Lyrik minimalistisch
Gelu Vlasins Gedichtband „In der Psychiatrie behandelt“ ringt mit Depression und Überdruss
Von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVom Buchcover blickt ein dem Anschein nach ausgeglichener junger Mann – der Autor selbst – dem Leser freundlich und direkt entgegen. Da fühlt man sich als Leser nur unzureichend vorbereitet auf eine Auseinandersetzung mit seelischen Krankheiten und dem Leiden daran. Oder geht es um erfolgreiche Heilung?
Tatsächlich liest sich das Inhaltsverzeichnis mit den Gedichttiteln wie das Register eines medizinischen Lehrbuchs zur Psychiatrie, denn es listet fast ausschließlich entsprechende Krankheiten auf, beginnend mit Depression 13-1, also in absteigender, zunächst die geraden, dann die ungeraden Nummern erfassender Reihenfolge. Die sich daran anschließenden 21 Gedichte tragen Titel wie „parkinson“, „anorexia nervosa“, „maternity blues“ oder „psychogener krampf“ und bei genauer Kenntnis der jeweiligen Symptome lassen sich in ihnen mitunter tatsächlich vermittelt Bezüge zu diesen Krankheiten entdecken. Die Texte widmen sich jedoch, wie alle übrigen, der „alltäglichen banalität“ des lyrischen Ichs. Und auch die letzten neun Gedichte mit Titeln aus der Computerwelt stellen keinen Bruch zum vorangehenden Textkorpus dar, sondern führen inhaltlich den von Paul Cernat in seinem Nachwort treffend konstatierten permanenten „‚depressiven‘ Diskurs“ fort, der sich auf die verlorene Liebe, auf Phobien, Tagesablauf, auf das Dasein in der Stadt Bukarest und in der Wohnung bezieht. Verzweiflung, Angst, Kraftlosigkeit, Verwirrung, Trauer sind Schlüsselworte, die sich als Monologe dieses Ichs „im fleischwolf der erinnerungen“ an sich selbst, an ein stummes weibliches Du oder einfach nur an das „scheißleben“ wenden.
Auch die grafische Gestaltung der jeweils maximal eine Seite langen, fast schon visuellen Gedichte mit ihrer räumlichen Verschiebung der Zeilenanfänge beziehungsweise mit großen Lücken zwischen den Wörtern, die die Betonung vorgibt und die Lektüre immer wieder stocken lässt, unterstreicht das Gefühl von Bedrücktheit, Unruhe und Zerrissenheit. Da ist von Unvermögen die Rede („ich stehe einfach so vorm baum ohne die rinde bestimmen zu können“) oder von völliger Hoffnungslosigkeit („mein zustand schließt keine hoffnung ein und auch du bist keine vollmondnacht mehr“). Das Ich im Weltschmerz, mittellos, abgewiesen von einer Vorübergehenden, neben der Geliebten und doch fern von ihr – einer als trostlos empfundenen Realität und einer präsenten Virtualität werden bemerkenswert eigentümliche Bilder entgegengesetzt, die mitunter groteske Brüche und Sprünge offenbaren, wie im Gedicht „parästhesie“: „… /dein gehäkelter schrei mit / versteckten zähnen / zwischen den fahrkarten und / drei verlorene handschuhe vor der abfahrt oder / …“. Dabei entsteht eine gegen die Tradition anschreibende, kraftvolle Poesie voller Metaphern über allgemeine menschliche Erfahrungen, die sich längst nicht geschlagen gibt und vielleicht sogar therapeutische Wirkung entfalten kann.
Der 1966 geborene Autor, dessen Debütband aus dem Jahre 1999 hier vorliegt, ist der Begründer des deprimism in der rumänischen Literatur, wobei er sich am französischen Pendant als Variante des Minimalismus orientiert und selbst eine „betont minimalistische Poesie“ (Cernat) schreibt.
Wiederum zeigt sich der Pop-Verlag mutig mit der Präsentation eines auf dem deutschen Buchmarkt unbekannten Dichters aus Rumänien. Entdeckt hat ihn Kerstin Ahlers, die als Absolventin der Leipziger Rumänistik, eines vom Aussterben bedrohten Studienfaches, auch die Nachdichtung besorgte.
Paul Cernat nennt diese „wahre Poesie[,] eine angenehme Lektüre“; nun, für den Leser bedeutet die Lektüre vielleicht zunächst eher Verstörung, vor allem aber Interpretationsarbeit.
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