Möwen und Gespenster

Jean-Pierre Abraham erzählt in „Das weiße Archipel“ von einsamen Inseln

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kleine Inseln sind es, zerklüftet und karg, bewohnt vor allem von Seemöwen und wenigen Menschen. Hierhin kehrt Jean-Paul zurück, der eigentlich Jean-Pierre heißt, auf die Glénan-Inseln in der Biskaya, zwischen Quimper und Concarneau. In einem heißen Juli richtet er sich wie ein Eremit im Fort Cigogne ein, in einem feuchten Raum, der auch in der größten Hitze nicht warm werden will. Zeichnet, fährt mit dem Boot hinaus, besucht die Nachbarinseln, fischt im Meer. Und schreibt auf, was er erlebt. Das ist wenig bis nichts: Die paar Leute, die hier ständig wohnen, sind Stan, Etienne und Juliette, die im Sommer in der Bar arbeitet. Ein paar Sommergäste. Die Möwen, die manchmal in die Zimmer fliegen und an der Butter herumpicken. Oder sich gestört fühlen, wenn er an einer Mauer sitzt. Oder der kleine braune Vogel, ein seltsamer Spatz, der sich manchmal wie eine Schwalbe benimmt.

Es ist ein karges Leben, das er hier führen muss. Aber genau das hat er gewollt. Er will sich absondern, will nur beobachten. Vielleicht sich sogar auflösen im farblosen Gras. Will Etiennes ewige Mahnung hören: „Vergiss nicht: Du bist zwar wieder ein Stück blöder als gestern, dafür aber lange nicht so dämlich wie morgen.“

Zwischendurch erzählt er von seiner Vergangenheit hier auf der Insel, von seiner Frau und den beiden Kindern, von nicht ausgesprochenen Geheimnissen und dem Verstreichen der Zeit. Es ist ein sehr melancholisches, fast schon depressives Buch, das dennoch, in seinen Naturbetrachtungen, leuchtet. Man fühlt sich sogleich eingebettet in den Zyklus von Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Erinnerungen und Jetztzeit. Geschrieben ist es in einer Mischung aus Poesie und Lakonie, Humor und genauer Beobachtung, Zorn und Resignation. Und immer wieder erscheinen auch die Gespenster, so als der Held einmal hinausfährt, Fische fängt und im Sturm fast nicht mehr heimkommt, bis eine Frau am Ufer eine Lampe anzündet und in Nachthemd und Öljacke am Wasser steht, seine eiskalten Hände nimmt und sich auf ihre Brust legt.

Es ist ein schmales Buch von einem, der selbst längere Zeit auf dem Glénan-Archipel gelebt hat: Jean-Pierre Abraham, 1936 in Nantes geboren, war Leuchtturmwärter auf der Insel Armen in der Bretagne und lebte mit seiner Familie als Inselwächter auf der Insel Penfret, bis die Kinder schulpflichtig wurden. Der Bericht, Roman mag man es kaum nennen, eignet sich kaum für Leser, die Action wollen: Hier passiert nichts, außer dass sich da einer von der Welt entfernt hat, um einmal in die Einsamkeit einzutauchen. Auch was eigentlich genau in seiner Vergangenheit passiert ist, erfährt man nicht. Zudem ist die Sprache gewollt archaisch und altertümlich, und leider entgehen Übersetzerin und Lektorat auch einige Unbeholfenheiten und Fehler.

Titelbild

Jean-Pierre Abraham: Das weiße Archipel.
Übersetzt aus dem Französischen von Ingeborg Waldinger.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2012.
94 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783990270219

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch