Annäherung an eine unbekannte Metropole

Hanns Zischler schreibt über das ausgedehnte, städtisch überformte und doch landschaftliche Berlin

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Berlin ist keine sehr große Stadt. Gemessen an seiner Einwohnerzahl aber eine enorm ausgedehnte Stadt. Was ihm an Dichte fehlt, glaubt es durch Fläche wettmachen zu können“ – so beginnt der Journalist, Schauspieler und Fotograf Hanns Zischler sein Berlin-Buch „Berlin ist zu groß für Berlin.

Schon seit vierzig Jahren ist der Autor in der heutigen Hauptstadt unterwegs – fast ausschließlich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der S-Bahn. Dabei beobachtete er die sich ständig verändernde Stadt. Zischler schaute aber nicht nur auf die Gebäude oder Straßen, sondern versuchte stets, hinter dem Gesehenen die Zusammenhänge zu erkennen.

Im Mittelpunkt seiner spaziergängerischen Analysen geht es darum, der Frage auf den Grund zu gehen, warum Berlin dem Phantom einer Groß- und Weltstadt durch seinen schier unstillbaren Ausdehnungshunger nachjagt. An einzelnen Beispielen – Personen, Plätzen oder Ereignissen – geht Zischler der „Weitläufigkeit“ Berlins nach. So ist er mit dem Stadtgeografen der Weimarer Zeit Friedrich Leyden, der Dichterin Gertrud Kolmar, dem Widerstandskämpfer und Passfälscher Oskar Huth oder einfach nur mit einem Straßenbegeher unterwegs. Damit ergibt sich immer wieder ein anderer Blick auf die Metropole und ihre Geschichte.

Zischler entführt den Leser zum Beispiel auf den Teufelsberg, einen 115 m hohen Trümmerberg im Grunewald, wo von 1950 bis 1972 etwa 26 Mio. Kubikmeter Trümmerschutt auf dem Gelände der 1937 erbauten Wehrtechnischen Fakultät aufgeschüttet wurden. In einem weiteren Kapitel wird die Geschichte des sogenannten Tatlin-Turmes beleuchtet, eine nie realisierte architektonische Utopie aus dem Jahr 1920. Besonders kritisch hinterfragt Zischler den Umgang Berlins mit seinen Plätzen. Hier hat man von jeher viel „Missgeschick“ bewiesen. Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Kulturforum oder Theodor-Heuss-Platz sind für ihn Paradebeispiele. Aber auch scheinbare Nebensächlichkeiten wie die Entwicklung von einigen Berliner Kinderspielen verfolgt der Autor.

„Berlin ist zu groß für Berlin“ ist kein üblicher Stadtführer. Zischlers Spaziergänge sind eher Begegnungen, bei denen sich Geschichte und Gegenwart der Stadt verbinden. So sollen die zahlreichen Abbildungen (meist historische Fotos) den Text nicht nur illustrieren, sondern gleichrangig neben dem Geschriebenen stehen. Daher wird weitgehend auf Bildlegenden verzichtet – diese befinden sich am Ende des Buches.

Titelbild

Hanns Zischler: Berlin ist zu groß für Berlin.
Galiani Verlag, Köln 2013.
350 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783869710716

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