Ein spannender Dialog
Zwei Tübinger Reden von Walter Jens (1987) und Hermann Bausinger (2012) mit einem Seitenblick auf Bausingers Uhland-Anthologie (2010)
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWalter Jens’ Fähigkeit, Beziehungen zwischen vermeintlich Unvergleichlichen zu stiften, seine Meisterschaft, Dialoge zwischen Denkern und Dichtern verschiedener Epochen zu inszenieren, sind so legendär wie seine stupende Gelehrsamkeit und die Bandbreite seiner Texte.
Anlässlich seines 90. Geburtstages im März dieses Jahres, der mittlerweile vom Tod des Autors überschattet wird, hat der Tübinger Klöpfer & Meyer Verlag sich diese Tatsachen zu eigen gemacht und den seit ein paar Jahren vorzeitig verstummten Gelehrten mit einer Neuausgabe seiner Uhland-Rede aus dem Jahr 1987 gleich doppelt geehrt. Denn seiner Tübinger Rede „Unser Uhland. Nachdenken über einen vergessenen Klassiker“, 1987 zum 200. Geburtstag von Ludwig Uhland gehalten, folgt in guter Jens’scher Manier die nicht weniger beeindruckende Rede seines gleichfalls legendären Tübinger Kollegen Hermann Bausinger, die dieser 2012 zum 150. Todestag des Dichters unter dem Titel „Unser Uhland?“ gehalten hatte.
Dass Jens, den Alexander Cammann in der „Zeit“ (vom 13. Juni 2013) zurecht als „Erbe der Paulskirchen-Professoren von 1848“ würdigt, sich seines Tübinger Professorenkollegen, des Dichters, Politikers, Wissenschaftlers und Hochschullehrers Ludwig Uhland (1787-1862) annimmt, verwundert nicht, gilt er doch als „hochberedte[r] Demokrat“. Gleiches gilt auch für den Tübinger Nestor der Empirischen Kulturwissenschaft Hermann Bausinger, der 2011 nicht nur selbst ein vergnügliches Erzähldebüt, sondern 2010 auch eine ansprechende Uhland-Anthologie mit Lyrik und Prosa vorgelegt, und eben jahrelang das Ludwig Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften geleitet hat.
In der Klöpfer & Meyer’schen „Kleinen Landesbibliothek“ hat Bausinger 2010 den Band „Ludwig Uhland: Lyrik und Prosa“ herausgegeben. Dass der im 19. Jahrhundert neben Goethe und Schiller als berühmtester deutscher Dichter geltende Uhland, der heute kaum noch gelesen wird, zu Recht in diese Reihe gehört, zeigt Bausingers Auswahl. Außer den bekanntesten Balladen und Liedern wie „Die Kapelle“ oder „Der gute Kamerad“ versammelt der Band auch Uhland-Reden zwischen 1817 und 1849 – von „Keine Adelskammer!“ über „Freiheit und Einheit“ (1834) bis zu „Gegen das Erbkaisertum“ (1849) und „Gegen das Standrecht in Baden“ (1849).
Doch zurück zu den Reden von Jens und Bausinger: Skizziert der gebürtige Hanseate und Wahl-Schwabe Jens in „Unser Uhland“ den Dichter „als Archetypus, auf den sich die Philister von rechts und links einigen konnten“, als „Bürger, dessen Bild in Bismarcks Schlafzimmer hing und dem zu gleicher Zeit die Glückwünsche von Arbeiterbildungsvereinen galten“, so beleuchtet Bausinger auch knapp den Wandel der Rezeption und beharrt darauf, „dass sich poetisches und politisches Wirken bei Uhland keinesfalls strikt trennen lassen“.
So ist „Unser Uhland“ in der Tat ein doppelter Beitrag „zur lebendigen Erinnerung an Uhland“, wie der Klappentext vermerkt. Es ist aber auch eine doppelte Hommage an Walter Jens, genauso „voll Respekt und Zuneigung“, wie die letzten Worte von Hermann Bausinger zu „unserem Uhland“ lauten. Dass Bausinger ein Vierteljahrhundert nach dem Jens’schen „Nachdenken über einen vergessenen Klassiker“ dessen Titel „Unser Uhland“ mit einem Fragezeichen versieht, hätte Jens ebenso gefallen, zumal die Hinterfragungen Bausingers Jens letztlich bestätigen, wie die Imagination einer nonverbalen Begegnung zwischen Uhland und Jens im Tübingen unserer Tage: „Walter Jens“, so Bausinger, „brachte seinem Publikum manchmal Persönlichkeiten näher, indem er sie mit Personen konfrontierte, die aus einem anderen Milieu kamen oder einer anderen Zeit angehörten; in einem Vortrag über Tucholsky dachte er sich beispielsweise eine imaginäre Begegnung mit Fontane aus. Warum also nicht, als freundliche und hoffentlich nicht zu riskante Koda, eine Begegnung von Uhland und Jens?“
Walter Jens kommt von der Alten Aula, wo er im überfüllten Hörsaal Sophokles Antigone interpretiert und sich „schnell mit dem Hausmeister Abt über die Fußballergebnisse des Wochenendes ausgetauscht hat“. Am anderen Ende der Neckarbrücke erkennt er Ludwig Uhland. „Jens ist hocherfreut: schon immer wollte er die Meinung Uhlands über die neueste Literatur hören. Aber zunächst bewegt ihn der Gedanke, wie er den verehrten Mann anreden soll. Innerlich ist er längst per du mit ihm; aber das geht natürlich nicht. Also Sie? Oder doch besser das altertümliche Ihr? Vielleicht geistweise: Guten Morgen, Meister, so früh schon unterwegs? Während er noch überlegt, sieht er, wie Uhland auf die andere Seite der Brücke geht. Er ist überzeugt – nein, überzeugt ist er nicht, aber er hofft, dass Uhland ihn nicht gesehen hat und dass es sich um ein zufälliges Ausweichen handelte. Sicher ist er nicht; deshalb bleibt er auf seiner Seite und eilt weiter zur Post, wo er ein eben abgeschlossenes Manuskript per Einschreiben an seinen Verleger aufgeben will.“
Nun, der für seine Zurückhaltung und Schüchternheit bekannte Uhland hat Jens doch gesehen. Denn Bausinger lässt ihn im Café als „Vornotizen zu seinem Tagenbuch“ notieren: „Erfreuliche Begegnung auf der Brücke – Walter Jens, Erwecker der Antike, Volksfreund und trefflicher Rhetor“.
Nun ist „Unser Uhland“ auch eine schöne Erinnerung an Walter Jens, Erwecker der Antike, Volksfreund und trefflicher Rhetor.
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