Small, Warshawski, Hirschel, Schwarz und andere

Anna-Dorothea Ludewig hat ein Handbuch zu jüdischen Figuren im Detektivroman herausgegeben

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Rabbiner David Small und seine Ehefrau Miriam sowie die Privatdetektivin V. I. Warshawski gehören zu den bekanntesten Figuren in Detektivromanen. Zu diesen von Harry Kemelman und Sara Paretzky entwickelten und vielen weiteren jüdischen Figuren hat Anna-Dorothea Ludewig, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam, im Sommersemester 2010 ein Seminar über Präsentationen und Repräsentationen des Jüdischen im Detektivroman angeboten: „Anti- und philosemitische Stereotype und Klischees galt es ebenso ausfindig zu machen und zu analysieren wie diskursive und vermittelnde Versuche“. Im Anschluss an die Veranstaltung haben je zwei Studentinnen und Studenten mit der Seminarleiterin und Hannah Lotte Lund als Gastautorin ein lesenswertes Handbuch zusammengestellt.

Einleitenden Worten von Ludewig zu den Grundlagen und Entwicklungen des Detektivromans in Bezug auf Juden und Judentum folgen Essays zu Autorinnen und Autoren – einige haben einen jüdischen Hintergrund – und ihre jüdischen Haupt- und Nebenfiguren, jeweils alphabetisch vorgestellt. Neben Kemelman und Paretzky wird auf fast 30 weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller eingegangen, in deren Kriminalromanen jüdische Figuren eine Rolle spielen. Es beginnt mit „A“ und der türkischen Schriftstellerin Esmahan Aykol und ihren Kriminalgeschichten, die sich um Kati Hirschel drehen: Diese Frau stammt väterlicherseits aus einer deutsch-türkischen Familie und betreibt in Istanbul eine Kriminalbuchhandlung. Die Amateurermittlerin wird wiederholt in Kriminalfälle verwickelt, wobei die Geschichte ihrer jüdischen Familie „nur nebenbei in die Handlung eingewoben“ ist.

Die letzten Schriftsteller im Alphabet mit dem Anfangsbuchstaben „T“ sind Frank Tallis und Ernest Tidyman (1928-1984). Die Hauptfigur der Max-Liebermann-Romane von Tallis ist ein junger Psychologe jüdischer Herkunft, in dessen Fällen im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts immer wieder das Thema Antisemitismus aufgegriffen wird. In Tidymans Romanen haben Figuren in Nebenrollen „verschiedene jüdische Identitäten und Lebensentwürfe“. Eingegangen wird auch auf renommierte Autorinnen wie Agatha Christie, in deren Romanen jüdisch konnotierte Figuren oft „die Funktion des unheimlichen oder exotischen Fremden“ erfüllen. Erinnert wird an den ersten Kriminalroman von Friedrich Dürrenmatt „Der Richter und sein Henker“ mit Kommissar Bärlach oder an die Gebrüder Rosenstock in den Romanen von Friedrich Charles Glauser.

Neben diesen teilweise zu Klassikern gewordenen Kriminalromanen wird auf neuere und noch eher unbekannte und jüngere Autoren wie Peter Probst (geboren 1957) und dessen Reihe „Schwarz ermittelt“ hingewiesen. Dessen Ermittler Anton Schwarz entdeckt – wie der Autor selbst – die vor ihm geheim gehaltene jüdische Identität. Dem ersten 2010 erschienenen Band „Blinde Flecken“ folgte 2011 „Personenschaden“. Noch eine Generation jünger ist Henrike Heiland (geboren 1975), deren Trilogie „Verdeckte Ermittlungen“ sich um den Hauptkommissar Erik Kemper und die Kriminalpsychologin Dr. Anne Wahlberg drehen. Die Fälle sind in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt: Im dritten Roman „Blutsünde“ (2007) taucht mit Daniel Schapiro ein junger Jude auf, der mit seiner Familie aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert ist. Die Figur Hanna Simon dagegen ist eine alte an Demenz erkrankte Frau, die als junges Mädchen vor den Nationalsozialisten fliehen musste. „Die Lebensläufe der beiden legt Henrike Heiland bewusst so unterschiedlich an, um verschiedene Lebenswirklichkeiten von Juden in Deutschland darzustellen und Verallgemeinerungen zu erschweren.“

Die biografischen Essays haben die Autorinnen und Autoren vor „besondere Herausforderungen gestellt, da oftmals kaum Informationen zu Leben und Werk der Autoren [und Autorinnen] vorliegen.“ Mit einigen fanden Informationsgespräche statt. Die sehr informativen und häufig zu Buchbestellungen motivierenden Essays werden durch einen Exkurs über vier Filme ergänzt: Pfarrer Braun: Die Gärten des Rabbiners (2003), Schimansky: Das Geheimnis des Golem (2004) sowie die Tatorte „Der Schächter“ (2003) und „Ein ganz normaler Fall“ (2011). Abgerundet wird der Band durch ein Personenregister der Autorinnen und Autoren sowie ihrer Figuren.

Nachtrag: Es wäre schön, wenn es eine Fortsetzung geben könnte. Dabei könnte zum Beispiel auf Leslie Glass und ihre Krimis um die Figur April Woo – eine chinesisch-stämmige Polizistin in New York – eingegangen werden. In dem Band „Die verstummte Braut“ (New York 2002, deutsch: 2003) wird eine Tochter aus reichem jüdisch-orthodoxen Haus bei ihrer Hochzeit in einer Synagoge erschossen.

Titelbild

Anna-Dorothea Ludewig (Hg.): Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman.
Bebra Verlag, Berlin 2012.
180 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783937233888

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