Dokumente einer späten Freundschaft

Der Briefwechsel von Carl Zuckmayer und Theodor Heuss nach dem Zweiten Weltkrieg

Von Jens FlemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Flemming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Männer waren schon in den besten Jahren, als sie sich im Januar 1947 zum ersten Mal trafen – der eine, Theodor Heuss, hatte die NS-Zeit leidlich überstanden, war Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, Vorsitzender der süddeutschen Liberalen, einer der Lizenzträger der Rhein-Neckar-Zeitung, der gut zwei Jahre später mit der Wahl zum Bundespräsidenten den Gipfel seiner Karriere erreichte; der andere, Carl Zuckmayer, dessen Bücher die Nazis auf den Index gesetzt hatten, war 1938 emigriert und im Dienst der USA für einen kurzen Moment zunächst in das zerstörte Deutschland zurückgekehrt. Das Ende der braunen Diktatur eröffnete ihm die Chance, wieder Fuß zu fassen im deutschen Sprachraum, an frühere Erfolge anzuknüpfen. Aus der ersten noch flüchtigen Begegnung wurde wenig später, beginnend im Juni 1950, eine von Freundschaft und gegenseitigem Respekt getragene Beziehung. Man korrespondierte miteinander, und gelegentlich, wenn der Terminkalender es zuließ, traf man sich auch.

Die Briefe sind nun im Rahmen des Zuckmayer-Jahrbuchs von den Mainzer Literaturwissenschaftlern Gunther Nickel und Erwin Rothermund ediert worden. Sie enthalten, konzedieren diese in ihrer knappen Einführung, weder literarisch noch politisch Überraschendes oder gar Brisantes. Warum aber dann der Abdruck auf knapp 130 Seiten, gefolgt von einem Kommentarteil von noch einmal fast 40 Seiten? Weil ihr Ton so „einnehmend“ sei, argumentieren die Herausgeber, weil sie den Leser mit der Qualität einer „Briefkultur“ konfrontieren, die mittlerweile „weitgehend abhanden gekommen“ sei. Tatsächlich haben wir es mit einem außerordentlich gepflegten Sprachduktus zu tun, bisweilen mit Wendungen, die uns Heutigen recht verzwirbelt erscheinen. Da schreibt Zuckmayer, er hoffe demnächst „neue Arbeiten“ in die „Hand“ des Gegenübers „legen zu dürfen“. Heuss verrät an anderer Stelle, er lasse „die Kunstleistung unmittelbar“ auf sich „wirken, ohne die Dauerreflexion über diese oder diese Wertung“. Weinflaschen werden nicht entkorkt, nein, sie werden „dezerniert“; Heuss sieht sich als Bundespräsident in die „Verstrickungen der konventionellen Höflichkeit geraten“ und steht „in vielerlei Abwehr zu vielerlei Beanspruchungen“.

Aber nicht allein Stil und Formulierungskunst offenbaren sich: auch und immer wieder geistige Befindlichkeiten, Lebens- und Gedankenwelten, kulturelle Horizonte und Prägungen. Verwunderlich ist das nicht, waren doch die Briefpartner, in die regelmäßig Zuckmayers Frau Alice einbezogen war, zwei erfahrene und produktive Schriftsteller: Zuckmayer, der viel gespielte Dramatiker, und Heuss, der langjährige Journalist und Biograf mit Arbeiten über seinen politischen Mentor Friedrich Naumann, über den Industriellen Robert Bosch und den Architekten Hans Poelzig.

Beide hatten den für die Epoche um 1900, in die sie hineingeboren wurden, üblichen bürgerlichen Bildungshintergrund, in gewisser Weise webten und strebten sie darin 1945 immer noch, suchten zu bewahren, was davon nach den Verwüstungen des NS-Regimes übrig war, auch Verschüttetes wieder ans Licht zu heben, verlorene Werte und moralische Normen ins Gedächtnis zu rufen. Zuckmayer spricht in diesem Zusammenhang von der „Atmosphäre der Bildungseinheit“, die ihm einst „selbstverständliche Atemluft“ gewesen sei, und bedankt sich bei Heuss für dessen am 30. November 1953 im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen gehaltene Rede: „ein wahrhaft erschütterndes, ein großes Dokument“ von „reinigender Deutlichkeit“, das er seinen Freunden in den USA zur Kenntnis geben wolle, denn sie sei so etwas wie die wahre „Stimme Deutschlands“.

Das Große Verdienstkreuz mit Stern, das ihm 1955 verliehen wird, empfindet er als Anerkennung für seine „Treue zu Deutschland, zum deutschen Volk und zur deutschen Kultur, die unter allen Himmel die gleiche“ bleibe und „es unter allen Schicksalsschlägen geblieben“ sei. Nicht nur hier wird ein außerordentlich starkes Bedürfnis nach Kontinuität sichtbar, ein Vehikel gleichsam zur Stiftung einer Identität, die auf den kulturellen Pfeilern aus den Jahrzehnten vor 1933 ruht, ein Instrument auch, um Brücken zu schlagen zwischen denen, die in die Emigration gezwungen worden waren und denen, die daheim ausgeharrt oder mitgelaufen waren. Und mehr noch: Es ist Ausdruck eines Lebensgefühls, das mit Distanz, ja mit Schrecken auf die Erscheinungsformen des ‚american way of life‘ reagiert: jener „Utopie“, die Alice Zuckmayer als „verwirklichten Wunschtraum des Sozialismus“ wahrnimmt, die Verwandlung der Gesellschaft in eine solche des Konsums und der Konsumenten: „Propaganda wird [in den USA] nur mehr für Waschmittel, Mehl und Televisionsfirmen gemacht.“

Heuss habe, so hat ihn Zuckmayer zu dessen 70. Geburtstag gewürdigt, ein „deutsches Gesicht“: eines, „wie man es meint und wünscht“, eines, das man der „Welt“ als „Mitgift, in aller Bescheidenheit, aber auch in sicherem Selbstbewußtsein, zuwenden“ könne. Heuß seinerseits mochte Zuckmayer, weil er offen war, gegen die Deutschen versöhnliche Töne anschlug. Er sei „sauber, unförmlich“, vertraute er seiner Freundin Toni Stolper an, „angenehm katholisch“. Jedenfalls habe man sich „ziemlich rasch gut ‚angenommen‘“, schrieb er andermal. Was dies hieß und wie diese „späte Freundschaftserwerbung“ sich entfaltete und bewährte, kann man im hier angezeigten Briefwechsel studieren. Das ist nicht ohne Reiz auch dann, wenn aufregend neue Erkenntnisse nicht zu erwarten sind.

Titelbild

Carl Zuckmayer / Theodor Heuss: Briefwechsel. Und andere Beiträge zur Zuckmayer Forschung.
Herausgegeben von Erwin Rotermund und Gunther Nickel.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
266 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783835310148

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