Untergang oder Traditionsbewusstsein

Das Krupp-Archiv hat seine Schätze ausgepackt – wunderbare Fotografien sind dabei zum Vorschein gekommen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es wird wohl niemand so recht sagen können, ob die Herausgabe dieses Bandes mit Fotografien aus dem Krupp-Archiv Ausdruck der Krise, ja des Niedergangs dieses mittlerweile mit dem alten Erzfeind Thyssen vereinigten Industriegiganten ist, oder ob sich dahinter nur ein besonders tief verwurzeltes Traditionsbewusstsein verbirgt. Während auf den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen von einer hausgemachten Krise im Hause ThyssenKrupp die Rede ist, lesen wir in diesem umfangreichen Bildband, der mit zahlreichen Texten bestückt ist, nur vom Guten bei Krupp, von den Erfolgen und den Unternehmern, die Krupp geprägt haben. Der renommierte Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser rühmt in seinem einleitenden Beitrag, in dem es um das Industrieunternehmen Krupp geht, die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens, das sämtliche Industrialisierungsschübe nicht nur überlebt hat, sondern darin auch seine besonderen Erfolge feierte. Selbst der Sprung in die „immaterielle Produktion“ sei dem Unternehmen gelungen, und mit dem Bau der neuen Konzernzentrale in Essen 2010 sei eben auch so etwas wie ein Kreis geschlossen worden. Wenn denn nicht mit dem Kreis auch die Geschichte zuende geht.

Vom Gründer und seinen Nachfolgern ist die Rede, dem Ausbau des Unternehmens und von seinen Erfolgen – bis hin zum Generalbevollmächtigten Berthold Beitz, der heute noch, als Greis, die Geschicke des Unternehmens mit beeinflusst. Die unfeinen Krupp blieben da naheliegend etwas im Schatten. Arndt? Verschwindet einfach in der Geschichte? Friedrich Alfred Krupp – das Ende des Kanonenkönigs ist skandalumwittert.

Skandale, Misserfolge und Fehlschläge müssen vielleicht auch nicht in einen Band hinein, der fotografische Archivalien präsentieren soll, es sei denn, man wollte keinen Festband, sondern eine umfassende Studie vorlegen. Und das ist hier nicht der Fall, so weit gesteckt die Interessen auch sein mögen, die von diesem Band befriedigt werden.

Zweihundert Jahre Fotografie, gesammelt in einen Unternehmensarchiv, das zugleich mit einer bedeutenden Unternehmerfamilie verbunden ist: Die Bedeutung der Fotografie wurde im Hause Krupp früh erkannt, weshalb es eben nicht nur die typischen Gelegenheitsaufnahmen bürgerlicher Familien gibt, die gern zum Fotografen gingen, um den eigenen Wohlstand zu repräsentieren. Von Beginn an wird in den Fotografien der Gründerfamilie zugleich auch das Unternehmen repräsentiert. Die Fotografie wird in den folgenden Jahrzehnten zum führenden Bildmedium in der Unternehmensrepräsentation.

Selbstverständlich werden Fotografien bei Krupp auch eingesetzt, um technische Lösungen zu dokumentieren, um Versuchsreihen darzustellen – wenngleich diese Anwendungsbereiche in diesem Band nur eine Nebensache bleiben. Mikrofotografie zum Beispiel, auch die gibt’s bei Krupp. Aber das Archiv präsentiert nur wenige Exempel in diesem Band. Der Fokus liegt auf anderem: Selbst in der unbedeutendsten Maschine und in der beiläufigsten Ansicht des Betriebsgeländes schwingt immer auch der Stolz mit auf das, was hier vorgeführt wird.

Das wird in den Panoramen des 19. Jahrhunderts offensichtlich. Großartig das Panorama des Werkgeländes, das der erste Werkfotograf Krupps Hugo von Wenden 1867 mit großem Aufwand produzierte. Auch die Aufnahmen aus dem Großmaschinenbau sind Machtdemonstrationen – was gleichwohl sofort wieder auf Lücken verweist. Wo etwa finden sich die Aufnahmen der Braunkohleförderbagger, an deren Produktion Krupp immerhin beteiligt war? Ein Schnappschuss von der Hannovermesse 1960 zeigt Alfried Krupp von Bohlen und Halbach mit Sohn Arndt wenigstens vor einem ausgestellten Schaufelrad, das die Dimensionen der Maschinen ahnen lässt.

