungs-)Dokumentation darstellt). Im Nachklang der Konferenz veröffentlichten die beiden nun mit „Wir Untote!“ ihre Fortführung der Auseinandersetzung mit diesem Phänomen.

Der sperrige Untertitel des Buches – „Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ – ist dabei Programm. Seeßlen und Metz wagen den essayistischen Rundumschlag, der Filmgeschichte, Ökonomie, Politik, Kultur und Kulturtechniken, Ernährung, Medizin und Psychologie gleichermaßen berührt. Schließlich gilt, wie die beiden schreiben, dass das „Untote so ziemlich alle Fragen, mit denen wir uns seit ein paar Tausend Jahren herumschlagen, noch einmal neu“ stellt. So überrascht es auch nicht, dass der Großessay nur lose von seinem Thema zusammengehalten wird. Vielmehr finden „Probebohrungen“ unterschiedlicher Tiefe und Qualität statt – bis hin zu einem 50 Seiten umfassenden Glossar, das an Oberflächlichkeit und Überflüssigkeit kaum zu überbieten ist. In diesem findet vom Androiden über den Avatar bis hin zum Wahnsinn vieles Platz, was den Hauptteil des Essays höchstens am Rande tangiert; manchmal wirkt dieser Abschnitt wie ein unausgegorener Zettelkasten, in dem (tatsächliche) Kurzdefinitionen sich mit Anekdoten, Zitaten und Polemiken abwechseln.

Abgesehen aber von diesem ärgerlichen Appendix folgt man Seeßlen und Metz nur zu gerne in ihren um die Figur des Untodes kreisenden Gedankengängen. Ausgehend von der posthumanistischen „Ablösung des aufklärerischen Projekts der ,Ganzheit‘ in Subjekt und Identität“ wird der Untote zum Symptom des „Bruchs zwischen Totenkult und Lebenstechnik“, und damit zu einer Grenzfigur, die von den zeitgenössischen Überlappungen von Technologie, Biopolitik und Kultur produziert wird. Zwei miteinander verwobene Bereiche bestimmen das Werk: Zum einen die antidialektische, „philosophische“ Figur des Untodes, der nicht nur die Subjekt/Objekt- und Natur/Kultur-Dichtomie aufhebt, sondern noch viel genereller Dualismen aufbricht und Zonen der Vermischung, der Uneindeutigkeit der Unentscheidbarkeit eröffnet. Und zum anderen die Varianten und Entwürfe des Untoten, die Popkultur und Realität gleichermaßen bevölkern: „Das Leben wird als Untotes erhalten, indem es einen Teil seiner Souveränität abgibt an Gesellschaft, Medium, Politik und Technologie“, schreiben Seeßlen und Metz in einer Definition – und eröffnen damit ein Feld, auf dem der Komatöse, der Proletarier, der Flüchtling genauso Platz finden wie transhumanistische Erlösungsfantasien: Mensch-Maschine-Schnittstellen, Neuro-Enhancement, Cyborgs. Mit Genuss deklinieren die Autoren die realen und popkulturellen Erscheinungsformen des Untoten durch: Vom untoten Subjekt kommen sie zur Idee des „untoten Raumes“ (Fabrik, Discounterladen, Stadt), zur „untoten Geschichte“, „untoten Bewegung“ und zum „untoten Wissen“ (von Seeßlen/Metz schön pointiert: „Die Grenzen meiner Suchmaschine sind die Grenzen meiner Welt.“). Das Untote wird zur absoluten Metapher und umfasst die Gegenwartskultur in all ihrer Mannigfaltigkeit.

Somit liegt in der Stärke des „Untodes“ zugleich seine größte Schwäche: Eine Figur, die (um nur einige zu nennen) Giorgio Agambens „Homo Sacer“, Marc Augés „Non-Lieux“, Donna Haraways „Cyborg Manifesto“ und das – Haraway-kritische – „Zombie Manifesto“ von Sarah Juliet Lauro und Karen Embry gleichermaßen umfassen kann, büßt an begrifflicher Schärfe ein. Was jedoch nichts daran ändert, dass Metz und Seeßlen ein kurzweiliger, dennoch gedankenreicher und damit lesenswerter Rundumschlag gelungen ist.

Titelbild

Markus Metz / Georg Seeßlen: Wir Untote. Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012.
319 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783882215632

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