Mein Himmel der Abgrund von morgen

Heiner Müllers Gedichte in der Bibliothek Suhrkamp

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dichter ist durch das, was von ihm vernommen wird. Lauscht man dem Gedicht Heiner Müllers, dann vernimmt man ätzenden Haderton, salzsaures Wort. Man erfährt die hart konturierte Desillusion eines an der Welt gestörten Intellekts.

Müller war einer, der Literatur als Schwarzsagung ausübte. Das von ihm aus den Texten der Welt gelesene Material agglutinierte er zu Fußnoten eines dunklen Seins. Was man das Fließen der Sprache nennen kann, war hier gestockt, gebremst, in sich gesperrt wie das Leben dazu. Im Getriebe der Zeit knirschten mindestens Kiesel. Müller wälzte die Felsen.

Ihm galt die Welt als Diskriminierungsversuch des Lebens. Jene bittere Erkenntnis war erzwungen aus der intensiven Beobachtung der Geschichte: Zumeist hatten die Sünden die Tugenden überlagert, waren die Utopien kurz gehalten an verschiedensten Leinen. Das Virulente war so nah am Menschen wie seine Haut.

Der Zustand "Vision" war bei diesem Autor mehrfach gebrochen. Sein Arbeitskorsett ein Skeptizismus, der sich an den Nebenwirkungen aller Systemversuche schärfte. Er war, sieht man von einigen vorschnellen Elogen ab, der Autor als Gegenstrich.

Jeder Lichtblick konnte bloß die Unschärfe einer Fata Morgana sein. Wenn bei Müller denn einmal stand: "Hier ist Schönheit", dann lag darin der sarkastische Witz eines im Optimismus Zweifelnden, dann war der Boden darunter von schwachem Halt.

Was das Drama nimmt, nimmt auch die Lyrik. Die Gegenwart erscheint im literarischen Hohlspiegel als Widerwart, als blutkranker Nachlauf des Vorher. Spätestens nach den letzten beiden großen Kriegen musste ihm das Menschliche als das sich Zerfleischende gelten. An diesem letalen Ort leistete er ernüchterte Trauerarbeit. Seine Hoffnung war die des Arztes im Anblick der Epidemie.

Der Schoß der Übel lag ihm offen. Zwangsläufig endete derartige Einsicht in fatalistischen Versen. "Ein toter Vater wäre vielleicht / Ein besserer Vater gewesen. Am besten / Ist ein totgeborener Vater." Was sich hier Töne verschafft, ist die Davidposition des Dichters.

Jede sprachliche Form ist bei Müller ein Hypertext zur benachbarten Gattung. Die Gedichte lassen sich charakterisieren als Fragmente einer Sprache des Dramas, Gattung Tragödie. Ornamentik war hier nicht zu haben. Die Lyrik war Müller ein Raum ohne Umschweife. Zuhause in den verschiedensten Verknappungen, verdichtete er die Fall-Outs der Geschichte zu makabren Pressungen. Trotzki zum Beispiel hinkt hier durch, "das Beil des Macbeth noch im Schädel". Regelmäßig war der Text Fokus für das Paradoxe, das sich dann oft als die beste Übersetzung entpuppt. Was Müller auf seinen Zeitreisen vernahm, waren trügerische Gefüge, hinter den Parolen blass und blutig. Dem Geschichtsdenker war die Vergangenheit Hinweis genug auf die Instabilität eines zu idealistischen Seins.

Sein Konzept blickte hinter die Träume, wo der Mensch Material war, aufgegangen in den Zwängen der je herrschenden Logik. "Als Mörtel gebraucht schon / Beim Bau der Großen Mauer, und immer noch / Werden Große Mauern gebaut."

Müller arbeitete sich ab am Narbengesicht der Geschichte und sah, dass Dekadenz, Opportunismus und Despotie kraftvoll durch die Jahrtausende marschierten. Terror war eine der Hauptbewegungen. Mehr als nur exemplarisch diente ihm dabei das Deutsche als Muster. Die Wunde Woyzeck, auch in der Lyrik bricht sie immer wieder auf.

"DER TERROR VON DEM ICH SCHREIBE KOMMT AUS / DEUTSCHLAND." Größer kann Distanz zu dem, was man Heimat nennt, kaum sein. Müller sah sich selbst infiziert, verfertigt das Gedicht als Reflexion am Trauma. Bis zu seinem Tod wollte er sich in dieser Wirklichkeit, in der verschiedene Dogmen immer wieder in die Leben drängten, nicht ankommen sehen. Der Blick in die Spiegel war gleichbleibend bitter. Einsam schwebte der Autor als Geier über allem, und war selber Aas.

Titelbild

Heiner Müller: Ende der Handschrift. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
116 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3518223356

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