Leinwandschönheiten

Thomas Koebner stellt in einem reichbebilderten Band Reflexionen über „Die Schönen im Kino“ an

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sieht sie nicht gerne immer wieder, die Schönen dieser Welt? Sei es im Theater, auf der Leinwand oder einfach bei zufälligen Begegnungen auf der Straße. Einen Band mit zahlreichen schönen Menschen aus der Welt des Kinos hat nun der seit einigen Jahren emeritierte Film- und Medienwissenschaftler Thomas Koebner auf den Markt gebracht.

Schönheit, so heißt es bei Thukydides, liege im Auge des Betrachters. Der von Koebner zusammengestellten Auswahl von Film- und anderen Schönheiten nach zu urteilen, müssen sich Körper und Gesicht eines Menschen nicht durch schlichte Ebenmäßigkeit auszeichnen, um im Auge des anderen als schön zu gelten. Vielmehr sind diesem oft ausdrucksstarke und somit interessante Gesichter die schönsten; gerade diejenigen also, die kein kantisch interesseloses Wohlgefallen evozieren.

Man kann Koebners ebenso unterhaltsame wie anregende Panoptikum cineastischer Schönheiten irgendwo aufschlagen, in ihm vor- und zurückblättern, sich die zahlreichen Bilder anschauen, hier oder dort verweilen – und auch zu lesen beginnen. Denn es handelt sich keineswegs um einen reinen Bildband, sondern vielmehr um ein Buch, in dem Bilder und Texte gleichrangig und einander in ihrer Aussagekraft bestärkend nebeneinander stehen. Mit letzteren geht es Koebner zwar ganz explizit nicht darum, die Frage zu erörtern, was schön ist. Das hindert ihn jedoch keineswegs daran, den ersten Abschnitt unter genau diese Frage zu stellen, der allerdings kaum mehr als zehn Seiten umfasst. Viel stärker treibt ihn eine „Neugier“ um, „die genauer wissen will: ‚Wer ist schön?‘“. Bei ihrer Beantwortung lässt er sich von der Auffassung leiten, „dass der Effekt des Schönen zwischen zeitunabhängiger Geltung und epochentypischer, kulturell geprägter Stilistik changiert“. Der Autor selbst aber reflektiert über die titelstiftenden „Schönen im Kino“, in „Skizzen, Fragmenten, Anspielungen und Exkursen“ auch auf „höchst subjektive“ Weise. Denn er schöpft dabei nicht nur aus dem reichhaltigen Fundus seines kunst- und filmgeschichtlichen Wissens, sondern ganz ausdrücklich ebenso wohl „aus den Erfahrungen des eigenen Lebens“.

Koebner ist ein versierter Autor, der sich im vorliegenden Buch für einen flotten bis flapsigen Stil entschieden hat. Dies macht die Texte zwar weithin angenehm zu lesen, führt andererseits aber auch dazu, dass ihm schon mal eine sexistische Vokabel wie „Bordsteinschwalbe“ unterläuft. Das ist nicht schön. Ein mindestens ebenso großes sprachliches Ärgernis ist, dass‚ ,der Koebner’ der überkommenen Unart anhängt, vor die Nachnamen von Frauen den bestimmten Artikel zusetzen, womit implizit insinuiert wird, dass bei der bloßen Nennung eines Nachnamens selbstverständlich davon auszugehen sei, dass von einem Mann gesprochen wird, wobei dessen Geschlecht zudem nicht weiter von Interesse sei. Verbirgt sich hingegen eine Frau hinter dem Namen, so ist das eine Besonderheit, auf die mittels vorangestelltem Artikel aufmerksam gemacht werden muss. Zugleich wird die so adressierte Frau durch den ihrem Namen beigegebenen Artikel als Geschlechtswesen gekennzeichnet, was bei der nachnamentlichen Benennung eines Mannes unterbleibt.

Koebner hat sein Buch in mehrere Teile gegliedert. Der bereits erwähnten einführenden Fragestellung „Was ist schön“ folgen drei „Galerien“ genannte größere Abschnitte, in deren erster der Autor anhand diverser Erzeugnisse der bildenden Kunst „Recherchen nach der ‚universellen‘ Schönheit‘ anstellt, die zurück bis zur Nofretete-Büste des ägyptischen Pharaonen-Reiches reichen, das „Urteil des Paris“ beurteilen, „Herakles am Scheideweg“ treffen und die Schönheit von Pygmalions Schöpfung bewundern. Des weiteren bietet Koebner in diesem Kapitel diverse „Überlegungen zur Evolution des Begehrens“, in denen uns Schönheit als unerreichbare“ und somit quasi als regulative Idee begegnet. In der zweiten Galerie besucht der Autor Leni Riefenstahls „Olympia“-Film und vergleicht deren „Visionen nackter Körper“ mit denjenigen der diese inspirierenden antiken Statuen. Zwischen die zweite und die dritte Galerie hat der Autor einen „Körperfantasien“ betitelten Abschnitt geschaltet, in dem er nicht nur Venus vom Olymp herabsteigen lässt und „das doppelte Körperideal des Klassizismus“ beleuchtet, sondern auch den männlich konnotierten „harten Kampfkörper“ und den weiblich konnotierten „verletzlichen Körper“ in Augenschein nimmt.

Die dritte und letzte Galerie gilt dem je „besonderen Schönen“ einer Reihe von Leinwandgrößen. Mit ihr stößt er endlich ins Zentrum seines Themas vor. Für dieses Kapitel hat Koebner etwa siebzig Porträts schöner SchauspielerInnen verfasst, wobei er den Geschlechterproporz ziemlich exakt eingehalten hat. In dem von ihm als „Probelauf“ apostrophierten Abschnitt lässt Koebner „eine Reihe vornehmlich amerikanischer, französischer und deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler Revue passieren“, um „deren ‚besondere Schönheit’ in stets zu knappen Kommentaren hervorzukehren“. Hierbei legt er besonderen Wert auf „Epochentypisches (die geschichtliche Prägung) und Landestypisches (die Zugehörigkeit zu einer abgrenzbaren Kultur)“ des „Erscheinungsbildes“ der Porträtierten.

Jedem der meist ein oder zwei Seiten langen Porträts ist eine nur wenige Worte umfassende Charakterisierung vorangestellt. Dabei machen sich bestimmte geschlechtsspezifische und nicht selten klischeehafte Unterschiede bemerkbar, was allerdings wohl weniger Koebner als vielmehr den durch die Portraitierten auf der Leinwand und im Leben verkörperten Figuren anzulasten sein dürfte. So gibt es auf weiblicher Seite etwa „Die zarte Kindfrau“ (Lilian Gish), „Die Unergründliche“ (Louise Brooks), „Die rehäugige Prinzessin“ (Audrey Hepburn), „die unzerbrechliche Zerbrechliche“ (Michelle Pfeifer) und „die sanfte Sinnliche“ (Claudia Cardinale) sowie im Doppelportrait „die fromme Seele und die wilde Empörerin“ (Henny Porten und Asta Nielsen). Männer sind hingegen gerne „smarte Fechter“ (Errol Flynn) „beharrlich und furchtlos“ (Burt Lancaster), geben den „rebellischen Sohn“ (James Dean), den „Melancholiker“ (Montgomery Cliff), den „sprungbereiten Abenteurer und Herzensbrecher“ (Jean-Paul Belmondo) und den „provokanten Wilden“ (Marlon Brando) oder sie kommen wie Horst Buchholz als „einsamer Apoll“ daher.

Da die Porträts nicht alphabetisiert sind (auch nicht innerhalb der einzelnen Unterabschnitte, die etwa Titel wie „Melodramatische Heldinnen, Flappers, Vamps“, „Männliche Stars aus Amerika“ oder „Die italienischen ‚Busenwunder‘ der Nachkriegszeit“ tragen), ist es nicht ganz einfach, eine bestimmte der zahlreichen Leinwandlegenden, für die man sich aus diesem oder jenem Grund besonders interessieren mag, zu finden, ohne das halbe Buch durchzublättern.

Den drei Galerien folgt ein Abschnitt über „Frauenrollen, Männerrollen“, in dem Koebner etwa moniert, dass „die Präsentation von Frauen und Männern in herkömmlicher Dramaturgie in den meisten Fällen ein ziemlich konservatives Schema“ erfüllt, so dass „Grenzüberschreitungen zwischen den Gender-Konzepten als Besonderheit registriert“ werden. Das ist zweifellos zutreffend, allerdings nicht eben eine bahnbrechende Erkenntnis. Der Autor führt und differenziert sie in diversen Unterabschnitten etwa über „Liebesakte“, „romantische Kommödien“ und „Rollenfächer“ jedoch durchaus näher aus.

Insgesamt zeugt vorliegende Band von Koebners Vertrautheit mit der Historie der Porträtkunst und seinen umfassenden Kenntnissen nicht nur des populären Kinos. Allerdings verzichtet er allzu oft darauf, diese durch Belege auszuweisen. Ein Manko, dass insbesondere die Angaben gedruckter Quellen, weniger diejenige der Filme betrifft. Unabhängig davon kann man sehr wohl Freude an dem Band haben, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Abbildungen schöner Menschen auf Gemälden, als Statuen oder im Film.

Titelbild

Thomas Koebner: Die Schönen im Kino.
Herausgegeben von Thomas Koebner und Fabienne Liptay.
edition text & kritik, München 2011.
268 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783869161334

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