Die Versuchung des Glücks

Werner Spies legt mit „Mein Glück“ umfangreiche, indes allzu eitle Erinnerungen vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum Schluss, nach fast 600 Seiten, auf denen er sein „glückliches Leben“ schildert, folgt noch ein fünfseitiger Epilog: das „,Ach!‘, ohne das kein Leben gelebt werden kann.“ Aber doch auch der „schwerste Einbruch in mein Leben“, mein „Unglück“, denn „alles, was ich mit dem Fälscher Beltracci verbinde ist ein Unglück“. Von Beltracci stammten die sieben Bilder, die Spies 2010 als echte Werke Max Ernst ausgewiesen hatte. Ausgerechnet Max Ernst: Ihn, die „Begegnung meines Lebens“, kennengelernt zu haben, schildert Spies als ein zentrales „Glück“ seines Lebens. An der Gründung des kleinen feinen Max-Ernst-Museums 2005 in Brühl, dem Geburtsort des einzigartigen Künstlers, mitgewirkt zu haben, gehört zu den späten Erfolgsunternehmungen Spies. Nun sieben vermeintlich unbekannte Bilder des Künstlers, über den er schreibt: „Seine fast blinde Sicherheit mit politischen und sozialen Situationen war einzigartig.“ Blinde Sicherheit. Ihm ging sie ab. Ein peinliches Fehlurteil. Damit indes noch nicht genug des „Unglücks“: denn – „obwohl ich es nicht verlangt habe“ – bedankten sich die Beltraccis in Form einer großzügigen Überweisung auf ein ihnen offensichtlich wohlbekanntes Schweizer Konto dafür, dass Spies ihnen auch noch Käufer für die Fälschungen vermittelt hatte. „Das war unklug“. In der Tat. Denn nun blieb es nicht nur bei der Peinlichkeit des Irrtums als Kunstkenner, jetzt kam auch noch der Verdacht hinzu, mit den Fälschern unter einer Decke gesteckt zu haben. „Dass dies meinem Ansehen geschadet hat, weiß ich. Dass ich meine Entscheidungen nach bestem Wissen getroffen habe, lässt mich in den Spiegel schauen.“

Die knappen Bemerkungen zu seinen Verstrickungen in den Fälscherskandal wirken ein wenig wie die pflichtgemäß-routinierte Entschuldigung eines von sich ansonsten selbst überzeugten und begeisterten Zeitgenossen. „Mein Glück“ heißen diese Erinnerungen insofern nicht zufällig. Nimmt man das Buch zur Hand, so ahnt man beim Betrachten der Fotos, worin das Glück vor allem besteht: zu sehen ist vor allem immer einer – Spies selbst. An der Seite all der prominenten und verehrten Personen, die zu treffen er das Glück hatte. Und plötzlich meint man eine Erklärung für das Desaster zu erkennen: ließ sich da jemand von seiner Eitelkeit verführen? Noch einmal am Ende eines erfolgreich aktiven Lebens mit der Kunst im Mittelpunkt einer Sensation stehen: Werner Spies und die sensationellen neuen Bilder von Max Ernst?

Die Ichbezogenheit dieser Erinnerungen jedenfalls schmälert den ansonsten durchaus vorhandenen Reiz dieser Erinnerungen. Denn Spies ist ein unterhaltender Erzähler. Sein Aufbruch aus der schwäbischen Provinz, wo Spies 1937 in Rottenburg geboren wurde, nach Paris, wo er „vom ersten Tag an in das eintauchte, was ich das andere, in meinen Augen das „richtige“ Leben nannte“, war für den jungen Spies ein Akt der Befreiung. Hier nun eröffneten sich dem Literatur- und Kunstsinnigen eine Fülle neuer geistiger und persönlicher Perspektiven – vor allem in der Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern. Und darüber kann Spies anregend plaudern. So, wenn er Anekdoten einschiebt, wie jene mit Prinz Charles und Camilla, die er anlässlich der Eröffnung einer Picasso-Ausstellung kennenlernt. „Als ich His Highness vorgestellt wurde, meinte der Prinz, ich hätte doch Picasso gut gekannt und mich mit ihm lange auseinandergesetzt, und fragte mich: ,Können Sie mir erklären, warum dieser Maler, der doch so begabt war, so abstoßende Bilder machen musste?‘“ Gerne hätte man nun gelesen, wie der Picasso-Fachmann die Situation bewältigte und was er dem prominenten Kunstlaien mitzuteilen wusste, um ihn von Picassos Güte zu überzeugen, indes folgt im Text ,nur‘ eine weitere Promi-Anekdote.

So kann der wohlgefällig anregende Erzählton dieser Erinnerungen im Verlauf der 600 Seiten eine zunehmende Enttäuschung nicht überdecken. Was außer einer Fülle von Namen, Begegnungen und Anekdoten, von denen die meisten im Übrigen bereits oft kolportiert wurden, erfährt man eigentlich wirklich in diesen Erinnerungen? Immerhin hat Spies in seinen journalistischen Werken, als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie oder Direktor des Museums für Moderne Kunst im Centre Pompidou der Kunstgeschichte wertvolle Impulse gegeben. Als Kunstvermittler und Ausstellungsmacher hat er die Moderne und hier insbesondere den Surrealismus ins allgemeine Bewusstsein geholt. Bedeutsam auch seine Vermittlungsbemühungen zwischen der französischen und deutschen Kunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu Recht wurde er für diese Verdienste gerühmt und vielfach ausgezeichnet. Blieb dennoch eine Unzufriedenheit? Am Ende doch nur Beobachter und Vermittler des „richtigen“ Lebens und nicht Teil desselben gewesen zu sein?

Bei der Fülle von Namen, die Spies in seinen Erinnerungen erwähnt, wäre ein Register hilfreich. Dieses fehlt jedoch. Und so wird man auch zukünftig eher zu den einschlägigen Werken greifen, wenn man wirklich etwas erfahren möchte über die Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert. Unter diesen sind dann auch Spies Werke – nicht aber seine Erinnerungen.

Titelbild

Werner Spies: Mein Glück. Erinnerungen.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
606 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783446240032

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