Vom Waschen und nass machen

Ian Rankin kann John Rebus nicht ruhen lassen, und lässt ihn in „Mädchengrab“ halbherzig Selbstjustiz üben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir verdanken Ian Rankin große Sätze, wie den, dass einem Mann nicht zu trauen ist, der nicht trinkt. In Schottland gesagt, ist das so eine Art Freibrief zum Alkoholismus, und so wird bis heute in Rankins Romanen gesoffen, was das Zeug hält. Und der Obermeister der Leberverächter ist eben John Rebus.

Der hört bis heute – also nach seiner Pensionierung – immer noch das Beste und Feinste, was an internationaler Populärmusik zu hören gibt. Selbst wenn der Mann mit sich nichts besseres anzufangen weiß, als ins Glas zu schauen, ist er popkulturell doch auf der Höhe. Jemand, der nicht nur die neueste Platte von Kate Bush kennt, sondern sie auch noch gelassen belächeln kann, muss was drauf haben.

Zum Beispiel unschöne Fälle aufklären, an denen niemand interessiert ist, und das auch noch auf eine Weise, die allen aktuellen Anforderungen an moderne Ermittlungsmethoden Hohn spricht. Sowieso ist dieser Rebus ein Mann von gestern. Nicht nur weil er tatsächlich in Rente ist und sich ein wenig damit beschäftigt, alte Fälle in der lokalen Cold-Case-Abteilung nicht aufzuklären. Sondern auch, weil er alles vermissen lässt, was einen modernen Kriminalbeamten auszeichnet: Kompetenz, ja auch in Medien und Soziales, Neugierde, Disziplin, Pünktlichkeit, Offenheit und dergleichen mehr.

Da riecht nichts mehr, da gibt es keinen ungesunden Gewohnheiten und zum Chef frech wird auch keiner. Da spricht man nicht mit Gangstern, da verhaftet man sie. Korruption ist ein Wort aus einer vergangenen Zeit, und so gehen denn alle einer neuen schottischen Polizei entgegen, von der man wahrscheinlich in ein paar Jahren auch wieder ganz anders reden wird. Denn unter einer solchen glatten Oberfläche müssen schon einige, ja „dunkle“ Geheimnisse versteckt sein.

Man wird dann sehen, was es sein wird. Noch aber gibt es Rebus, und Rebus nimmt einen Fall auf, der bereits vor über zehn Jahren aufgegeben wurde. Eine junge Frau ist verschwunden, und ihre Mutter sucht immer noch nach ihr. Und sie hat herausgefunden, dass noch mehr Frauen und Mädchen an derselben Straße verschwunden sind. Sie erzählt das Rebus. Und wies es der Zufall will, nimmt er den alten Fall, um bei einem neuen mitmischen zu können. Mit dabei sein alte Kollegin Siobhan, die mittlerweile weiter aufgestiegen ist und wohl ganz gute Karrierechancen hätte, stünde sie nicht derart stark auf Rebus’ Methoden (was sie weit von sich weisen würde, anfangs zumindest).

Über fünfhundert Seiten lang laufen die Ermittlungen, in denen naheliegenderweise Rebus die richtigen und richtungsweisenden Ideen hat, die am Ende wohl auch zum Täter führen – führen würden, denn nachweisen kann man ihm nichts.  Und an dieser Stelle wird es interessant: Rebus gehörte bislang nicht zu jenen Rächern der Gesellschaft, die zur Selbstjustiz greifen, wo die staatliche Rechtsprechung nicht hart genug durchgreift. Rebus ermittelt und er weist nach, und dann geschieht mit dem Täter, was geschehen muss.

Dem Paradigmenwechsel im Krimigenre kann sich aber auch Rankin wohl nicht ganz verschließen, und der geht in Richtung Rache. Was also geschieht, wenn dem Täter die Tat nicht nachzuweisen ist? Man nehme das Recht selbst in die Hand. Allerdings schreckt Rankin davor wohl (noch?) zurück. Zwar lässt er die Ermittlungen in die Sackgasse laufen. Er ist sich sicher, dass er den Täter gefunden hat. Aber mehr als Indizien hat er – bei Lichte gesehen, das für Aufklärungen ja allemal ein guter Zusatz ist – beim besten Willen nicht.

Was also tun, wenn der Gerechtigkeit freie Bahn geschaffen werden soll? Wenns denn kein Mord sein soll. Rankins Lösung ist nun sicherlich beachtlich, auch wenn sie arg konstruiert ist. Dem Täter soviel Angst einzujagen, dass er sich lieber selbst anzeigt als unentdeckt in Freiheit zu bleiben – und zu sterben – ist keine feine Art, aber wird hier als erfolgreich vorgeführt. Als Beweis lässt sich das zwar nicht heranziehen, aber als Überlegung. Allerdings muss man dafür auch ein paar mittelschwere Jungs kennen, die sich nicht davor zurückscheuen, selbst Hand an zu legen, wenns mal möglich ist. Hier sinds englische Ex-Militärs, was einen nicht für englische Militärs einnimmt. Aber nicht solche Beschaffungsprobleme, sondern die Konstruktion selbst ist problematisch, weil sie ja das Dilemma des Rechtssystem auszuhebeln versucht, also Selbstjustiz möglich zu machen versucht, ohne Selbstjustiz zu üben.

Titelbild

Ian Rankin: Mädchengrab. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Goldmann Verlag, München 2013.
506 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442547227

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