Die Wandlungen des „weitbeschreyten Schwartzkünstlers“

Marina Münkler untersucht narrative Transformationen in den frühen Faustbüchern

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Faust ist zweifellos eine der berühmtesten Figuren der Weltliteratur. Doch so geläufig die Geschichte des Zauberers und Teufelsbündlers auch ist: Der weitverzweigte literarische Faust-Mythos wird zumeist auf wenige Stationen reduziert, deren berühmteste neben Johann Wolfgang von Goethes Dramen sicherlich Christopher Marlowes „The Tragicall History of Dr Faustus“ und Thomas Manns „Doktor Faustus“ sind. Pflichtschuldig wird stets auch das sogenannte „Volksbuch“ genannt, das gemeinhin als Ausgangspunkt der Stoff-Geschichte gilt. Die literarischen Vorläufer und direkten Nachfolger dieses vermeintlichen Volksbuches aber sind einer breiteren Leserschaft unbekannt.

Marina Münklers Habilitationsschrift widmet sich just diesem Grundstock des neben dem Nibelungen-Mythos wohl wirkungsmächtigsten Stoffes der deutschen Literaturgeschichte. Dabei setzt Münkler nicht einfach mit der „Historia von D. Johann Fausten“ von 1587 an. Dieses früheste Faust-Buch wird nicht als der Ursprung einer Tradition betrachtet, sondern seinerseits auf zahlreiche Quellen und formale Vorbilder zurückgeführt. Münkler richtet den Blick auf die „teilweise subtilen Transformationen innerhalb der Tradition der Faust-Prosaromane des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Stoff-Geschichte sei keine einheitliche Formation, sondern von Umschreibungen, Abgrenzungen, Auslassungen, Hinzufügungen und Korrekturen geprägt. Die Autoren der frühen Faust-Bücher haben, so Münkler, „Texte transformiert, nicht einen Stoff tradiert“. Bei diesem wichtigen Befund belässt es die Verfasserin allerdings nicht. Sie konstatiert diese Transformationen nicht nur. Vielmehr ist es ihr darum zu tun, wie sich dadurch die Identität der Faust-Figur verändert.

Ein großes Anliegen und Verdienst des Buches ist, zwischen den unterschiedlichen Prätexten und den verschiedenen intertextuellen Techniken der Bezugnahme zu differenzieren. Münkler bedient sich dazu eines theoretischen Instrumentariums, das sie vor allem der Transtextualitätstheorie Gérard Genettes entnimmt. Hinzu kommen teilweise sehr starke Anlehnungen an Überlegungen Niklas Luhmanns, Roman Jakobsons und Michel Foucaults sowie an die moderne (ebenfalls durch Genette geprägte) Erzähltheorie. Zunächst untersucht Münkler, in welcher Weise sich die „Historia“ intertextuell und gattungspoetologisch mit ihren Prätexten wie Heiligenlegenden, Exempla oder auch Martin Luthers Tischreden auseinander setzt und wie die Versatzstücke miteinander kombiniert werden, so dass von einer „Montagetechnik“ des frühneuzeitlichen Erzähltextes die Rede ist. Erstaunlich ist der Befund, dass die früheste zusammenhängende Erzählung über das Leben des berühmten Magiers zahlreiche biografische Informationen, die über Faust im Umlauf waren, gerade nicht übernimmt, wodurch die Ansicht widerlegt wird, die „Historia“ sei die Verschriftlichung einer mündlichen tradierten Sage über das Leben Fausts.

Als „Leitsemantiken“ für die Beschreibung von Fausts Identität nennt Münkler Zauberei und „curiositas“, also den grenzüberschreitenden Wissensdrang, dem die Faust-Figur maßgeblich ihre weltliterarische Prominenz verdankt. Allerdings kann Münkler nachweisen, dass dieser Charakterzug keineswegs unverzichtbar ist, da der Teufelspakt bisweilen auch durch Geldgier, Wollust oder Müßiggang motiviert wird. Derlei Verschiebungen innerhalb dieser Semantiken werden anhand der wichtigsten frühneuzeitlichen Faust-Bücher aufgezeigt. Neben der „Historia“ und ihren verschiedenen Druckfassungen werden die frühe Wolfenbütteler Handschrift ebenso beachtet wie der sogenannte „Tübinger Reimfaust“ von 1588 oder das „English Faustbook“ (1588/92), das schon sehr rasch eine englische Tradition des Stoffes anstieß. Hinzu kommen die stark moralisierende Bearbeitung von Georg Rudolff Widman von 1599 und dessen abermalige Überschreibung durch Christian Nikolaus Pfitzer (1674), die die Narration durch ausufernde Kommentare und Warnungen aufblähten. Den Schlusspunkt bildet das ungleich knappere, aber kaum minder moralisierende „Faustbuch des Christlich Meynenden“ (1725).

Darüber hinaus kontextualisiert Münkler die einzelnen Etappen der frühen Stoffgeschichte unter anderem mit theologischem Schrifttum, dämonologischen und juridischen Traktaten, zeitgenössischen Teufelsvorstellungen oder Überlegungen zur Hexenverfolgung. Dieses breite Textfundament bringt die Faust-Bücher mit anderen Bearbeitungen des Stoffes, aber auch mit weiteren Diskursen ihrer jeweiligen Zeit in einen Dialog, was ein großer Gewinn für das Verständnis der Texte und ihrer Erzählstrategien ist. Zu bemängeln ist allenfalls, dass Münkler jeden Blick über den untersuchten Abschnitt der Stoff-Geschichte hinaus unterlässt. Nur auf der letzten Seite werden beiläufig „spätere Bearbeitungen“ angedeutet. Hier und öfter hätte der Leser sich weiterführende Anknüpfungspunkte zu weitaus berühmteren späteren Faust-Figuren und -Texten gewünscht.

Insbesondere in dem Kapitel, das die verschiedenen Faust-Bücher vorstellt und die konkreten Transformationen philologisch exakt aufarbeitet, gewinnt die Studie geradezu Handbuch-Charakter. Die zahlreichen aufgezeigten Verschiebungen sind allesamt nachvollziehbar, allerdings geht die philologische Detailgenauigkeit mit einer erschwerten Lesbarkeit einher. Auch die zahlreichen langen Zitate erschweren den Lesefluss. Zwar untersucht Münkler durchweg stichhaltig narrative Transformationen, ausgerechnet als Narration aber kann ihre Studie nicht überzeugen. Zu dominant ist das stetige Muster, einen Aspekt durch alle genannten Faust-Bücher hindurch zu verfolgen. Auch endet das Buch eigentümlich unvermittelt und bar jeder Abrundung oder Zusammenfassung. Ob diese gleichsam ästhetischen Einwände eine faktengesättigte, inhaltlich einleuchtende, konzise argumentierende wissenschaftliche Qualifikationsschrift entscheidend treffen können, sei dahin gestellt. Münklers Buch wird in der Faust-Forschung zu Recht eine prägende Rolle einnehmen. Die „curiositas“ des Lesers, die frühen Faust-Texte jenseits der „Historia“ selbst zu erkunden, wird durch diese Untersuchung jedenfalls angeregt.

Titelbild

Marina Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.
357 Seiten, 59,99 EUR.
ISBN-13: 9783525367148

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