In der Küche der Dichter
Wohl bekomm’s: Manfred Koch, Angelika und Silvia Overath haben ein ungewöhnlich kreatives Geschichtenmenu angerichtet
Von Michael Braun
Mit Schaudern erinnert sich Günter Kunert an ein Kuttelsuppekochen, zu dem Günter Grass einmal seine ostdeutschen Autorenkollegen eingeladen hatte. Als Kunerts Frau eine alternative Suppe anbot, begann Grass’ Laune zu sinken. An die Mahlzeit konnten sich die Gäste später erinnern, an die Gespräche nicht.
Ganz anders verfuhr Karl-Heinz Ott. Der 1957 geborene Schriftsteller, Stückeschreiber und Dramaturg brachte einmal seinen Freunden im Unterengadin ein handgeschriebenes Rezeptbüchlein mit. Manfred Koch, Literaturwissenschaftler, und Angelika Overath, Autorin und Kritikerin, waren entzückt. Gemeinsam mit ihrer Tochter Silvia Overath entwickelten sie ein Buchrezept von ebenso ästhetischem wie kulinarischem Charme: Sie luden Schriftsteller ein, ihnen ihr Lieblingsrezept zu verraten und es mit einer kurzen Geschichte zu verbinden. Nachkochbar sollte das Rezept sein und originell.
Das ist in gewiss allen Fällen ausgesprochen gelungen. Kathrin Schmidt stellt gefüllte Teigtaschen vor, süß oder salzig, wie sie in der Ukraine beliebt sind, und versetzt sie in eine Verführungsgeschichte mit einem polyglotten Heiratsantrag. Katja Lange-Müller erlaubt sich den Spaß, ein herrliches Gänsebratenrezept mit einer burlesken Weihnachtsgeschichte zu verknüpfen, in der die Speise „gallebitter“ missrät. Wer will, kann ja versuchen, die Zubereitung in Rezept und Story zu vergleichen. Hans Magnus Enzensberger tischt uns eine Kaltmamsell auf, die aus Feldsalat, Avocado-Mousse, hartgekochten Eiern, Hühner- und Thunfischsalat besteht, und beweist, dass viele Köche nicht den Brei verderben müssen.
Von Ulrike Draesner, die einen „immer möglichen Apfellebengelingensbauchföderkuchen“ empfiehlt, stammt eine Ode auf Frau und Backwerk, die es wahrlich in sich hat. „mädchen, kommt, wir reiten ein, kaum flitter auf / den brüsten, laßt sie ruhig schrein, die kuchen / auf unsern händen bewundern unsren bauch / weich von seiden umspielt“, so beginnt der „SONG OF BAUCH“.
Es gibt Vegetarisches und Süßes, Innereien und freie Kreationen. Großmütter, die auffällig oft vorkommen, hüten alte Küchengeheimnisse. Vielleicht am originellsten ist das Rezept von Haifilet in der Mikrowelle. Es ist von Ruth Klüger, die daran erinnert, dass weltweit weitaus mehr Haifische von Menschen gefressen werden als umgekehrt.
Abgerundet wird das Buch mit einem klugen Essay von Manfred Koch, der sich den Tafelrunden der Klassiker (Goethe) zuwendet, die diätetische gegen die leibesfreudige Essphilosophie (Hufeland versus Kant) abwägt und auf gleichsam nachfühlende Weise belegt, wofür das Vorwort wirbt: Essen mit Worten zu schmecken.
Ach ja, und auch die berüchtigte Kuttelsuppe ist nachkochbar. Sie wird von Hanns-Josef Ortheil in einer abendfüllenden Soloveranstaltung zubereitet, mit Thymianzweigen, Chilischoten, grünen und schwarzen Oliven, Datteltomaten und Rosmarin. Während die Kutteln in der Pfanne köcheln, studiert der Autor in Seelenruhe sieben Tagesfeuilletons. Spätabends dann ist die Kreation, wie ein „Bild des späten William Turner“, fertig und wird von der hungrigen Familie, mit gut gekühltem Grauburgunder und bei italienischen Chansons genossen. Geht doch. Ein sehr bekömmliches Buch, das Lesehunger macht.
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