Vom liebenden Holländer

Über David Mitchells Roman „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der junge Kaufmann Jacob des Zoet gerät 1799 nach Dejima, eine künstlich angelegte Insel vor Nagasaki und der einzige Zugang, den Japan Händlern aus Übersee gestattet: Hier dürfen sie das exotische Reich zumindest andeutungsweise erfahren, werden aber stetig überwacht und als Träger aufklärerischen Gedankenguts hermetisch abgeriegelt. So vegetieren die Kaufmänner vor sich hin und vertreiben sich die Zeit mit derben Späßen, Betrügereien und Prostituierten.

Doch Jacob, ganz in der Tradition naiver Jünglinge, verliebt sich in die Japanerin Orito – eine junge Frau, die die modernen Ideen der Ausländer für die japanische Kultur ganz und gar nicht naiv nutzen möchte. Als diese plötzlich verschwindet, gerät Jacob in die Wirrnisse eines Kampfes der Kulturen.

Limitierter Bildungsroman

Der 1969 geborene amerikanische Autor David Mitchell spinnt mit diesem Roman einige Fäden weiter, die er bereits in dem Beststeller „Wolkenatlas“ aufzudröseln begonnen hat, doch ist dies hier keine Fortsetzung, sondern ein eigenständiges Werk, welches allein einige Motive übernimmt und vertieft: Die interkulturelle Situation gehört sicherlich zu den wesentlichen Interessen Mitchells, aber auch die Naivität des Protagonisten, die dann im Verlauf der Ereignisse an der Realität gebrochen wird – tatsächlich schreibt Mitchell stets Bildungsromane, wobei er im Grunde ganz klassisch vorgeht. Hat man den „Wolkenatlas“ vor allem angesichts der Verfilmung 2012 noch als postmoderne Erzählung sehen wollen, so zeigt der hier vorliegende historische Roman ganz deutlich, dass Mitchell beileibe kein postmodern arbeitender Autor ist, sondern ganz und gar den klassischen Strukturen treu bleibt. Allein, er faltet die Handlung gerne auf und streut auf geschickte Weise Bezüge zwischen den Ebenen – Bezüge aber, die bei näherem Hinsehen nicht sonderlich weit führen: Oftmals spiegeln sie einfach Ähnlichkeiten, die aber jedem aufmerksamen Leser ohnehin auffallen würden, da Mitchell eben auf einige wenige Motive limitiert arbeitet.

Aufgemotztes Vergnügen

So kann man den Roman um Jacob de Zoet auch als Reflexion heutiger Zustände lesen, allein, als Kommentar zum gegenwärtigen Dilemma taugt die Mär vom liebenden Holländer wenig – wie ja auch schon im „Wolkenatlas“ die grundsätzliche Aussage seltsam blass gegenüber dem Furor wirkte, mit welchem Mitchell all dies gestaltete.

Vielleicht wird man Mitchell und diesem Roman gerecht, liest man ihn weder als Parabel der Jetztzeit noch als postmodernes, metatextuelles Ironiefeuerwerk á la John Barths „Der Tabakhändler“, sondern einfach als historischen Schmöker ohne den großen Anspruch beispielsweise einer Hillary Mantel, etwas aufgemotzt gleichwohl mit Hilfe inter- und innertextueller Bezüge.

Dann vergnügte das Werk, wäre es nicht so lang, denn in der Tat verliert sich Mitchell, wahrscheinlich angefeuert vom Erfolg des „Wolkenatlas“, hin und wieder zwischen den Akteuren, folgt man diesem und mal jenem, ohne diese Perspektivwechsel nun zwingend zu machen – dies ermüdet auf Dauer bei der Lektüre.

Titelbild

David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Volker Oldenburg.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
720 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498045180

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch