Kunstvoll konstruiertes Familienepos

Über den Roman „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ von Taiye Selasi

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihr Debütroman hat eingeschlagen wie ein Blitz: Der Penguin Verlag wollte „Ghana must go“ (so der Titel im Original) bereits haben, noch ehe das Buch zu Ende geschrieben war. Toni Morrison, bei der sie studierte, ermunterte sie ausdrücklich zum Schreiben, und auch Salman Rushdie schätzt ihre Feder.

Taye Selasis Roman erschien dementsprechend im Frühjahr 2013 nicht nur in deutscher Übersetzung beim Fischer Verlag, sondern wird in diesem Jahr auch noch in weiteren 14 Ländern publiziert, während sich die Feuilletons allenthalben geradezu mit Lobeshymnen überschlagen.

Diese Autorin muss also verdammt gut sein in dem was sie tut, zumal sie sehr genau weiß, wovon sie schreibt, wenn sie das Leben einer Familie schildert, die zwar afrikanische Wurzeln hat, aber in den Metropolen der ganzen Welt heimisch ist. Für sie schuf sie eigens den Begriff „Afropolitans“. Sie selbst gehört auch dazu, denn die in London geborene Absolventin von Yale und Oxford ist Kind afrikanischer Eltern, die beide Ärzte und Bürgerrechtler sind.

Stark sind die Parallelen zur eigenen Biografie in ihrem Debütroman: Auch Kwaku Sai, der Vater der Familie, ist ein brillanter Chirurg. Er stammt zwar aus einem kleinen Dort in Ghana, doch hat er es nicht nur geschafft, im Ausland Fuß zu fassen. Vielmehr scheint ihm jede Karriereoption offen zu stehen, nachdem er Jahrgangsbester an der Johns Hopkins Universität, einer der angesehensten Medizinhochschulen der Welt, wurde. Auch Fola, seine Ehefrau, ist nicht einfach eine nigerianische Schönheit, sondern ebenfalls eine erstklassige Studentin, die eine große Karriere vor sich hat. Doch aus Liebe zu Kwaku hört sie mit dem Studium auf, um sich ihm und den Kindern zu widmen. Derer gibt es vier und sie alle sind nicht minder hochbegabt und gutaussehend wie ihre Eltern. So wundert es nicht, dass aus dem ernsthaften Olu, dem Erstgeborenen, ebenfalls ein Star-Chirurg wird. Die Zwillinge Kehinde und Taiwo beeindrucken neben ihrer Intelligenz auch durch künstlerische Talente. Und Sadie, die Jüngste, wird natürlich auch Studentin in Yale. – Eine Bilderbuch-Familie also, die sich anscheinend perfekt in die amerikanische Gesellschaft integriert hat.

Doch umso höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall: Ein tragischer Vorfall wirft Kwaku total aus der Bahn. Als er der Klinikleitung zuliebe eine todkranke alte Dame operiert, bei der eigentlich nichts mehr zu machen ist, stirbt diese. Den Rachegelüsten der reichen Familie, ihrerseits großzügige Sponsoren des Krankenhauses, wird daraufhin Kwaku zum Bauernopfer gebracht. Der brillante Starchirurg ist jetzt nichts weiter als irgendein afrikanischer Arzt, der auf der Straße steht. Seine Proteste verhallen im Nichts. Zu bitter ist diese Erfahrung mit dem latenten Rassismus der us-amerikanischen Gesellschaft, als das er es verkraften könnte. Solange es geht, versucht er so zu tun, als ob nichts wäre und als schließlich das Kartenhaus zusammenbricht, verlässt er die Familie vor lauter Scham. Doch als er wenig später erkennt, dass dies ein schlimmer Fehler war, führt kein Weg mehr für ihn zurück.

Die hintergangene Fola hat ihrerseits die Koffer gepackt und ist mit den Kindern auf und davon. Kwaku ist untröstlich, ihm bricht schier das Herz vor Verzweiflung. Einige Jahre später tut es dies nicht nur bildlich: Denn Kwaku, inzwischen nach Afrika zurückgekehrt, stirbt 57-jährig eines Morgens im taufeuchten Gras seines Gartens an einem Herzinfarkt.

Zu seiner Beerdigung kommt erstmals wieder die ganze Familie zusammen, die zerrissen und isoliert auf verschiedenen Kontinenten lebt. Und zum ersten Mal treten sie in Accra und im Heimatdorf des Vaters in eine wirkliche Kommunikation untereinander ein und finden so trotz Vereinzelung, Heimatlosigkeit und Verzweiflung wieder das, was im Leben zählt: den Zusammenhalt der Familie.

Wohin gehören wir? Was ist Heimat? Kann man sich in einem fremden Land durch Bildung und Wohlstand integrieren? – Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt des Romans, der weithin als literarische Sensation gehandelt wird. Dennoch muss der Funke beim Lesen nicht unbedingt überspringen. Zwar sehr kunstvoll konstruiert, aber dennoch eben konstruiert kommen die Figuren des Romans daher. Wie in einer griechischen Tragödie scheinen sie für ihre Hybris (Doch worin besteht diese: Als Schwarze anerkannt und erfolgreich sein zu wollen? Sich in der Sicherheit des Bildungsbürgertums zu wiegen? Nur die Karriere im Kopf zu haben?) vom Schicksal gnadenlos bestraft zu werden.
Sie müssen so zahlreichen und schlimmen Schicksalsschlägen trotzen, dass man sich mitunter fürchtet weiterzublättern, weil man vor Mitgefühl nicht wissen mag, was sie noch alles erleiden müssen, bevor sie am Ende schließlich doch etwas wie Ruhe und Seelenfrieden finden.

Man darf gespannt sein, was die zu Recht als meisterhafte Stilistin charakterisierte Autorin noch zu Papier bringen wird. Möglichweise tut ein wenig mehr Abstand zur eigenen Biografie ihren zukünftigen Werken einen guten Dienst.

Titelbild

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Adelheid Zöfel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
397 Seiten, 21,99 EUR.
ISBN-13: 9783100725257

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