Von Ballköniginnen und dem Feind am Spielfeldrand

Zwei Bücher erzählen vom Frauenfußball heute und zu Beginn der 1970er-Jahre

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paula, Semra, Jule und Mia sind vier Freudinnen, die nun schon seit rund anderthalb Jahren und genau vier Bänden gemeinsam im „1. FC Ohne Jungs“, der Mädchenfußball-Elf ihrer Schule, kicken. Erzählt wird ihre Geschichte von Claudia Ondracek und Martina Schrey, die mit „Mia im Spielrausch“ soeben den vierten und vermutlich letzten Band der nach dem Team benannten Reihe vorgelegt haben. Jedes der Bücher trägt zwar eine der vier Freudinnen im Titel, doch geht es immer ganz gleichberechtigt um sie alle.

Begonnen hatte alles mit Paula, der es überhaupt zu danken ist, dass die Mädchen in der Schule Fußball spielen können. Im Laufe der ersten drei Bände hat sich allerdings schon so einiges getan und zwar auf und neben dem Platz. Aus dem Sportlehrer Mike Munk mit dem nicht unberechtigten Spitznamen Mega-Macho wurde beispielsweise ein Trainer, der seinen Spielerinnen schon mal beisteht, wenn ihnen die Eltern das Fußballspielen verbieten wollen. Und selbst die Jungs vom „1. FC King Kong“ sind von ihren Herablassung den Mädchen gegenüber längst geheilt. Es ist allerdings auch tatsächlich unübersehbar, dass die „Ballköniginnen“ einiges drauf haben. Die beste von ihnen ist aber immer noch Paula. Sie spielt inzwischen sogar in einem richtigen Verein, in dem ihr die neuen und höheren Anforderungen allerdings einiges abverlangen.

Mia, die diesmal im Mittelpunkt steht, interessiert sich hingegen weniger für Fußball als vielmehr für ein Casting, das für eine Vorabendserie veranstaltet wird. Dort, nicht auf dem Fußballplatz hofft sie ihre Aufstiegschance zu finden. Ihr Freund hat als Star der Jungsmannschaft hingegen nur das runde Leder im Hirn und kann für sie in seiner Selbstgefälligkeit kaum noch Interesse und schon gar keine Zeit mehr aufbringen.

In den Büchern geht es also keineswegs nur um den Sport, sondern nicht weniger um Freund- und Liebschaften, um Elternhaus und Schule und um all das andere, was 14-, 15-jährige Mädchen so bewegt. Die Probleme von Mia und ihren Freundinnen dürften sich somit nicht wesentlich von denen der anvisierten Leserinnen unterscheiden.

Mit „1. FC Ohne Jungs“ haben die Autorinnen eine Mädchen-Buchreihe geschrieben, die ihren jungen Leserinnen sicherlich nicht nur Spaß machen dürfte, sondern auch ihr Selbstvertrauen wecken und stärken kann, in dem sie zeigt, dass sich Träume sehr wohl erfüllen lassen, dies aber auch einiger Anstrengung bedarf. Der pädagogische Zeigefinger bleibt weitgehend eingefahren. Und auch von der in einem früheren Band anklingenden Multikulti-Ideologie bleibt man verschont. Im Gegenteil, diesmal lugt zwischen den Zeilen sogar zaghafte Kritik an den muslimischen Kleidungsvorschiften für Frauen und Mädchen hervor, wenn die Torhüterin Semra „selbst bei dieser Hitze ihr Hijood trägt, ein Kapuzenshirt, das Hals, Haare und Nacken bedeckt“, und unter ihrem Kopftuch schwitzt, während Mia den Kopf schüttelt, „dass ihre langen blonden Haare nur so fliegen“. Aber es in der Öffentlichkeit abzulegen,sq kommt für Semra „überhaupt nicht in Frage“.

