Auf dem „rechten“ Pfad

Zu Manuel Seitenbechers Studie“ Mahler, Maschke & Co“

Von Uwe UllrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Uwe Ullrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer in der DDR sozialisiert wurde, erinnert sich unweigerlich an das Begriffspaar von „Einheit und Reinheit der Partei“. Damit war die ideologische Geschlossenheit der SED-Genossen gemeint. Wunschdenken. Die Friedliche Revolution im zweiten deutschen Staat bestätigte, dass es praktisch keine einheitliche Auffassung gibt. Gleichfalls suggeriert das öffentliche verbreitete Erscheinungsbild Homogenität der 1968er-Bewegung. Das es nicht so ist, bezweifelten bereits zeitgenössische Beobachter. Erst Jandl fasste es in Verse:

„manche meinen

lechts und rinks

kann man nicht velwechsern

werch ein illtum.

(in: Laut und Luise, Olten 1966).

Sozialliberale Professoren wie Kurt Sontheimer, Erwin K. Scheuch und Richard Löwenthal attestierten der Jugendbewegung zunehmend totalitären Charakter und „Übereinstimmung mit Rhetorik und Praxis faschistischer Bewegungen der Frühphase“. Seitenbecher versucht ein differenziertes Bild der Jahre um 1968 und ihren Weg in die folgenden Jahrzehnte zu entwerfen. Er ordnet die sozial(istisch) dominierte deutsche Bewegung in globale Ereignisse ein. Bezugsebenen sind dabei neben dem Befreiungskampf kolonial unterdrückter Völker, die Studentenunruhen in den USA (insbesondere wegen des Vietnam-Krieges und der Apartheidpolitik) und  Frankreich sowie die Konfrontation der Militär-Blöcke im Kalten Krieg um den „Prager Frühling“. Wenn der Rezensent sich als damals Jugendlicher an 1968 erinnert, hört er noch das bange Raunen der Eltern, Verwandten und Bekannten: „Gibt es wieder Krieg?“

Manuel Seitenbecher will keinen systematischen Vergleich von links und rechts, sondern die Bewertung potentieller Ähnlichkeiten bei ausgewählten Themenfeldern, wie etwa der Einstellung zu den USA und Israel, dem vorherrschenden Demokratiebild und dem Vorgehen der Akteure, vornehmen.

Die „rechten“ Protagonisten werden durch biografische Angaben, zum Teil durch 2010/11 geführte Interviews (Henning Eichberg,  Tilman Fichter, Reinhold Oberlercher, Bernd Rabehl, Peter Schütt) untersetzt, vorgestellt und in die Zeitläufte gestellt. Gemeinsam war allen ´68-ern der Wille, die Wirklichkeit in der Welt revolutionär umzugestalten – danach trennten sich ihre Wege. Diesen folgt Seitenbecher, indem er den Lebensdarstellungen und den Themen der 1970er-und 1980er-Jahre verfolgt, augenscheinliche Differenzierungen herausstellt und die spätere Selbstüberhöhung ehemals radikal-linker „Demokraten“ und heutigen Polit-Populisten zum Vergleich heranzieht. Neue Linke wie Thomas Schmid, inzwischen Herausgeber des ehemals verhassten Springerblattes „Die Welt“, Jürgen Trittin und Joseph Fischer, die im Gefolge des rot-grünen Machtwechsels Ende der 1990er-Jahre auf Bundesebene ihre Verwandlung vom einstigen Staatsgegner zum gut honorierten Staatsdiener vollzogen, wechselten zum Establishment. Selbst die sogenannten „rechten“ Renegaten gingen unterschiedlichen Zielen nach, so dass von Homogenität kaum die Rede sein kann. „Mahler, Maschke und Co.“ vereint wenig, außer undifferenzierter Fremdwahrnehmung.

Seitenbecher folgt den Lebensursprüngen und erster, prägender Sozialisation, konstatiert für die „Abhauer“ („Republikflüchtlinge“) aus der DDR Rudi Dutschke, Oberlercher und Rabehl Unterschiede zu den Heranwachsenden der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft Fichter, Eichberg, Günther Maschke und Horst Mahler. Sie alle neigen zum antiautoritären Gestus, subversiven und provokativen Aktionen. Vollkommen verschieden gehen sie (früher oder später) mit der Bewertung der NS-Vergangenheit, ihrer Stellung zum Antiamerikanismus und Antisemitismus oder Hegel und Marx um. „Günter Maschke unterzeichnete zwar gemeinsam mit Mahler und Oberlercher die ,Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968‘, doch war dies mehr ein Akt der Solidarität für Bernd Rabehl. Weitere Zusammenarbeiten fanden ebenso wenig statt wie Maschke sich auch nie wirklich der nationalrevolutionären Deutung von 1968 noch Mahlers oder Oberlerchers rassistischen und antisemitistischen Überzeugungen anschloss. Letzteres gilt auch für Tilman Fichter und Bernd Rabehl“. Seine linken Ideale schwor Maschke nach der Erfahrung Kuba ab, Horst Mahler brach mit Marx und Lenin, fand sich bei Hegel philosophisch aufgehoben und geisterte parteipolitisch und ideologisch zwischen allen möglichen temporären, sich ausschließenden Extremen mit dogmatischen Fanatismus und manischer Theorieaneignung: Burschenschafter, SPD, SDS, RAF, KPD, FDP, Grüne und zuletzt NPD.

Anhand der Biografien und der Auswertung des Schriftgutes weist Manuel Seitenbecher Brüche und Wandlungen seiner Protagonisten nach. Alle sind eigenwillige Individualisten. Von einem geschlossenen, homogenen rechten Weltbild ist nicht zu sprechen. Sie reagierten auf zeitgeschichtliche Veränderungen, ohne verändernd einwirken zu können. Ihnen fehlt die wesentliche Basis: Öffentlichkeit und glücklicherweise das Gespür, Menschen populistisch beziehungsweise demagogisch für ihre antidemokratischen und -parlamentarischen Ziele gewinnen zu können. Was durch eine Flut an selbstgefälliger, ideologiegesättigter Memoirenliteratur verhindert wurde, beginnt jetzt mit Seitenbechers Dissertation: Die historische Aufarbeitung der `68er-Bewegung in all seinen Facetten. Denn: „Die Bewegung von 1968 darf nicht nur einseitig mit Quellen und Schriften der Aktivisten aufgearbeitet werden; auch ihre Kritiker und Gegner müssen Berücksichtigung finden, und manche zeitgenössische Beobachtung ist wohl weit näher an den Ereignissen dran als nachträgliche Vereinnahmungen und Weichzeichnungen“.

Titelbild

Manuel Seitenbecher: Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?
Schöningh Verlag, Paderborn 2013.
555 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783506777041

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