Vom Kritiker zum Pessimisten

Max Goldt vermäkelt und verbiestert sich etwas zu sehr in dem Band „Die Chefin verzichtet“

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Früher war alles besser“ ist so ein Satz, mit dem Konservative und Kulturpessimisten häufig versuchen, die moderne Welt, die sie nicht mehr verstehen, zu degradieren. „Früher war alles besser“ scheint auch die Devise von Max Goldts jüngsten Texten zu sein. Die bittere Erkenntnis, die daraus resultiert: Früher war auch Max Goldt besser. In „Die Chefin verzichtet – Texte 2009 bis 2012“ vermäkelt und verbiestert sich der beliebte und gefeierte Sprach- und Kulturkritiker teils fast schon zur Unkenntlichkeit über die modernen Zeiten. Witz, Charme und das leichte Augenzwinkern, für das der Autor von seinen Anhängern zu Recht fast schon verehrt wird und womit er quasi nebenbei einen Hang zur Selbstironie deutlich macht, bleiben häufig auf der Strecke.

Die Textsammlung beinhaltet neben Kolumnen auch Aufzählungen wie „Fast vierzig zum Teil recht coole Interviewantworten ohne die dazugehörigen dummen Fragen“ sowie ernste Essays, etwa „Der Sprachkritiker als gesellschaftlicher Nichtsnutz und Kreuzritter der Zukunftsfähigkeit“. So weit so gut, ein klassischer Goldt eben.

Auch viele von Goldts Auszuführungen, etwa zum Thema gendergerechte Sprache, sind wie immer klug und feinsinnig: „Das Schlimmste an jenen sprachlich-sozialen Regulierungsversuchen, die man in dem Begriff ,political correctness‘ zusammenfaßt, sind die reflexartigen Provokationen dagegen, die Stänkereien reaktionärer Giftknilche, die in jeder Frauenbeauftragten den Leibhaftigen sehen und sich bei ihrem Herumgepeste im Internet vorkommen wie Widerstandskämpfer, die sich auf keinen Fall verbiegen und den Mund verbieten lassen wollen vom sogenannten Zeitgeist.“

Was nicht ins Bild passt: Schon eine Seite amüsiert Goldt sich über verhaspelnde, backfischige Hotel-Rezeptionistinnen, die sich allesamt sprachlich ungenau ausdrücken – ein spezifisch weibliches Phänomen der heutigen Zeit, suggeriert der Autor. Dabei ist es nur schwer vorstellbar, dass ein junger Berufsanfänger gleich welchen Geschlechts und gleich welchen Jahrzehnts in der Konversation mit einem Gast, der das Bewusstsein und die Selbstgefälligkeit seiner Überlegenheit wie einen Bierbauch vor sich herschiebt, sich nicht verunsichern lässt, sondern die Contenance bewahrt.

Und so geht es in einem fort: Unangenehme Frauenstimmen, die häufiger geworden sind, die derzeitige inflationäre Anwendung des Wortes „Spießer“, das „niedrige Gestaltungsniveau heutiger Verlagserzeugnisse“, T-Shirts, die „heute“ als Sammelobjekte dienen, und und und.

Nun kann man dagegenhalten, dass die Beschreibung der verrohten Gegenwart quasi Kernkompetenz und Markenzeichen des Autos ist. Das ist sicher richtig. Aber etwas ist in diesem Band anders: Goldts Texte neigen anstatt zur Kulturkritik zum Kulturpessimismus. Sie sprühen nicht mehr vor Esprit wie noch vor wenigen Jahren, der Ton ist deutlich angespannter und etwas verkniffen, die ironische Distanz zu sich selbst fehlt. Dabei ist es der Autor selbst, der das Fehlen von Charme bei den vielen Menschen bemängelt und in ihm die „letzte Distanz einer ausgleichenden sozialen Gerechtigkeit“ sieht: „Kannst du nicht lernen, kannst du nicht kaufen, kannst du nur haben.“

Und noch etwas hat sich verändert: Dienten in bisherigen Texten häufig äußere Einflüsse wie Reisen, Ausflüge oder Begegnungen mit anderen Menschen als Grundlage für Beobachtungen und Schlussfolgerungen von kleinen oder größeren Zusammenhängen, so scheinen viele von Goldts Meinungen, die er in „Die Chefin verzichtet“ so vertritt, im eigenen Kämmerlein entstanden zu sein. Darüber hinaus finden sich in der Sammlung auch Textbruchstücke, die an Niklas Luhmanns berühmten Zettelkasten erinnern, sowie bereits Bekanntes, das noch ein wenig aufgemotzt wurde.

Das soll nicht grundsätzlich gegen die Sprach- und Kulturkritik schießen, die Max Goldt seit über 20 Jahren klug, charmant und dabei erfolgreich betreibt und wofür dem Berliner zweifellos Anerkennung gebührt. Noch immer ist er ein genauer Beobachter des Zeitgeists auf hohem Niveau, und seine berühmt gewordene Sprache nutzt sich auch nach dem 350. Text nicht ab, so dass Sätze wie folgender über personalisierte Werbung à la „Inspiriert von Ihren Stöber Trends“ wie gewohnt funkeln und schimmern: „Daß Inspiration heute nichts als ein vulgäres Glamour-Synonym für einen manchmal bloß vom Computer generierten Shopping-Vorschlag geworden ist, verdanken wir unserem heikelsten Kulturvorbild, den US-Amerikanern.“

„Die Chefin verzichtet“ beweist, dass selbst Max Goldt manchmal Ideen auszugehen scheinen. Das ist schade – auch wenn man sich mit dieser Meinung in die „Früher war alles besser“-Riege einreihen muss. Max Goldt gehört dennoch zweifelsfrei zu einer der brillantesten und scharfsinnigsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Er äußert sich zu vielen Themen, für die andere nur ein müdes Lächeln übrig haben, und kann sie mühelos in größere Zusammenhänge einordnen. Das gilt auch für die Sprachkritik selbst. Mangelnde Sprachlogik, so Goldt, sei „keine stilistische und ästhetische Frage, sondern eine Folge schlechten und schlampigen Denkens, die den Kommunikationswert von Sprache verhindert.“

Dass in einem ansonsten leuchtenden Gesamtwerk ein etwas lieblos zusammengeschustert wirkender und schwächerer Band zu finden ist, ist sicher verzeihlich. Oder, wie es der in dem Text „Tätowiert, motorisiert, desinteressiert – der Kleinbürger zwischen Statistik und Traum“ beschriebene Kleinbürger sagen würde: Max Goldt ein Traum, Buch leider nicht so geil.

Titelbild

Max Goldt: Die Chefin verzichtet. Texte 2009 - 2012.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012.
160 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347511

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