Die Spielerinnen um Susi sind zwar schon einige Jahre älter als das Kleeblatt des „1. FC Ohne Jungs“, und die Widrigkeiten und Hindernisse, die sie aus dem Weg zu räumen haben, sind nicht die gleichen wie diejenigen mit denen sich Paul, Semra und die ihren herumschlagen müssen. Bei der Lösung ihrer Probleme erweisen sie sich jedoch als ebenso erfindungsreich. Dabei sind Susis Schwierigkeiten keineswegs geringer. Im Gegenteil. Das liegt vor allem daran, dass sie ihre Probleme schon vor einigen Jahrzehnte zu bewältigen hatte. Denn Susis von Elke Weigel in dem Buch „Fußballtöchter“ erzählte Geschichte ist im Jahre 1970 angesiedelt. In der Zeit also, in der hierzulande nicht nur die Pizza noch als „seltsames Gericht“ galt und Sexismen und Rassismen wie „Amiflittchen“, „Spaghettifresser“ und „Negermusik“ an der Tagesordnung waren, sondern die Männer ganz im Allgemeinen ebenso wie im ganz Konkreten das Sagen hatten. Jedenfalls in dem schwäbischen Dorf, in dem Susi mit Vater und Bruder lebt – und auch im „Deutschen Fußballbund“ (DFB), dessen Verbot des Frauenfußballs noch immer gilt. Während sich in den Städten die anschwellende Frauenbewegung zu regen beginnt, schleichen sich die fußballbegeisterten Frauen des Ortes deshalb genau während der Übertragung des Weltmeisterschaftsendspiels auf den Sportplatz, um zu kicken. Denn da können sie sicher sein, dass die Männer alle vor den Bildschirmen sitzen. An den gewöhnlichen Tagen müssen sie hingegen auf der Wiese des Dorfwirtes spielen. Doch nicht einmal das mögen die Herren des Dorfes dulden. Allerdings denken nicht alle so. Zwei Angehörige des anderen Geschlechts unterstützen die kickenden Frauen: Der besagte Wirt und der Bürgermeister des Örtchens, die beide nichts dabei finden, dass ihre Töchter Fußball spielen. Gerda, die Tochter des Bürgermeisters ist sogar eine ausgemachte Feministin, wohnt in einer Kommune und studiert in einer nahegelegenen Universitätsstadt. Sie ist nicht nur die einzige, die in einer Frauengruppe organisiert ist, sondern darf als Vorläuferin der feministischen Linguistik gelten. Moniert sie es doch etwa ein ums andere Mal, wenn ihre Mitspielerinnen von ihrer Elf als „Mannschaft“ sprechen. Da hat die Figur der Erzählstimme einiges voraus. Denn der unterläuft auch schon mal der Ausdruck „Manndeckung“, wenn eine Spielerin einer Gegnerin nicht von der Seite weicht. Anders als die selbstbestimmte Gerda ist die Protagonistin und Identifikationsfigur Susi mit einem Vater gestraft, der vom Fernsehsessel aus seine in der Waschküche schwitzende Tochter lauthals schreiend fragt, wo denn sein Bier bleibe, und sie auch sonst gerne herumkommandiert. Ihr seit einem Fahrradunfall hinkender Bruder ist, jedenfalls zu Beginn des Romans, auch nicht besser.

Im Herbst des Jahres 1970 – und somit nach einigen Monaten Handlungszeit – hob der DFB die Bestimmung auf, die es den angeschlossenen Fußballvereinen verbot, Frauen auf ihren Plätzen spielen zu lassen. Gleichgestellt waren Frauen den Männern damit allerdings noch lange nicht. So dauerte ihr Spiel nur zwei mal 35 Minuten, sie durften keine Schuhe mit Stollen tragen wenn sich den überhaupt ein Schuh- oder Sportgeschäft fand, dass ihnen Fußballschuhe verkaufte, ihr Ball sollte kleiner und leichter sein und ihre Winterpause wegen der vermeintlich schwachen weiblichen Natur sechs Monate dauern. Überhaupt wird der von der Besorgnis, die deutschen Fußballerinnen könnten einen eigenen Verband gründen, inspirierte Gesinnungswandel des DFB von den fußballbegeisterten Frauen des Ortes nur am Rande wahrgenommen. Viel geändert hat sich für sie zunächst einmal nicht. Zwar dürfen sie nun auf dem vereinseigenen Platz spielen, die Männer des Dorfes sind darum aber nicht weniger sexistisch. Und als die Spielerinnen beim Betreten des Platzes von ihnen nicht nur beschimpft und bespuckt, sondern auch noch an Brüsten und Po begrapscht werden, wird ihnen endgülig klar, dass nicht das jeweils gegnerische Team der Feind ist, sondern sie vielmehr „alle einen gemeinsamen, namenlosen Feind“ haben: Die grölenden und feixenden Männerhorden, die dem Spiel nun in einer „bizarren Mischung aus Spaß und Verachtung“ zuschauen.

Die Probleme mit denen sich die Spielerinnen um Susi abplagen müssen, übertreffen die des Teams vom „1. FC Ohne Jungs“ jedoch nicht nur im Stadion, das hier wie dort ein bloßer Sportplatz ist. Susi und ihre Freundinnen müssen etwa mit der heimliche Bigamie eines der Spielerinnenmänner zurechtkommen und eine illegale Abtreibung organisieren, was damals noch mit Gefängnis geahndet werden konnte. Überhaupt könnte es leicht scheinen, als sei der Roman mit all den Problemen und Hindernissen, die den Frauen um Susi bei jeder Gelegenheit in den Weg gelegt werden, geradezu überfrachtet. Doch so sah der Frauenalltag vor gerade mal 40 Jahren in Deutschland einfach noch aus.

Susi selbst durchlebt im Verlaufe der Handlung einen Reifungsprozess, der fast schon einem Entwicklungsroman zur Ehre gereichen würde. Sie macht sich nicht nur auf die Suche nach ihrer verschollenen Mutter und der Herstory ihrer Familie, sondern entdeckt auch die Lust des lesbischen Sexes und erfährt, dass Sex und Liebe zwei paar Schuhe sein können. Außerdem lässt ihr eine Freundin einen feministischen Crashkurs zuteil werden. „Als Frau kommst du um die Emanzipation nicht herum“, erklärt ihr Gerda. Das zu lernen, ist für Susi allerdings gar nicht so einfach.

Ganz zuletzt geht der Männerkampf, den Vater und Bruder immer verbissener mit- und gegeneinander austragen, zu Lasten Susis. Denn da der Bruder auszieht, glaubt sie ihren Vater nicht allein lassen zu können und verzichtet auf den befreienden Umzug in eine Kommune. Ein nicht eben sonderlich emanzipatorischer, dafür aber vielleicht umso realistischerer Schluss.

Titelbild

Elke Weigel: Fußballtöchter. Roman.
Querverlag, Berlin 2012.
240 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783896561985

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Claudia Ondracek / Martina Schrey: Mia im Spielrausch.
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2012.
128 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783440131183

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