Ansonsten findet sich in diesem Band, was man von Krupp erwartet: Fotografien aus Gussstahlfabriken und anderen Produktionsbereichen des Unternehmens, Arbeiter, die in ihrer Pose erstarrt sind oder vor der ersten Lokomotive aus dem Hause Krupp posieren, Werbefotografien, aber eben auch Fotografien von Siedlungen und Arbeiterinnen, die innehalten in dem, was sie gerade tun. Mit der Moderne geraten nach und nach auch Reportagefotografien ins Repertoire, die die Dynamik des Unternehmens in den Vordergrund rücken.

Die Selbstinszenierung seiner Repräsentanten erhält einen anderen Charakter: Die Gründer zeigen vor allem sich selbst in ihrem bürgerlichen Habit vor: Krupp und Wilhelm II? Ein Schnappschuss ohne Genehmigung. Nur wenige Jahrzehnte später wissen die Mächtigen beiderlei Provenienz sich der Fotografie zu bedienen, und es lassen sich Geschichten erschließen: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach empfängt den Führer und den Duce? Man sieht dem Foto nicht an, wie der Unternehmer zum Nationalsozialismus stand. Die Distanz zwischen den militant auftretenden faschistischen Größen und dem distinguierten Industriellen scheint größer nicht sein zu können.

Anders aber später: Berthold Beitz im Gespräch mit einem Schmiedemeister oder Alfred Krupp mit Lehrlingen der Maschinenfabriken: Das Gefälle scheint nicht mehr so groß wie noch in den 1920er-Jahren, in denen solche Kombinationen nicht möglich waren. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach vor dem Porträt Alfred Krupps kurz nach dem Ende des Krieges. Oder am Teezimmertisch lesend fünfzehn Jahre später. Die Fotografie rückt der Kruppfamilie auf einmal sehr nahe.

Mit der Entwicklung der Fotografie und dem Ausbau ihrer technischen Möglichkeiten, verändert sich auch ihr Einsatz. Für den Stand der Fotografie im Hause Krupp war die frühe Einsicht des Firmengründers ebenso fördernd, wie die Fotografie- und Filmleidenschaft Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs, der es sich sogar erlauben konnte, eine Reihe von eigenen Fotobänden zu produzieren (was heutzutage in Zeiten der digitalen Fotografie nichts Besonderes mehr sein mag, in den 1950ern und 1960ern aber war das außergewöhnlich).

Der Anlage des Bandes ist es geschuldet, dass er weniger die Fotos präsentiert als die Bedeutung der Fotografie für das Haus Krupp – et vice versa. Der Bildanteil ist verhältnismäßig gering, dafür ist der Anteil der Studien und Beiträge umso größer. Nach den Überblicksdarstellungen zur Wirtschaftsgeschichte des Hauses Krupp, zur Familie Krupp in der Fotografie und zur Entwicklung der Industriefotografie des ersten Teils folgen knapp 20 Kurztexte, die sich Spezialthemen der Krupp Fotos beschäftigen: mit den Arbeitsszenen, den Produktionsorten, der fotografischen Technik. All das ist lehrreich und informativ, geht aber zu Lasten der Fotos, von denen zahlreiche zu reinen Demonstrationsobjekten degradiert werden. Die Chronologie der Abbildungen ist nicht gewahrt, was den Ausarbeitungen geschuldet ist, die aber ihrerseits wieder kreuz und quer durch den Band schicken. Dem folgt man allerdings auch gern, denn so sehr die Beiträge auch in der Grundanlage den Auftraggebern verpflichtet sein mögen, so aufschlussreich sind sie doch. Und ihre Belege nicht minder.

Ist man bereit, dies zu akzeptieren, gewinnt der Band noch einmal zusätzlich. Sollen sie sich doch feiern, die Kruppianer. Dicke Bertas bauen sie nicht mehr (wenigstens die nicht), Fotografien haben sie viele gemacht oder machen lassen. Das ist immerhin alles schon Geschichte, und dass Krupp selbst es noch nicht ist, wie andere große Unternehmen auch der deutschen Industriegeschichte, mag Verdienst oder Glück sein. Das sei den jeweiligen Verantwortlichen überlassen.

Titelbild

Krupp. Fotografien aus zwei Jahrhunderten.
Herausgegeben von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung.
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2011.
232 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783422023086

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